Ein Jahr ist es her, seit Mario Costeja González vor dem Europäischen Gerichtshof ein bahnbrechendes Urteil gegen Google erwirkte. Der Spanier hatte geklagt, weil sich Google weigerte, Verlinkungen auf alte Zeitungsartikel bei Suchanfragen mit seinem Namen zu löschen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass es auch im Internet ein Recht auf Vergessen gibt und Google in der Pflicht steht, Nutzeranfragen nach Löschung von Links zu personenbezogenen Daten nachzukommen. Wir haben den Weg zum Löschantrag ausprobiert und fragen uns: Soll eine unübersichtliche Benutzerführung als Mittel gegen die Antragsflut helfen?
„Sehr überrascht“ und „enttäuscht“ – mit diesen knappen Worten machte Google vor einem Jahr seiner offensichtlichen Missbilligung des EuGH-Urteils zum Recht auf Vergessenwerden Luft. Welche Konsequenzen man aus dem Urteil ziehen werde, ließ der Konzern seinerzeit noch offen. Heute und damit zwölf Monate nach dem Privacy-Paukenschlag aus Luxemburg ist klar: Google hat schnell und offensiv mit der Bereitstellung eines Löschungsformulars, personellen Ressourcen zur Bearbeitung der Anträge, einem Transparenzbericht und der Einsetzung eines Expertenbeirates für Fragen der Löschungspraxis reagiert. Die ablehnende Haltung des Unternehmens gegenüber datenschutzrechtlichen Löschungspflichten ist damit aber keinesfalls passé. Sie kommt nur deutlich subtiler zum Ausdruck als noch vor einem Jahr, nämlich eingebettet in die Benutzerführung von Googles Support-Seiten für Löschungsersuchen. Mit mehrdeutigen Auswahloptionen, unverständlichen Erläuterungstexten, irreführenden Zusatzinformationen und einer unübersichtlichen Seitenstruktur bringen die Usability-Profis von Google nicht nur juristische Laien, sondern auch doppelt examinierte Datenschutzrechtsexperten zum Verzweifeln.
EuGH-Entscheidung zum Recht auf Vergessenwerden (Urteil vom 13.05.2014, Rs. C‑131/12)
Auf Vorlage des spanischen Audiencia National hat der EuGH im Mai letzten Jahres entschieden, dass Suchmaschinenbetreiber auf Verlangen des Betroffenen verpflichtet sind, persönlichkeitsrechtsverletzende und datenschutzwidrige Suchergebnisse zum Namen des Betroffenen aus ihrem Suchindex zu löschen (das sogenannte Recht auf Vergessenwerden). Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens war der Fall des Spaniers Costeja González. Zu dessen Namen waren bei Google Search mehrere Zeitungsartikel zur pfändungsbedingten Versteigerung seines Grundstücks zu finden. González war der Ansicht, die Öffentlichkeit könne kein Interesse mehr daran haben, dass diese Artikel in den Suchergebnissen zu seinem Namen gelistet werden, da die Pfändung bereits seit mehreren Jahren vollständig erledigt sei. Er legte deshalb Beschwerde bei der spanischen Datenschutzbehörde ein.
Dabei sind die Forderungen des Google-Löschungsbeirates zur Gestaltung des Google-Löschungsformulars sind an Eindeutigkeit kaum zu überbieten: „Einfach zugänglich und verständlich“ lauten die Designvorgaben des achtköpfigen Expertengremiums in seinem Bericht zum Recht auf Vergessenwerden vom 6. Februar 2015. Kein Problem für Google-Programmierer, möchte man meinen. Verspricht deren Credo bzw. Googles Firmenphilosophie doch fast inhaltsgleich, neue Tools und Anwendungen so zu konzeptionieren, „dass niemand einen Gedanken daran verschwende, was man hätte anders machen können“ und kontinuierlich Verbesserungen vorzunehmen, damit die Nutzer „Informationen schnell und mühelos finden“.
Rätselhafte Wegweiser, Wegschleifen und Sackgassen
So einfach, wie dieses Versprechen glauben machen möchte, gestaltet sich die Probe aufs Exempel allerdings nicht. Statt dem Nutzer bei einer Google-Suche nach „google + suchergebnis + löschen + formular“ den direkten Zugriff auf das Löschungsformular anzubieten, erscheint ganz oben in den Suchergebnissen die Google-Supportseite „Informationen aus Google entfernen“, die sich als kompletter Gegenentwurf zu der vom Löschungsbeirat geforderten Benutzerfreundlichkeit entpuppt. Einer Erhebung im Kollegen- und Freundeskreis zufolge dauert der Klickweg durch das virtuelle Support-Labyrinth bis zum Google-Löschungsformular aufgrund rätselhafter Wegweiser, Wegschleifen und Sackgassen beim ersten Versuch mindestens 20 Minuten.
Die Verunsicherung beginnt bereits im Infotext der Websuche-Hilfe. Statt von der Löschung veralteter oder diffamierender Suchergebnisse ist hier bloß vom Entfernen privater Bankkontonummern oder handschriftlicher Unterschriften und von der erforderlichen Vorabkontaktierung des Webmasters der betroffenen Website die Rede.
Wer sich davon nicht irritieren lässt, der kann im nächsten Absatz unter den Optionen
- a) In der Google-Suche angezeigte Informationen entfernen, und
- b) Das Erscheinen von Informationen in der Google-Suche verhindern
wählen; beides durchaus attraktive Alternativen in den Ohren des Löschungssuchenden. Entscheidet man sich für Option a), schickt diese einen allerdings über kurz oder lang und nach erneutem Verweis an den Webmaster wieder zurück zur Ausgangsseite Entfernen von Inhalten aus Google. Ebenso unergiebig ist Alternative b). Sie erweist sich als Sackgasse, an deren Ende Löschungssuchende mit Tipps zum Schutz von eigenen Social-Media-Profilangaben vor Webcrawlern abgespeist werden.
Bereits etwas frustriert kann man sein Glück nun noch mit einem Klick auf die „Richtlinien zum Entfernen von Inhalten“ versuchen. Hinter diesem Link verbirgt sich zwar ebenfalls nicht das gesuchte Antragsformular. Dafür aber der vielversprechende Unterpunkt „Antrag auf Entfernung personenbezogener Daten“ mit den Auswahloptionen:
- personenbezogene Daten aus den Google-Suchergebnissen entfernen
- Informationen aus rechtlichen Gründen entfernen.
Getreu dem Motto „Probieren statt Studieren“ stellt man allerdings schnell fest, dass es sich bei der ersten Option wieder um eine Art Monopoly-Funktion „Gehe zurück auf Los“ handelt, die den Löschungswilligen erneut zurück auf die Seite Entfernen von Inhalten aus Google katapultiert. Erst bei Klick auf die zweite Option kommt man dem gesuchten Löschungsantrag durch Weiterleitung auf ein neues Auswahlmenü ein Stück näher. Unter den sieben Auswahlmöglichkeiten findet sich hier der passende Menüpunkt „Ich möchte, dass meine personenbezogenen Daten aus den Google-Ergebnissen gelöscht werden.“
Doch noch ist die Odyssee nicht zu Ende. Auch diesmal öffnet sich eine weitere Auswahlliste, die unter fünf mehr oder weniger spannend klingenden Alternativen die Option „Entfernung von Inhalte aus den Google-Suchergebnissen aufgrund eines Verstoßes gegen Europäisches Datenschutzrecht“ anbietet. Nur wer hierauf klickt, hat es fast geschafft: jetzt lediglich noch bis an das Ende der aufgefächerten Support-Seite scrollen, einen letzten Klick auf den ganz unten platzierten Link „Andernfalls verwenden Sie dieses Formular“ tätigen und endlich öffnet sich in einem neuen Tab der gesuchte Google-Löschungsantrag.
Absichtliche Irreführung, statt einfache Nutzbarkeit
Liebe Leserinnen und Leser, sie werden mir zustimmen, dass dieser Klickmarathon mit der geforderten leichten Zugänglichkeit des Löschungsformulars so wenig zu tun hat, wie Googles Geschäftsmodell mit Datensparsamkeit. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist die Vermutung, dass zahlreiche Löschungswillige angesichts des Löschungslabyrinths die Flinte ins Korn bzw. ihr Löschungsersuchen in den digitalen Papierkorb werfen. Das gilt umso mehr, als in den Google-Suchergebnissen zu den Suchbegriffen „google + suchergebnis + löschen + formular“ zumindest auf den ersten drei Seiten kein direkter Link zu dem gesuchten Google-Löschungsantrag zu finden ist.
Google-Löschungspraxis in Zahlen
Laut Google-Transparenzbericht sind bis Mitte Mai 2015 rund 255.000 Löschungsersuchen bei Google eingegangen. Knapp 17 Prozent dieser Anträge stammen aus Deutschland. Zahlenmäßig am antragsfreudigsten ist Frankreich mit mehr als 52.000 Ersuchen (über 20 Prozent aller Anträge). Von den insgesamt zur Überprüfung gestellten mehr als 925.500 URLs hat Google 41,3 Prozent nach abgeschlossener Prüfung aus den antragsgegenständlichen Suchergebnissen entfernt, für 58,7 Prozent der antragsgegenständlichen URLs aber die beantragte Löschung abgelehnt. Die Erfolgsquote der deutschen Anträge liegt etwas höher bei 48,8 Prozent der beanstandeten URLs.
Google erweist seinen Nutzern mit den Löschungs-Supportseiten folglich einen Bärendienst bei der Durchsetzung ihres Rechts auf Vergessenwerden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und noch mehr Schelm, wer an dieser Stelle darauf hinweist, dass das Google-Löschungslabyrinth in aller Deutlichkeit vor Augen führt, wie Suchmaschinenbetreiber ihr Wissen um menschliche Suchroutinen und -strategien ganz offensichtlich auch dafür missbrauchen können, ihre Nutzer par excellence im Kreis, in eine falsche Richtung oder eben in die Irre zu führen.
Geht man demgegenüber getreu Googles „Don’t be evil“-Philosophie vom guten Willen des Unternehmens aus, ist auch eine andere Lesart möglich. Dann erscheint es zumindest denkbar, dass die offensichtlich gezielte Zugangserschwerung dazu dienen soll, die in der EuGH-Entscheidung zu Lasten von Informations-, Meinungs- und Medienfreiheit angelegte Unwucht durch Zugangsbarrieren für die Durchsetzung persönlichkeitsrechtlicher Interessen auszugleichen. Eine solche Korrektur des von der Rechtsprechung statuierten Rechts auf Vergessenwerden steht allerdings nicht Google, sondern in erster Linie dem EuGH selbst und daneben allenfalls den nationalen Verfassungsgerichten zu.
Gleich welcher Motivation das Google-Löschungslabyrinth aber auch entspringt, zu einem taugt es bestimmt: als Frustrationstest in juristischen Assessment-Centern und als Büro-Challenge für verregnete Mittagspausen – ganz besonders bei Liebhabern von Hecken-Irrgärten und Maislabyrinthen.
Bild: brionv