Hinter dem Kürzel „XO“ versteckt sich der giftgrüne Laptop der Initiative „One Laptop per Child“ von Nicholas Negroponte, dem Gründer und langjährigen Leiter des Media Labs am Massachusetts Institute of Technology (MIT). – Doch was kann der „XO“ mit seiner Bedienoberfläche „Sugar“ wirklich? Florian Wittig hat das Gerät getestet.
Erstes Hindernis
Seit mehr als zehn Jahren nutze ich das Betriebssystem eines Amerikanischen Herstellers mit Firmenzentrale in Redmond. Zeit genug sich auf die Vor- und Nachteile dieses Systems einzustellen und Zeit genug sich an die Vorzüge eines Desktop-PCs bzw. handelsüblichen Laptops zu gewöhnen. Ich unterstelle mir deshalb beim folgenden Test also mangelnde infantile Genialität und Flexibilität.
Das merke ich auch sofort. Natürlich muss ich für den Test des „XO“ den selbigen erst einmal hochfahren. Das heißt: Zu erst muss ich ihn aufklappen.
Bereits hier kommt es zu ersten Schwierigkeiten. Der grüne Wunderkasten lässt sich nicht einfach öffnen, wie man es als verwöhnter Nutzer vielleicht vermuten könnte. Selbst nach mehrmaligen Drehen und Wenden will mir nicht klar werden, wie ich an das begehrte Innere der Maschine komme.
Wenig später fallen mir dann aber die beiden Antennen links und rechts des Bildschirms auf. Stellt man beide „Hörner“ des Laptops auf, passiert eine ganze Menge: Erstens dienen die „Hörner“ der kabellosen Datenübertragung, zweitens schützen sie einen Audioein- und ausgang sowie drei USB-Ports, drittens lässt sich das Gerät dann auch endlich aufklappen.
Es lebt
Einschalten lässt sich der „XO“ dann wie jeder andere Computer. Man drückt einen Knopf. Dieser ist neben dem Bildschirm angebracht. Die restliche Tastatur ist aus einem gummiartigen Material gefertigt und damit vor Wasser und Staub geschützt. Der Bootvorgang dauert eine gefühlte Ewigkeit und dann ist es da: „Sugar“, die Bedienoberfläche des Geräts.
Mit einem üblichen Touchpad bewegt man den Mauszeiger über das 7,5 Zoll kleine Display. In der Mitte befindet sich ein X eingekreist von einem O. Am unteren Rand sind diverse Symbole für die Programme, die sich hinter der „Sugar“ verstecken. Diese Programme sind das Herz des Laptops. Es ist ein großes Herz.
Mit dem Schreiber durch die Nachbarschaft
Durch einen Klick auf das erste Symbol lande ich im „Writer“, dem Schreibprogramm. Hier fühlt sich jeder, der schon einmal ein Schreibprogramm benutzt hat, sofort zurecht. Gängige Formatierungsoptionen sind genauso vorhanden, wie die Möglichkeit Tabellen und Bilder einzufügen. Am oberen Bildschirmrand lässt sich über eine Liste, die durch einen Klick geöffnet wird, bestimmen ob der Text auch im lokalen Netzwerk „Neighbourhood“ (zu dt. Nachbarschaft“) verfügbar sein soll.
Dieses lokale Netzwerk erstellt sich automatisch, sobald mehrere Laptops in der Nähe sind.
Verfügt eines der Geräte über eine Internetverbindung, stellen die anderen „XO“s automatisch auch eine Verbindung her. Bekannte Probleme, wie IP-Adressen-Konflikte kennt das „Mesh“ genannte Netzwerk nicht. Allerdings auch nicht die Möglichkeit passwortgesicherten WLAN-Verbindungen beizutreten. Dadurch beschränkt sich mein Test auf die Offline-Fähigkeiten des „XO“.
Bewegt man den Zeiger an den Bildschirmrand werden verschiedene Symbole eingeblendet. Über das X, das auch schon auf dem „Desktop“ zu sehen war, kann man wieder auf diesen „springen“ und weitere Programme starten. „Sugar“ ist nämlich trotz der begrenzten Technik fähig, mehrere Programme gleichzeitig auszuführen. Jetzt wird mir auch klar, was das „O“ im Startmenü zu bedeuten hat. Alle aktiven Programme ordnen sich jetzt in einem Ring an, so dass man jederzeit einen Überblick bekommt, welche gerade laufen.
Musik!
Das nächste Programm heißt „TamTam“. Hier kann ich mich musikalisch entfalten und das nicht zu wenig. Denn wer erwartet, dass der „XO“ nur Spielereien bereit hält, der irrt. „TamTam“ (und weitere Subprogramme) bietet in einer genial einfachen Benutzeroberfläche endlose Möglichkeiten Musik zu machen. Auf der Festplatte befindet sich bereits zu Beginn ein schier endloses Portfolio an Klangbeispielen. Alle erdenklichen Instrumente, Tiere und Alarmgeräsuche sind akustisch im „XO“ archiviert. Durch simples „ziehen“ mit dem Mauszeiger lassen sich die Töne anordnen. Jeder davon lässt ich einer Taste zuweisen. Tonspuren und Melodien sind ebenfalls vorgefertigt, lassen sich aber auch manuell verändern.
Es gelingt mir trotz nur sehr rudimentär entwickelten Musiktalents innerhalb weniger Minuten einen kleinen Song zu kreieren. Diesen könnte ich ebenfalls wieder mit meiner „Neighbourhood“ teilen und so zusammen mit anderen musizieren.
Andere elementare Programme wie ein Rechner, ein Zeichenprogramm oder auch die integrierte Webcam, mit der sich Videos aufzeichnen und verschicken lassen oder auch Chats möglich sind, funktionieren ebenfalls tadellos und lassen sich sehr intuitiv bedienen. Hier endet die Palette der Möglichkeiten, die „Sugar“ bietet aber noch nicht.
Von Schildkröten und Autos
Mit „Turtle Art“ und „Etoys“ bietet „Sugar“ zwei Programme, die dem Nutzer ein Verständnis von Programmiersprachen und Programmentwicklungen geben soll. Via „Turtle Art“ lassen sich über Programmbausteine, die ich mit der Maus anordnen kann, komplexe Bilder erstellen. Ohne Anleitung verliere ich mich hier relativ schnell in den Tiefen des Programms. Anhand von Beispielen bekommt man aber einen Eindruck davon, was mit der Schildkröte (engl. turtle) alles möglich ist. Die fehlende kindliche Begeisterungsfähigkeit und das mangelnde Verständnis von Programmiersprachen machen meinen Ambitionen hier ganz schnell einen Strich durch die Rechnung.
Bei „Etoys“ wird es noch schlimmer. Spielerisch soll der Nutzer hier an die Grundlagen der Programmierung herangeführt werden. In drei Einführungsübungen bekommt man einen ersten Eindruck, was das Programm alles kann. Auch hier gibt es wieder Textbausteine mit deren Hilfe ich Programme und Abläufe konstruiere. In einer Übung soll beispielsweise eine gezeichnetes Auto durch die richtige Anordnung der Programmstücke alleine ins Ziel fahren. Der Ansatz ist auch hier gut gewählt, aber es fehlt wieder die Anleitung durch einen Lehrer.
Was kann es noch?
Neben Lern- und spielerischen Anwendungen verstecken sich auf der Festplatte auch noch ein Browser, den ich leider auf Grund der beschriebenen WLAN-Probleme nicht testen konnte, eine Chatapplikation, die neben textbasierter Kommunikation auch Sprachverbundungen über das Internetund Videochat ermöglichen soll und einige praktische Anwendungen etwa zum Messen des Abstands zwischen zwei „XO“s.
Egal welches Programm ausgeführt wird und egal wo man sitzt, das Bildgeschehen ist jederzeit lupenrein zu erkennen dank des innovativen Displays. Selbst in strahlender Sonne kann man so arbeiten, dank der eingebauten Kontrastregelung. Ein Kunststück, von dem sich namhafte Displayhersteller durchaus etwas abschauen sollten.
Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass OLPC mit dem „XO“ ein wirkliches Kunststück gelungen ist. Der kleine Wunderkasten bietet deutlich mehr als man für so wenig Geld erwarten würde. Nutzer in Entwicklungs- und Schwellenländern werden hier nicht einfach abgespeist sondern erhalten ein vollwertiges Gerät, das sich perfekt eignet, um in die digitale Welt einzusteigen – die richtigen Lehrer vorausgesetzt. Denn – intuitives Design hin oder her – ohne Anleitung bleiben gerade die komplexeren Anwendungen nutzlos.
Lieber Florian,
danke für deinen Testbericht. In Österreich und demnächst auch in Deutschland wird der grüne Wunderkasten in einigen Pilotklassen getestet.
Leider (und das gibtst du zum Glück offen zu) handelt es sich bei dem Testbericht um die Sichtweise eines PC-verdorbenen Erwachsenen – es wäre interessant, ein Kind bei seiner ersten Begegnung mit dem Gerät zu begleiten.
Einige Highlights der Bildungsinitiative finden keine hinreichende Beachtung:
Einen sehr guten Vortrag über das Projekt hielt
Christoph Derndorfer von der TU Wien Anfang des Jahres in Chemnitz:
One Laptop Per Child – Eine Bildungsinitiative (Audio-Podcast)
http://chemnitzer.linux-tage.de/2008/vortraege/detail.html?idx=93