Automatisierte Justiz – ein Projekt aus den Niederlanden zeigt, wie es gehen kann und hat damit Erfolg. Der Robo-Richter ist wohl nur eine Frage der Zeit. Sind Justizirrtümer damit eine Sache der Vergangenheit?
Menschliche Entscheidungen sind häufig intuitiv und leicht beeinflussbar. Wir sind schlecht darin, Wahrscheinlichkeiten korrekt zu beurteilen und über- bzw. unterschätzen daher gerne Risiken. Wird zum Beispiel anhaltend über Terror berichtet, neigen wir dazu, unser eigenes Anschlagsrisiko grob zu überschätzen. Auch orientieren wir uns an gewissen Fixpunkten, unabhängig von ihrer tatsächlichen Relevanz. Man denke nur an den Impuls, etwas zu kaufen, weil es stark reduziert ist, ganz abgesehen von der Angemessenheit des Original- bzw. vermeintlichen Schnäppchenpreises. Während man in solchen Fällen vielleicht noch von einer gewissen Korrelation zwischen Preis und Qualität ausgehen kann, lässt sich ein solcher Anker-Effekt auch bei gänzlich unabhängigen Werten feststellen.
So wurden Richter_innen in einem Versuch gebeten zwei, den Probanden unbekannterweise gezinkte, Würfel zu werfen, deren Summe immer nur drei oder neun war. Anschließend präsentierte man ihnen einen fiktiven Fall von Ladendiebstahl mit der Frage, ob sie ein Strafmaß höher oder niedriger als die gerade gewürfelte Summe aussprechen würden. Solche, die eine Summe von neun gewürfelt hatten sprachen sich im Schnitt für eine Strafe von 8 Monaten aus. Die, deren Summe drei gezeigt hatte, im Mittel für 5 Monate. Nun kann man argumentieren, dass diese Tendenz zu Fehleinschätzungen uns vermehrt nur in solchen Momenten beeinflusst, in denen wir nicht ernsthaft nachdenken. Dennoch stellt sich die Frage, ob sich solche Willkür nicht unterbinden lässt.
Scheidung per Algorithmus
Zumindest in vergleichsweise simplen Entscheidungsprozessen könnten Algorithmen hier Abhilfe schaffen. Ein Pilotprojekt bildet das niederländische System Rechtswijzer (übersetzt soviel wie: „Wegweiser zum Recht“), ein komplett automatisierter Streitschlichtungsservice. Derzeit bietet das Portal Lösungen in Scheidungsangelegenheiten und bei Beschwerden zu Online-Käufen an. Module zur Schlichtung von Mietstreitigkeiten sowie zur Konfliktlösung am Arbeitsplatz sollen folgen. Nutzer_innen des Systems füllen umfangreiche Fragebögen zu unter anderem ihrer Vermögenssituation, Bildungsstand und gemeinsamen Kindern aus, auf Basis derer ein Algorithmus dann einen Lösungsvorschlag macht. Angeblich schalten nur fünf Prozent der Nutzer_innen darüber hinaus noch menschliche Richter_innen ein.
Vorteile solcher Schlichtungsalgorithmen sind neben der Reduktion der gerade genannten Willkür auch die Vereinheitlichung von Gebühren – so zahlen Paare 100€ für die Nutzung des Portals und weitere 360€, wenn menschliche Schlichter_innen eingeschaltet werden sollen. In Deutschland sind Rechtsanwaltskosten zwar klaren Regelungen unterworfen, steigen aber proportional mit dem Streitwert der Scheidung, der sich aus Einkommen und Vermögen der Parteien zusammensetzt. Ein Wert von unter 100€ oder auch 460€ ist so kaum erreichbar. Durch eine Vereinheitlichung per Algorithmus würden Scheidungen also jeden das Gleiche kosten – ob Fixkosten allerdings gerechter sind als proportional steigende, sei dahingestellt. Was außer Frage steht ist, dass eine Vereinheitlichung der Entscheidungskriterien, unabhängig von menschlichen Launen, zu bevorzugen ist.
Die Limitationen einer solchen Plattform sind allerdings schnell erreicht. Nur in Streitsituationen zwischen zwei Parteien, in denen es um eindeutig kalkulierbare Variablen geht, kann ein Algorithmus einen Lösungsvorschlag abgeben. Ist ein Prozess zu komplex oder beispielsweise eine richterliche Auslegung einer bestimmten Beweislage gefragt, könnte man aber dennoch von der preisreduzierenden Dimension einer zumindest Teilautomatisierung bestimmter Formalien profitieren.
Zukunft der Justiz?
Andererseits scheint es nur eine Frage der Zeit, bis lernende Algorithmen in der Lage sind, Urteile über weniger eindeutige Verhältnisse zu fällen. Vorstellbar ist, dass mittelfristig eine Umkehr der Verhältnisse stattfindet: anstatt, dass der Algorithmus Jurist_innen unterstützt, unterstützen diese den Algorithmus, füttern ihn mit Meinungen und menschlichen Einschätzungen und lassen ihn ansonsten walten.
Natürlich wäre so ein Algorithmus aber nur so gut wie seine Programmierer_innen und die zugrundeliegenden Daten. Brächte man einem Algorithmus beispielsweise bei, Entscheidungen auf Basis historischer Urteilssprechungen zu fällen, würden systematische Fehler in dieser Datenbank konsequenterweise auch von der Maschine übernommen. Hindernisse dieser Art sind aber keineswegs unüberbrückbar. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz vollautomatisierter Gerichtsurteile ist vorstellbar, insbesondere, wenn sie schrittweise eingeführt wird – in diesem Sinne ist Rechtswijzer nicht nur ein Wegweiser zum Recht, sondern auch ein Wegweiser in die Zukunft.
Titelbild: Frau mit Smartphone via unsplash von Benjamin Child,
Smartphone via pixabay von geralt, licenced CC0, [bearbeitet]
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Als nächstes folgt dann der AnwaltsAlgo, der es besonders gut schafft, die einprogammierten Vorurteile des RichterAlgo auszunutzen. Das gibt ein fröhliches Wettrüsten, das sich am Ende auch wieder nur die Wohlhabenden leisten können. Gerechter wird dadurch gar nichts.