Marionette2Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, um uns Nutzer zu manipulieren, scheinen grenzenlos. Das freie Netz ist die Spielwiese verschiedenster Interessen, die unsere Meinung bilden oder Konsumwünsche erfüllen wollen. Michael Firnkes gibt in seiner neusten Veröffentlichungen einen tiefen Einblick in eine Welt, deren Entwicklungen mehr als nur einen bitteren Beigeschmack haben.

Die Internetökonomie wächst rasant. Allein der Markt für Onlinewerbung in Deutschland wird im Jahr 2015 Umsätze von voraussichtlich fast 6 Milliarden Euro erreichen. Das weckt Begehrlichkeiten einer ganzen Dienstleistungsindustrie. Autor Michael Firnkes ist Experte rund um Corporate Blogs sowie Blog- und Content-Marketing, seine aktuelle Veröffentlichung gibt einen tiefen Einblick in neue Arbeitsweisen und technische Möglichkeiten, die bei den Nutzern möglichst suggestiv Kaufambitionen schüren sollen.

Firnkes, der als exponierter Szene-Insider berichtet, beobachtet mit Argwohn die gegenwärtigen Entwicklungen im Netz. Seine Leitthese ist, dass die gegenwärtigen Informationsleistungen von Onlineangeboten durch bewusste Manipulationen von ökonomischen und fragwürdigen politischen Interessen pervertiert werden. Dies wirft konkrete medienethische Fragen auf, die anhand vieler Beispiele und Prognosen skizziert werden. Mit aller Deutlichkeit weist der Autor auf die Gefahren für unsere Demokratie hin.

Redaktionelle und werbliche Inhalte verschwimmen

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Firnkes, Michael: Das gekaufte Web – Wir wir online manipuliert werden. Verlag: Heinz Heise, 324 Seiten, 18,95 Euro (D) / 19,50 Euro (A), 2015, ISBN: 978-3-944099-08-8

Im Zentrum steht dabei die Kritik an der zunehmenden Aufweichung von journalistischen Prinzipien wie dem Trennungsgebot von werblichen und redaktionellen Inhalten. Der Trend zu immer mehr Konsum von Onlineangeboten steigert gleichzeitig den Hunger nach Content – immer mehr und immer schneller. Die Blogosphäre steht dabei im Fokus von Unternehmen und Agenturen, die mit allen Anstrengungen versuchen, die Blogger vor den Karren ihrer Werbemaßnahmen zu spannen. Das Problem ist, dass diese Vorgehensweise für die Werbeindustrie sowie für Blogger durchaus lukrativ ist und zugleich gegenseitige Abhängigkeiten schafft. Die Blogger verdienen gut, wenn sie das Spiel der Werbeagenturen mitspielen.

Gekaufte Inhalte wohin das Auge schaut – ohne Kennzeichnungen

Die Manipulation im Onlinemarketing ist nach Firnkes von einer besonders perfiden Art geprägt, da sie immer öfter als journalistische Berichterstattung getarnt wird. Ohne die Beiträge als eine Werbeform zu kennzeichnen, werden scheinbar neutrale Informationen mit subtilen Werbebotschaften angereichert. Diverse Geschäftsmodelle sind mittlerweile notwendig für zahlreiche Onlinedienste, denn der Konsument bevorzugt Gratisangebote. Hier treten Interessenskonflikte auf, denn auch diese Dienste verursachen Kosten für die Betreiber. Um diese gegenfinanzieren zu können, sind viele Plattformen auf Werbeofferten angewiesen. Derweil entsteht auch Druck auf die Konkurrenz im Kampf um Klickzahlen und Verweildauer – sowie Einnahmen.

Masse statt Klasse

Um im Dickicht des Netzes Aufmerksamkeit zu generieren, werden auch fernab der Kommerzialisierungsstrategien manipulative Methoden angewendet. Ob eine provozierende Überschrift, einen effekthascherischen Teaser oder gar erfundene Inhalte. Dass der journalistische Kodex damit verletzt wird, ist offensichtlich. Doch wie kann sich qualitative Recherche in Zeiten knapper Ressourcen noch entfalten? Die Rahmenbedingungen erschweren das, was gemeinhin als Voraussetzung für vertrauenswürdigen Journalismus betrachtet wird: gewissenhafte unabhängige Recherche.

Unstillbarer Content-Hunger in einer schnelllebigen netzorientierten Informationsgesellschaft bietet das Einfallstor für eine Reihe an neuen Methoden. Auf der einen Seite stehen die PR-Spezialisten mit ihren vorgefertigten Texten bereit und bieten eine nicht uneigennützige Unterstützung an, um manipulative Inhalte bereit zu stellen. Auf der anderen Seite experimentieren IT-Experten mittlerweile an computergerierten Inhalten („Robo-Journalismus“), um auch die PR-Abteilung überflüssig machen zu können.

Wem kann man noch Vertrauen?

Gefälschte Produktbewertungen, pseudo-unabhängige Produktempfehlungen, gekaufte Facebook-Likes und Twitter-Follower und vieles mehr – die Liste möglicher Manipulationen ist lang. Die Lektüre des Buches ist daher ernüchternd. Denn selbst scheinbar vertrauenswürdige Plattformen wie die freie Enzyklopädie Wikipedia sind ständigen Manipulationsversuchen ausgesetzt. Ob durch Wirtschaft oder Politik, das Internet ist ein Kampfplatz für die möglichst optimale Selbstdarstellung.

Firnkes Leistung besteht vor allem darin, die gegenwärtigen technischen Entwicklungen in den kritischen Kontext mit dem demokratischen Web zu stellen. Begriffe wie Big Data, Filter Bubble, das Internet der Dinge oder die zahlreichen Marketingstrategien bilden ein Konglomerat, welches eine omnipotente Überwachung für die digitale Ökonomie gewährleistet. Am Ende ist der Benutzer – oder besser: sein Datenprofil – gefangen in einer Maschinerie, die jedem das Internet zuschneidet wie einen Maßanzug. Die kommerzielle Personalisierung beschneidet dabei die Freiheit jedes Nutzers: kein Beitrag ist mehr zufällig und jedes Produkt ist abgestimmt.

„Das gekaufte Web“ soll nach Auffassung des Verfassers jedoch keine pessimistische Zustandsbeschreibung mit noch deprimierender Prognose sein, sondern versteht sich als aufklärerisches Werk, welches Impulse zu einer notwendigen Diskussion geben möchte. Ein Plädoyer für den aufmerksamen Umgang mit neuen Medien, denn diese bestimmen unser Leben immer mehr mit. Abschließend stellt der Autor in seinem Buch acht Thesen vor, die uns zu mündigen Bürgern eines demokratischen Internets machen sollen. Doch können wir angesichts all dieser suggestiven Manipulationen auf uns selbst verlassen? Können wir die neuen Gatekeeper werden? Lässt sich das durchkapitalisierte Netz bändigen? Kann sich der Onlinejournalismus selbstverpflichten und einen alternativen Kodex hervorbringen? Sicher ist nur die Tatsache, dass wir die Entwicklungen wohl nicht aufhalten können, aber wir können sie beeinflussen. Statt Vogel-Strauß-Prinzip sei vorsichtiger Optimismus und kritisches Urteilen die Grundvoraussetzung für den mündigen Bürger in der digitalen Sphäre.

Das Buch verspricht eine kurzweilige wie erhellende Lektüre. Trotz des kompakten Hintergrundwissens ist es für Laien gut verständlich. Zweifelsohne kann der Autor damit einen wichtigen Diskussionsbeitrag vorlegen, den eine demokratische Gesellschaft um ihrer selbst willen zwingend führen muss.

Bild:CC0 kaboompics

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