Der neue Personalausweis wurde im November 2010 in Deutschland eingeführt. Während die Regierung ihn als Fortschritt anpreist, macht sich in der Bevölkerung Unzufriedenheit breit. Was kann der neue Ausweis und wie bewährt er sich in der Praxis? politik-digital.de hat nachgefragt.

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Seit dem 1. November 2010 können deutsche Staatsbürger den neuen Personalausweis (nPA) im Scheckkartenformat beantragen. Neben der üblichen Ausweisfunktion und der Option, seinen Fingerabdruck speichern zu lassen, bietet er auch eine integrierte Chipkarte, die die sichere Benutzung im Internet ermöglichen soll. Die Funktionen der elektronischen Identifikation (eID) und der digitalen Signatur sollen es ermöglichen, Behördengänge, Vertragsabschlüsse und Einkäufe sicher und unkompliziert online zu erledigen. Um den Ausweis mit dem eigenen Computer zu verbinden und anzuwenden, benötigt man zunächst die passende Software und ein Kartenlesegerät. Dieses gibt es in drei verschiedenen Ausführungen und Preisklassen zwischen circa 20 und 130 Euro: Basis, Standard und Komfort. Die entsprechende Software, die sogenannte „AusweisApp“, kann man kostenlos downloaden. Der Ausweis selbst kostet 28,80 Euro und für das Freischalten der eID sowie das Entsperren und Ändern der persönlichen PIN-Nummer müssen nochmals je 6 Euro gezahlt werden. Auch für den Erwerb eines Zertifikats für die digitale Signatur kommen weitere Kosten auf den Verbraucher zu.

Nach gut neun Monaten Laufzeit mit mittlerweile rund sechs Millionen Inhabern des neuen Ausweises sind von den versprochenen innovativen Möglichkeiten, die man für die oben genannten Preise auch erwarten könnte, nicht viele in die Praxis umgesetzt worden. Stiftung Warentest hat den Personalausweis über mehrere Monate hinweg getestet – das Ergebnis ist aus ihrer Sicht „ernüchternd“.

Zunächst wurde neben den hohen Kosten auch die sehr dürftige Beratung für den Bürger kritisiert. Oft wussten die Beamten nicht mehr als in der Broschüre des Bundesinnenministeriums nachzulesen ist, und konnten auf Fragen der Benutzer keine hinreichenden Antworten geben.

Als „zweifelhaftes Geschenk“ bezeichnete Stiftung Warentest, dass viele Behörden den Bürgern ein kostenloses Basislesegeräte mitgeben. Zwar sind der Personalausweis und die Chipkarte selbst, soweit bekannt, sicher. Der Chaos Computer Club (CCC) warnte jedoch eindringlich vor der Benutzung der preiswerten Kartenlesegeräte ohne eigene Tastatur. Mithilfe sogenannter Key-Logger könnten Hacker den über die Computertastatur eingegebenen PIN erbeuten und die Ausweisfunktion so lange für die eigenen Zwecke nutzen, bis die Karte wieder aus dem Lesegerät entfernt wird. Allgemein sei der nPA nur so sicher wie der Rechner, an dem der Nutzer arbeitet, befand Constanze Kurz, Sprecherin des CCC im Interview mit politik-digital.de.

Ein weiteres Problem, das der Stiftung Warentest auffiel, war die fehlerhafte “AusweisApp“, die man braucht, um die eID-Funktion am heimischen PC nutzen zu können. Die nötige Installation sei „recht kompliziert und störanfällig und bei Benutzung älterer Computer auch zeitraubend“, so das Urteil der Warentester. Oft sei das Programm im Test abgestürzt, wenn andere Anwendungen im Hintergrund liefen. Wenn die Software überhaupt nicht funktionierte, dann lag es meist daran, dass im Browser die Cookies ausgeschaltet gewesen seien. Diese zu aktivieren, sei gemeinhin einfach, nur wurde dieser Umstand fast nirgendwo erwähnt, so dass sich die Fehlersuche als sehr langwierig erwies.

Die versprochene Möglichkeit der digitalen Signatur, um „elektronische Dokumente rechtswirksam signieren zu können“, kann aktuell überhaupt nicht genutzt werden. Welt Online berichtete, dass sich für die digitale Signatur zunächst sogenannte Trustcenter einschalten müssten, die die Authentifizierung der Kommunikationspartner übernehmen könnten. Da aber weder Angebot noch Nachfrage vorhanden seien, würden die Trustcenter diesen Dienst bislang gar nicht erst anbieten.

Das zweite Versprechen, die Nutzung des nPA zur elektronischen Identifikation, wurde zwar bereits eingelöst, doch wird die Funktion in der Praxis bisher nur äußerst eingeschränkt eingesetzt. So kann man etwa bei der Schufa eine Auskunft zur eigenen Bonität erhalten. Auch die Bundesagentur für Arbeit gibt über die eID Informationen zum Kindergeld heraus und beim Kraftfahr-Bundesamt kann der Bürger den Stand seines Punktekontos abfragen. UPDATE:Ab sofort kann man auch Online-Petitionen mit dem neuen Ausweis auf openPetition.de verbindlich unterzeichnen.

Vorreiter bei den Kommunalverwaltungen in Sachen E-Ausweis ist Münster. Hier kann man bereits verschiedene behördliche Anträge, Anmeldungen und Bestellungen online aufgeben. Leider stehen diese durchaus hilfreichen Angebote auch nach einem Dreivierteljahr noch immer recht alleine da. Vor allem die Wirtschaft scheint kaum an der Schaffung neuer Angebote interessiert zu sein. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club sieht als Ursache hierfür das Abwägen von Kosten und Nutzen seitens der Unternehmen, wobei aufgrund sehr geringer Benutzerzahlen die Kosten momentan noch deutlich überwiegen würden. Nur 27 Nutzungsmöglichkeiten der eID im Internet gibt es bis dato, eine Zahl, die zu wünschen übrig lässt, insbesondere wenn man ihr die Ausgaben für die Entwicklung des nPA gegenüberstellt, die sich laut Welt Online auf fast 50 Millionen Euro belaufen.

Aufgrund dieser Mängel und dem Fehlen von Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis betitelte Welt Online den neuen Personalausweis als „Totalausfall“ und Constanze Kurz bezeichnete ihn gegenüber politik-digital.de als einen „Rohrkrepierer“. Die Idee, die der Staat mit dem Ausweis hatte, sei „keine schlechte“ gewesen, doch die Umsetzung sei in vielen Teilen „nicht adäquat“.

Ganz im Gegensatz zu diesen negativen Ergebnissen und Urteilen kam die Studie „Branchenkompass 2011 – Public Services“ zu äußerst positiven Bewertungen. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte im Auftrag von Steria Mummert Consulting und dem FAZ-Institut eine Umfrage bei Behörden verschiedener Verwaltungsebenen vorgenommen. Hier sehe man laut Studie den neuen Personalausweis als „Top-Verwaltungsmodernisierer“ und „Hoffnungsträger“. Viele Behörden seien aktuell in der „Konzeptions- und Umsetzungsphase“ und bis 2013 wollten 64 Prozent der Behörden die elektronische Signatur und 63 Prozent die Online-Ausweisfunktion des Personalausweises für ihre Angebote im Netz nutzen. Christian Mohser, Senior Manager Public Services bei Steria Mummert Consulting, erklärte gegenüber politik-digital.de: „Im Vergleich zu ähnlichen Projekten hat sich der neue Personalausweis sehr gut geschlagen. Nach anfänglichen Einführungsschwierigkeiten haben sich Infrastruktur und Prozesse bei allen Beteiligten stabilisiert und etabliert“.

So fällt die Bilanz nach einem Dreivierteljahr zwiespältig aus: Zum einen weisen der neue Personalausweis und seine Funktionen auch Monate nach der Einführung erhebliche Mängel auf. Auch ist die Informationspolitik bislang nicht zufriedenstellend. Auf der anderen Seite werden aber auch erst bis 2020 alle Bundesbürger den neuen Ausweis haben, so dass Wirtschaft und Verwaltung noch genügend Zeit haben, praktikablere Lösungen und Angebote für die Nutzer zu finden. Wenn man die bisherigen neun Monate als Testphase betrachtet und die Behörden, wie in der Branchenkompass-Studie angegeben, weiter an ihren Konzepten arbeiten, könnte der nPA sich auf lange Sicht doch noch vom Totalausfall zum Hoffnungsträger entwickeln.

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