Was für ein Jahr! Was für ein Jahrzehnt geht nun zu Ende. Viele vor allem junge Menschen gehen auf die Straßen, um zu demonstrieren, es möge sich bald etwas ändern. Wieder hat die Digitalisierung einiges verändert. Darum ist es Zeit, das digitale Jahr 2019 zu dekodieren.

Neue Funktionen, alte Fragen!?

Künstliche Intelligenz – es ist das brandaktuelle Thema, das mittlerweile auf keiner Veranstaltung zu Digitalem mehr fehlen darf. Wohl kaum etwas anderes hat das digitale Jahr mehr geprägt als die zukünftigen Auswirkungen einer scheinbar immer intelligenteren, künstlichen Intelligenz. Diesen Fragen widmet sich seit diesem Jahr der Amplifier als Veranstaltungsraum rund um die digitalen Themen der Zukunft. Gemeinsam mit GSG Berlin, Netzpiloten, NKF Media, politik-digital e.V. und FTWild soll hier ein Anziehungspunkt für die Berliner Digitale Szene entstehen. Die wichtigste Frage aber ist: Was ist Digitalisierung?

„Digitalisierung ist für mich kein großes Ziel. Digitalisierung ist für mich ein Werkzeug, um Probleme zu lösen“, erläuterte Stefan Eckart (25) im Zollhof Nürnberg. Gemeinsam mit anderen Start Ups haucht der junge Unternehmer digitalen Wüsten neue Dynamiken ein. Digitalisierung heißt Probleme neu zu denken, oder mit der Charta Digitale Bildung zu fragen:

• Wie nutze ich es?
• Wie funktioniert es?
• Wie wirkt es auf mich und die Gesellschaft?

Digital durch die Welt

Insbesondere die weltweiten Veränderungen durch den Klimawandel haben in diesem Jahr die öffentliche Debatte bestimmt. Davon inspiriert haben wir uns nach intelligenter Mobilität umgesehen, um herauszufinden, was sich weltweit in der digitalen Welt getan hat. Insbesondere in Afrika sind wir auf viele neue Ansätze im Bereich m-health gestoßen. Häufig heißt es hier aufgrund der schlechten Infrastruktur vergeblich warten bis der Arzt kommt. Daher haben viele kreative Start Ups neue Ansätze entwickelt, um die Distanzen zwischen Patienten und Ärzten digital zu überwinden. Allerdings zeigte sich bei unserer Reise auch, dass mehr Förderungen lokaler Initiativen wie den African Business Angel Network, Afrilabs oder Jokkolabs nötig sein werden, damit mehr Menschen in Afrika von den digitalen Start Ups profitieren können.

Auch vor Ort verändert sich vieles für jene, die nicht mit der digitalen Welt aufgewachsen sind. Vor allem ein fehlendes Verständnis für die digitale englische Sprache, die Angst etwas kaputt zu machen, sowie fehlende Lernangebote für Silver Surfer machen es älteren Menschen schwer, sich in dieser neuen Welt zurecht zu finden. Viele Menschen in ländlichen Räumen leben zunehmend isoliert. Initiativen wie von Dagmar Hirche, Vorsitzende des Vereins Wege aus der Einsamkeit, helfen dieser immer weiter wachsenden Gruppe, sich zurechtzufinden, Kontakt mit Familien und Freunden in der Ferne zu halten.

Digitale Tools versprechen, überall leben und arbeiten zu können. Aber für jene, die auf der Straße leben, stellen sich besondere Hürden der digitalen Teilhabe. Neben mangelnden technischen Kenntnissen sind es die fehlende Infrastruktur und nicht vorhandene Meldeadresse. Sie machen es Obdachlosen besonders schwer, Zugang zu digitalen Möglichkeiten zu erhalten. Anwendung wie sofahopper versprechen es, eine Bleibe auf Zeit zu finden, dabei zu helfen, den eigenen Alltag mit digitalen Technologien kosteneffizienter und selbstbestimmt zu führen.

Kreative Ideen für Künstliche Intelligenz

Jetzt ist es offiziell: Deutschland soll KI-Weltmeister werden. In diesem Jahr stellte die Bundesregierung ihre ambitionierte KI-Strategie vor. Um diese Strategie zu verstehen, ist es zunächst wichtig zu verstehen, was künstliche Intelligenz an sich ist. Intelligenz leitet sich vom lateinischen intellegere für verstehen ab. Vielen nicht bewusst, ist Künstliche Intelligenz bereits seit den 1950er Jahren ein wichtiges Forschungsfeld. Nur was macht künstliche Intelligenz intelligent? Ein Taschenrechner führt immer wieder die gleichen Operationen durch. Hingegen verarbeitet eine künstliche Intelligenz Daten, zieht hieraus Schlüsse, lernt damit und entwickelt ihr System weiter. In anderen Worten: eine künstliche Intelligenz ist ein System, welches seine Umwelt wahrnimmt, analysiert, interpretiert, sich immer besser an diese Umwelt anpasst.

Noch einmal deutlich ausgedrückt, macht der Einsatz einer künstlichen Intelligenz noch nicht intelligent, sprich löst kein Problem. Die Bundestagsabgeordnete und Publizistin Anke Domscheit-Berg kritisiert, die Bundesregierung habe gehofft, sich die „buzzigsten Buzzwords“ herauszusuchen, um auf diese Weise die Digitalstrategie innovativ wirken zu lassen. Die Bestandsaufnahme von politik-digital zeigt, dass vor allem die Umsetzung noch verbessert werden müsste, etwa in der Förderung mittelständischer Unternehmen. Langfristig soll das Siegel „AI Made in Germany“ als Qualitätsmerkmal junge, talentierte Kräfte nach Deutschland holen. Hieran zeigt sich, dass Künstliche Intelligenz eine Frage von Ethik, Gesellschaft und letztlich eigener Identität ist.

Digitale Antworten auf Soziale Fragen

Eine zentrale Zukunftsfrage lautet: „Wie wollen wir in Zukunft leben?“ „Das heißt auch, dass wir uns fragen, welche Anforderungen wir überhaupt an Zukunftstechnologie stellen wollen und welche Risiken zu erwarten sind“, erklärte Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Dazu gehört auch die Frage, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen.

Anhand der Klimabewegung oder des Brexits wird deutlich, wie empfänglich die öffentliche Debatte für Fake News geworden ist. Der „pseudo-profound bullshit receptivity” gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Mensch einer zufällig generierten Wortfolge einen Sinn zuschreibt (Beispiele finden sich hier und hier). Politisches Microtargeting konzentriert sich darauf, anhand datengestützter persönlicher Informationen personalisierte politische Botschaften zu vermitteln. Zeitgleich verlagert sich der politische Diskurs zunehmend in private Gruppen Gleichgesinnter, die sich bestärken. Infolgedessen nimmt Dark Social zu. Anders als bei großen Plattformen ist meist nicht klar, woher die Nachrichten stammen, werden diese jedoch zunehmend unter Privatpersonen geteilt. Dies erhöht die vermeintliche Glaubwürdigkeit, sorgt aber für eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Hierbei stellt sich immer wieder die Frage: „Was ist Meinung, was ist Hatespeech, was ist Zensur?“

Gegen solche Tendenzen kann es nur helfen, wenn die Mitte der Gesellschaft Position bezieht. Die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen zeigte im vergangenen Wahlkampf, wie intelligentes demokratisches Streiten möglich ist. Demokratie ist Kommunikation unterschiedlicher Meinungen – sich informiert, intelligent zu streiten, letztlich gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. Genau hier liegt das Potential der digitalen Bildung – denn demokratisch mündige Menschen zu befähigen, ist eine der Kernaufgaben der Schule.

Aus Zugang wird Umgang

In diesem Jahr feierte das Internet einen besonderen Geburtstag. Vor 50 Jahren, 1969, war es erstmals gelungen, zwei Rechner miteinander zu verbinden. Mittlerweile besitzen knapp 98% der Haushalte in Deutschland einen Computer, 99% sogar ein Smartphone. Erstaunlich hieran ist jedoch, dass jene Entwickler, die die digitale Welt von morgen gestalten, ihre Kinder in Schulen ganz ohne Tablett und Internet schicken.

Ganz ehrlich, Hand weg vom zweiten Bildschirm! Wer hat nicht während der Lektüre dieses Textes noch eben Mails geprüft oder einmal in die sozialen Medien geschaut. Die Versuchung ist einfach zu groß, doch noch die letzten Likes zu erhalten. Die sozialen Medien sind darauf ausgelegt, dass jeder Nutzer ihnen möglichst viel Zeit widmet. Ging es früher noch um Fernsehzeiten für Kinder und Jugendliche, so gibt es heute kein zeitliches Bewusstsein mehr für die Zeit am Bildschirm, bei der es häufig nicht mehr bei einem Bildschirm bleibt. Zu verlockend ist das Autoplay auf YouTube, das unendliche Scrollen in den eigenen Chroniken und Feeds. Zugegeben, es fällt schwer, bei diesen vielen Angeboten konzentriert zu bleiben.

Die erste digitale Kluft scheint durch eine zweite überbrückt worden sein. Aus Zugang wurde die Frage nach dem Umgang. Digitale Technologien eröffnen neuen Gruppen wie chronischen Kranken neue Teilhabe. Gaming kann neue Wege des interaktiven Lernen eröffnen. Letztlich kommt es nicht darauf an, wieviel Zeit, sondern wie wir diese Zeit digital nutzen.

Auf in die neue digitale Dekade

Wieder geht ein Jahrzehnt zu Ende. Diese Zeit war bestimmt durch Wunder, Verwunderungen, Krisen und Innovationen, aber auch einem größeren Bewusstsein, etwas zu verändern. Digitalisierung allein löst keine Probleme. Sie ist lediglich eine Methode, die wir in unserem digitalen und analogen (Zusammen-) Leben lernen müssen, zukünftig richtig einzusetzen.

Ein neues Jahrzehnt voller Fragen und der Suche nach Antworten, vieler Veränderungen steht bevor. Der digitale Wandel stellt uns vor die große Frage, was wir eigentlich wirklich wollen. In diesem Sinne gilt es, Digitalisierung nicht als technische, sondern gesellschaftliche Frage zu verstehen und zu vermitteln, denn wie sagte es der Informatiker Alan Kay:

„Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.“

Es ist nun an der Zeit im digitalen Zeitalter anzukommen, digital zu denken, selbst zu denken. Schließlich ist Zukunft etwas, das meistens schon da ist, bevor wir damit rechnen.

Die Autorinnen und Autoren von politik-digital wünschen allen Leserinnen und Lesern einen guten Start in das neue Jahr(zehnt) 2020.

Bild: 2020 by Tim Rickmann on flickr, CC-BY 2.0

Text: CC-BY-SA 3.0