Zum Amtsantritt schlug der ehemalige RAF-Anwalt
und Grünen-Politiker harte Töne an. Statt der
erhofften Liberalisierung forderte er eine
Aufrüstung der Sicherheitsbehörden und wahrte
damit die Kontinuität zu der Linie des
christdemokratischen Amtsvorgängers Kanther.
Der wurde auch prompt vermißt: "Mit Kanther
hätten wir es leichter gehabt", stöhnte in den
ersten Wochen ein SPD-Mann angesichts der
Law-and-Order Äußerungen des neuen
Innenministers. Doch mittlerweile hat der
Hardliner eine Wende vollzogen und wandert
nicht weiter auf den Spuren seines Vorgängers.
Otto Schily |
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"Er hat sich von einigen Experten in der Zwischenzeit
gut beraten lassen und ist von seiner strikten Meinung
deutlich abgewichen, schlägt jetzt moderatere und
pragmatischere Töne an", lobt die SPD-Innenpolitikerin
Ute Vogt den Kurswechsel des Ministers. "Nachdem er
gesehen hat, mit welchen trickreichen Techniken sich
Daten beispielsweise in einem Bild verstecken lassen,
hat er eingesehen, daß es unsinnig ist, den digitalen
Nachschlüssel in staatlichen Händen zu fordern", so
die Innenpolitikerin. Dagegen sind dem
schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten
Helmut Bäumler die jüngsten Äußerungen des
Ministers zur Kryptographie noch zu sybillinisch: "Er
hat zwar angedeutet, daß eine staatliche
Verschlüsselungskontrolle in der Praxis wenig Sinn
macht, aber ein deutliches Plädoyer für die Stärkung
der Bürgerrechte und der Privatsphäre war das noch
lange nicht", beklagt der Datenschützer. Ein Problem
scheint dabei auch die besondere Struktur des
Innenministeriums zu sein: "Es hat zwar an der Spitze
den politischen Wechsel gegeben, aber der ganze
Beamtenapparat darunter ist doch noch auf dem
strikten Sicherheitskurs der alten Regierung." So
könnte ein Wendemanöver in Sachen Kryptographie
nur im Schrittempo erfolgen.
Hart geblieben ist Schily dagegen bei der Ausweitung
der Ermittlungskompetenz des Bundeskriminalamtes.
Auf der Innenministerkonferenz setzte er durch, daß
künftig in Wiesbaden 20 Cyberpolizisten zur
anlaßunabhängigen Streife nach Internet-Kriminellen im
Netz gehen können. Diese BKA-Offensive sorgte zwar
für Unmut, insbesondere in Bayern, wo das
Kommissariat 343 bereits seit drei Jahren im
Cyberspace ermittelt, aber angesichts von 1200
registrierten Fällen von Internet-Kriminalität und einer
vermutlich enormen Dunkelziffer "ist eine solche
Konzentration der Kräfte wahrscheinlich schlicht
notwendig, um zu durchschlagenden Erfolgen zu
kommen. Entscheidend ist aber, daß die Grenzen der
Strafprozeßordnung eingehalten werden", so
Datenschützer Bäumler.
Während er mit dem BKA seine Kompetenzen
ausweiten konnte, mußte Schily in der Frage der
Verschlüsselungspolitik auch formal Kompetenzen
abgeben: Bei Verhandlungen mit hochrangigen
Vertretern aus dem Bundesinnenministerium konnte
sich der parlamentarische Staatssekretär im
Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), Siegmar
Mosdorf, überraschend durchsetzen. Jetzt besitzt sein
Ministerium die politische Federführung in der
Verschlüsselungsfrage. Dennoch verliert Schily in der
Kryptofrage nicht vollständig seinen Einfluß, denn aus
rechtlicher Sicht muß das Innenministerium die
meisten der in der Kryptopolitik behandelten Themen
zumindest absegnen. Das Prinzip lautet also "Teilen
und Herrschen", wie Arne Brand vom Virtuellen
Ortsverein den Deal kommentiert.
Der nächste Schritt zur Neuordnung der Kompetenzen
in der Kryptofrage soll folgen. So sieht ein
Eckwerte-Papier der SPD-Abgeordneten Tauss und
Vogt vor, Teile des "Bundesamtes für Sicherheit in der
Informationstechnik" (BSI) aus dem
Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums
herauszulösen und dem Bundeswirtschaftsministerium
zuzuordnen. Vogt: "In der Vergangenheit habe ich
immer wieder erlebt, daß die erstklassigen Experten im
BSI uns die neuesten Tricks zur Verschlüsselung
demonstrieren konnten, von denen aber die politische
Führung des Innenministeriums behauptet, es gäbe sie
nichts." Dieses wertvolle Expertenwissen ist nach ihrer
Meinung bei den politischen Entscheidungsträgern im
Wirtschaftsministerium künftig besser aufgehoben .
Aus dem Rest des BSI soll dann eine öffentliche,
dienstleistungsorientierte Institution werden, in der sich
Bürger über Fragen zu Datensicherheit informieren und
beraten lassen können. Im BSI selber weiß man von
diesen Plänen, will sich aber nicht offiziell dazu
äußern.
So zeichnet sich eine künftige Kompetenzverteilung in
der Kryptopolitik nur langsam ab und eine
"abschliessende Meinungsbildung" zur Frage der
Verschlüsselung steht für die Bundesregierung mit
Hinweis auf die "kontroverse Diskussion" noch aus.
Eine setzliche Regelung der Krzptografie-Frage ist
deshalb nach Auskunft eines Sprecher des
Innenministeriums "in weiter Ferne". Innenpolitikerin
Vogt ist das nur Recht: "Besser die jetzige Situation
ohne gesetzliche Regelung, als eine Kontroverse, in
der die alten Ideen vom Krypto-Chip wieder hervorgeholt
werden." Sie rechnet deshalb auch erst mit einer
Klärung der Verschlüsselungsfrage im Rahmen einer
umfassenden Datenschutzregelung.
Zumindest erklärte die Bundesregierung in einem
"Aktionsprogramm" unter Federführung des
Bundeswirtschaftsministeriums bis September 1999
den Einsatz kryptografischer Verfahren fördern sowie
eine Sicherungsinfrastruktur für wirksame
Selbstschutzmaßnahmen auf- und ausbauen zu
wollen. Datenschützer Bäumler: "Wichtig ist, daß die
Sicherheitsfragen in den Dienst der Bürgerrechte
gestellt werden."
Für das politische Hickhack in Bonn hat Bäumler eine
deutliche Erklärung: "Das zentrale Dilemma in der
Frage des Datenschutzes und der Kryptopolitik ist,
daß hier viele Zuständigkeiten angesprochen werden,
aber kein Regierungsmitglied es sich zum Anliegen
macht, in den Fragen der Informationstechnik eine
politische Gesamtlinie zu formulieren". So zeichne sich
zwar immer deutlicher die Entwicklung ab, daß sich
alle Fragen rund die Neuen Medien im
Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums
konzentrierten. "Aber ist es denn sinnvoll, wenn das
Thema Internet im wesentlichen nur aus der Sicht der
Bonner Wirtschaftspolitiker gestaltet und entschieden
wird", fragt Bäumler besorgt. Auch für Schily muß es
darum gehen, im Internet mehr als einen Tummelplatz
für Cyberpolizisten zu sehen.