Die Enthüllungen des amerikanischen Internetüberwachungsprogramms PRISM sorgen derzeit weltweit für Aufsehen. Dahinter steckt ein junger Mann, der, unbedrängt und scheinbar völlig ohne Not, seine Arbeit nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Um der Wahrheit Willen ließ er nicht weniger als sein Leben und seine Existenz zurück.
Edward Snowden, 29, hatte das, was man ein angenehmes Leben nennen könnte: ein mit 200.000 Doller pro Jahr sehr gut bezahlter Job, von dem er und seine Freundin im Südseeparadies Hawaii wohl mehr als gut über die Runden kamen. Noch dazu waren sein Job und seine Position von extremer Wichtigkeit. Wichtig für Präsident Obama, wichtig für Amerika. Sogar so wichtig, dass das, worum sich Snowdens Job dreht, streng geheim ist, ein Staatsgeheimnis, das gehütet wurde wie ein Augapfel.
Gute Arbeitsstelle, wichtige Position, viel Geld, privates Glück – doch Edward Snowden hat sich dagegen entschieden. Nicht nur gegen sein angenehmes Leben, sondern auch dagegen, ein Stück Überwachung, ein Stück Freiheitsbekämpfung, ein Stück Diktatur zu sein. Als technischer Mitarbeiter am US-Datenstaubsauger PRISM hatte Snowden viel Einblick in die Überwachungskultur der Vereinigten Staaten. Snowden sagt, er habe private E-Mails lesen können, Daten aus sozialen Netzwerken einsehen, private Bilder von Otto-Normalverbrauchern, Telefonverbindungen. Er konnte sich Einblick verschaffen in die privatesten Winkel x-beliebiger ausländischer Bürger. Unbescholtener Bürger, die in irgendeiner Weise über oder mit Amerika kommunizierten, und sei es nur durch die Nutzung amerikanischer Online-Dienste wie Google, Facebook und Co. So, wie es die überwiegende Mehrheit der Bürger tagtäglich tut. Und sie jeden Tag freiwillig mit noch mehr Privatsphäre füttert. „Selbst wer nicht gegen Gesetze verstößt, kann überwacht werden. Man muss nichts falsch machen, man braucht nur irgendwie in Verdacht zu geraten“
Snowden wollte Klarheit, Offenheit, Transparenz, Wahrheit. Er wollte es nicht mehr für sich behalten, dass Bürger ausgehorcht werden, dass monatlich zig Milliarden Daten willkürlich gesammelt und gespeichert werden, dass die Freiheit tagtäglich im Internet angegriffen wird. So wurde der einstige Patriot, der einst freiwillig in den Irak-Krieg ziehen wollte, um „Unterdrückten zu helfen“, zum Whistleblower, zum Staatsfeind. Das Video in seinem Hongkonger Hotelzimmer, in dem er sich gegenüber dem britischen Blatt „The Guardian“ als Quelle der Enthüllungen outete, ist mittlerweile weltbekannt. Wieder will er ‘Unterdrückten’ Hilfe leisten: den Bürgern nämlich, den Unterdrückten einer nie dagewesenen Überwachungsmaschinerie: „Die Gesellschaft sollte entscheiden, ob sie solche Praktiken zulassen will“.
Persönliches Schicksal ungewiss
Seine langjährige Tätigkeit für die amerikanischen Sicherheitsbehörden, für CIA und NSA sowie wie zuletzt für einen externen Technikdienstleister ließ ihn mehr und mehr an der Rechtmäßigkeit seiner fürstlich besoldeten Tätigkeit zweifeln. Als Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde, habe er zunächst Hoffnung gehabt, dass dem Sicherheitswahn aus der Bush-Ära enge rechtliche Ketten angelegt würden. Diese Hoffnung zerstreute sich jedoch bald in alle Winde, die Zweifel kamen wieder und vergrößerten sich scheinbar noch.
Sein angenehmes Leben von einst dürfte für immer vorbei sein, die aktuellen Enthüllungen gleichen einem privaten Himmelfahrtskommando, wie die Beispiele anderer Whistleblower zeigen. Falls Hongkong ihn, was als wahrscheinlich gilt, an die USA ausliefert, droht ihm eine langjährige Haftstrafe. US-amerikanische Politiker forderten bereits, die „ganze Härte des Gesetzes“ gegen ihn anzuwenden. Snowden selbst hofft aus politisches Asyl in Island.
Neben zahlreicher panischer Reaktionen ob des Datenlecks aus Administration und Justiz entläd sich auch eine Welle heftiger Wut, Häme und scharfer Kritik gegenüber Datenhardliner Barack Obama. Diesem wird wegen seiner fragwürdigen Sicherheitspraktiken vorgeworfen, er führe eine „vierte Amtszeit von George W. Bush“ aus. Snowden selbst wird im Internet vor allem viel Lob, Anerkennung und Verehrung zuteil. Wikileaks-Gründer Julien Assange bezeichnet ihn als „Hero“, in einer Online-Petition wird Straffreiheit für den Whistleblower gefordert.
Angesprochen auf seine größte Angst gibt Snowden weder die Furcht vor einem Dasein als Persona non Grata hinter Gittern an noch die traurige Aussicht, wohl nie mehr in sein Privatleben von einst zurückkehren zu können. „Dass sich in Amerika nichts ändert“ sei für ihn die schlimmste Vorstellung.
Ob man ihn nun als Held betrachtet oder als Vaterlandverräter, eines hat Edward Sbowden in jedem Falle bewirkt: eine kritische Auseinandersetzung mit den Machenschaften und ihren Strippenziehern, die unter dem Deckmäntelchen „Terrorabwehr“ mittlerweile jenseits jeder Verhältnismäßigkeit agieren.
Übersicht zum Stand der “Prism”-Enthüllung: http://bit.ly/17EDPF9
Bilder: Screenshot Video Praxis Films / Laura Poitras (CC BY-NC-ND 2.0)