Wie bedeutend war das Internet beim Volksaufstand in Ägypten? politik-digital.de sammelte Stimmen und Zahlen. Das Ergebnis: Gerade vor den Protesten entfaltete das Netz eine Wirkung, die viele Menschen zum Handeln ermutigte.

Seit Anbeginn der Proteste in Ägypten wird einzuordnen versucht, welche Bedeutung dem Internet dabei zukommt. Für den Psychologen Peter Kruse steht fest: “Nicht das Netz, sondern das Resonanzfeld in der Gesellschaft bewirkt die Revolution. Das Internet schafft schnell ein Gefühl von Masse und das gibt die Sicherheit, die persönliche Angstschwelle zu überschreiten, sichtbar zu werden und Wirkung zu erzeugen.” Gerade die ägyptische Jugend nutzt verstärkt das Medium Internet. Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik meint, dass die Revolutionen in Tunesien und Ägypten das Werk einer neuen politischen Generation sind: Kleine, studentisch geprägte Gruppen hätten den Protest organisiert und über soziale Netzwerke mobilisiert. Das ist schon insofern naheliegend, als dass der Anteil der unter 30jährigen an der Gesamtbevölkerung bei etwa zwei Drittel (Quelle: U.S. Census Bureau, International Data Base) liegt. Unabhängig vom Alter schwanken die Zahlen zur Internetnutzung in Ägypten zwischen 16 (Quelle: Statistisches Bundesamt) und 21 Prozent (Quelle: Internet World Stats).

 


(Autor: Carlos Latuff, Lizenz: gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons)

Nach Angaben von ANHRI gibt es in Ägypten rund 15 Millionen Internetbenutzer und etwa 200.000 Blogs. Im Report der Organisation heißt es, dass die “ägyptischen Blogger […] die politischen Zwänge durch ihre Blogs zu durchbrechen [versuchen], und sie sind bekannt für ihre bittere Kritik an der Regierung, obwohl diese versucht die Blogger zu unterdrücken.” Auch soziale Medien wie Facebook dienen dabei als Plattform. Ein prominentes Beispiel dafür ist die vor drei Jahren von Ahmed Maher gegründete Jugendbewegung des 6. April, die eine Facebook-Seite unterhält und zusammen mit den Gründern der Gruppe We are all Khaled Said die Ägypten-Proteste mitinitiiert haben soll. Insgesamt soll es 4 – 5 Millionen (Quellen: Internet World Stats, Spot on, www.checkfacebook.com) ägyptische Facebook-Nutzer geben. Zur Twitter-Nutzung durch die Ägypter während der Proteste gibt es kaum verwertbare Daten. In einem Bericht von 2009 kam Reporter ohne Grenzen zu dem Schluss, dass sich das Internet in Ägypten zu einem einflussreichen Mittel der politischen Meinungsäußerung und Massenmobilisierung entwickelt hat.

Das ägyptische Regime reagierte auf diese Entwicklung mit schärferen Kontrollen und der Festnahme missliebiger Blogger. Darunter finden sich viele junge Ägypter, die sich per Internet via Blog, Facebook und Twitter u.a. Luft über die soziale Perspektivlosigkeit verschaffen. All dies verdeutlicht, dass die Rolle des Internet im Zusammenhang mit den Protesten nicht unterschätzt werden darf. Gerade der gut ausgebildete Teil der jungen Generation nutzte schon vor Beginn des Volksaufstands soziale Plattformen wie Facebook, um sich zu vernetzen und zu organisieren. Auch der Social-Media-Experte Thomas Pfeiffer kommt zu dem Schluss, dass das Social Web gerade im Vorfeld der Proteste seine Wirkung entfaltete: “Die Menschen in Ägypten, nicht nur die ‘klassischen’ Dissidenten und Oppositionellen, haben sich gegenseitig Rückhalt geboten. Im Netz konnten die Menschen sehen: “Wir sind nicht allein.” Dass das Internet während der Proteste weniger bedeutend war, lässt sich laut Pfeiffer schon allein daran erkennen, dass die Proteste auf dem Tahrir-Platz auch weitergingen, als das Regime das gesamte Internet lahmlegte: “Jetzt aber, während die Proteste im vollen Gange sind, funktioniert die Vernetzung auch ohne Internet ziemlich gut und nachhaltig.”

Eines scheint sich zu bestätigen: Das Internet in Ägypten erreicht zwar nur eine im Vergleich zu Europa kleine Menge der Bevökerung, die scheint jedoch hoch politisiert zu sein. Diese überwiegend jungen intellektuellen Meinungsführer nutzen besonders die sozialen Medien, um den Widerstand zu organisieren. Damit öffnen sie Fenster in die restliche Welt, die Außenstehenden einen direkten Einblick in die derzeitigen Aufstände bieten. Die traditionellen Medien tun sich hingegen noch schwer mit der Einordnung dieser Informationen, da sie oft einer journalistischen Prüfung nur schwer zu unterziehen sind. Auf der einen Seite können die westlichen Medien Blogs, Twitter und Facebook-Seiten nicht mehr ignorieren, andererseits ist es weiterhin schwer, die Bedeutung dieser Informationen für die Revolution einzuordnen. Dass sie einen großen Einfluss auf die derzeitigen Aufstände haben, kann jedoch schon jetzt nicht mehr bestritten werden.

Unter Mitarbeit von Dr. Steffen Wenzel, Philipp Albrecht & Johann Eggert.

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