im netzMit Fakten versucht der freie Journalist Stefan Mey die Vorurteile über das Darknet abzubauen. In seinem neuen Buch präsentiert er ein realistisches Bild von der verborgenen Seite des Webs – mit all seinen illegalen und kuriosen Facetten.

Drogenmärkte, Waffenhandel, Terrorismus, Auftragsmorde. Dem Darknet klebt kein allzu guter Ruf an. Sowohl in der journalistischen Berichterstattung als auch in der popkulturellen Aufarbeitung gilt dieser Teil des Internet als verruchter Hort der Kriminalität. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Mythos und Realität zunehmend – was es dem „guten“ Teil des Darknet nicht einfach macht, sich zu rechtfertigen. Der freie Journalist Stefan Mey veröffentlichte nun ein Buch, welches mithilfe von zahlreichen Studien, Fakten und Interviews Klarheit in das entstandene Netz aus Wahrheit und Fiktion bringen möchte.

Denn das Bild, das der Autor vom Darknet zeichnet, wird vielen reißerischen Journalisten nicht gefallen. „Das Darknet hat kein Monopol auf illegale Aktivitäten“, so der Autor im Interview mit politik-digital.de. Die Rolle des Darknet in der Kriminalität wird von der Berichterstattung oft gnadenlos überschätzt. „In der Öffentlichkeit entsteht das Bild, ausschließlich das Darknet sei voller böser Inhalte – das ist jedoch nicht der Fall. Alle illegalen und ethisch verwerflichen Aktivitäten spielen sich auch über Facebook, WhatsApp oder Mail ab.“ Die größte Zugangsmöglichkeit, das Tor-Netzwerk, werde täglich gerade mal von um die zwei Millionen Menschen genutzt, und konkret im Tor-Darknet sind weit unter 100.000 Menschen unterwegs – „das ist nichts im Vergleich zu beispielsweise den Nutzerzahlen von Facebook.“

Die Ironie der Selbstregulierung

Stefan Mey räumt in seinem Buch mit den allermeisten Mythen über das Darknet auf und zeichnet ein realistischeres, fast schon ernüchterndes Bild des Darknet. Die hoffnungsvollen Aspekte der Technologie – die Möglichkeiten für politische Aktivisten oder Whistleblower – machen nur einen verschwindend geringen Teil des Darknet aus. ‚Während sich die Menschen, die Tor-Software entwickeln, wünschen, dass Whistleblower und Oppositionelle das Darknet für sich entdecken, wird das Darknet zurzeit überwiegend für eines genutzt: den hoch professionellen Kauf und Verkauf von Drogen. Die treibende Kraft des Kommerzes hat die digitale Unterwelt in eine große, illegale Einkaufsmeile verwandelt‘, schreibt Mey in seinem Buch.

Stefan Mey, © Ralf Rühmeier
Stefan Mey, © Ralf Rühmeier

 

Der Autor stellt dabei detailliert die verschiedenen Bereiche des Darknet und seiner Kuriositäten dar. Da es im Darknet keine regulierende staatliche Macht gibt, hat sich auf den Drogenmärkten absurderweise ein System der Selbstkontrolle entwickelt. So führe auch die Abwanderung des Drogenhandels ins Darknet nicht nur zu einer geringeren Gefährdung durch Gewalt, sondern führen Bewertungssysteme für Händler interessanterweise zu saubereren Drogen. Natürlich ist die Illegalität damit nicht vergessen, doch Mey zeichnet ein differenziertes Bild über den Drogenhandel im Darknet, der normalen Online-Märkten wie Amazon in vielem nicht nachsteht. ‚Bei Usern kann deswegen leicht das Gefühl entstehen, sich nicht auf einem hoch illegalen Umschlagplatz, sondern stattdessen in einer Service-orientierten Einkaufswelt zu bewegen.‘

Nicht mehr als verschlüsselte Kommunikation

Der Autor spricht in seinem Buch mit zahlreichen Experten und Praktikern, die tagtäglich mit dem Darknet zu tun haben – seien es Sicherheitsberater, Aktivisten oder Strafverfolger. Dabei fallen die Urteile über das Darknet meistens recht pragmatisch aus. Selbst Behörden und Politik, denen anonymisierte Kommunikation gerne mal ein Dorn im Auge ist, sehen die Technologie eher sachlich – oft wird das Darknet nicht mehr als eine weitere Möglichkeit der verschlüsselten Kommunikation betrachtet.

Dabei geht Mey auch ausführlich und verständlich auf die zugrundeliegende Technologie ein und setzt den Fokus auf das aktuell größte Anonymisierungsnetzwerk Tor. Auch hier versucht der Autor die Diskussionspole und Widersprüche zusammenzubringen. Denn natürlich kommt auch das Tor Project nicht ohne Widersprüche aus. Der auffälligste: eine Technologie entwickeln, die weitreichende Anonymisierung zulässt und andererseits zu 85 Prozent von einer interessengeleiteten US-Regierung finanziert zu werden. Dass die Welt dabei nicht nur schwarz und weiß ist, wie es einem manche Befürworter und Kritiker des Tor-Netzwerks weismachen wollen, zeigt Mey auch in diesem Zusammenhang auf.

Die Rolle der Geheimdienste

Doch dass Geheimdienste ein Interesse an der Überwachung des Tor-Netzwerks haben, dürfte unbestritten sein. In einem Netzpolitik.org-Leak mahnte der Bundesnachrichtendienst die deutschen Behörden, dass man die Unterwanderung des Netzwerks durch andere Geheimdienste nicht ausschließen könne und die Anonymität nicht garantiert sei. Stefan Mey ist jedenfalls der Auffassung, dass man solche Meldungen durchaus ernstnehmen müsse. Nichtsdestotrotz resümiert er im Gespräch: „Natürlich ist es naheliegend, dass Geheimdienste Tor-Knoten betreiben, jedoch wird eine Mehrheit der traffic-starken Knoten des Netzwerks von bekannten Organisationen wie Universitäten betrieben. Es kann durchaus weiterhin auch für Behörden Sinn machen, Tor zu nutzen. Ich würde den Dienst immer noch empfehlen. Es gibt zwar Sicherheitsbedenken, aber ich halte Tor immer noch für sicherer als alles andere. Lieber Tor als eventuell etwas löchrige, digitale Tarnkappe als komplett ohne Schutz.“

Cover Darknet, © Beck Verlag
Mey, Stefan (2017): Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower. 239 Seiten. Preis: €14.95
ISBN: 3406713831 

Der Autor selbst ist letztlich von den Vorzügen des Darknet überzeugt – wohl auch aufgrund der Enttäuschung über die Entwicklungen im uns allen bekannten Internet. „Das Internet, das mal ein herrschaftsfreier Raum sein sollte, hat bestehende Herrschaftsverhältnisse verstärkt“ – und die bestehende Monopolisierung durch wenige Unternehmen wie Amazon, Facebook und Google werde sich mit der fortschreitenden Digitalisierung weiter verschärfen. „Mir macht der Zustand des normalen Internet mehr Sorgen als das Darknet. Darum klammere ich mich mehr oder weniger an die einzige Hoffnung, die es gibt: das Darknet.“

Doch der Weg zur breiten Nutzung der Technologie ist noch lang: „Das Darknet wirkt im Moment wie das Internet in seiner Anfangszeit. Das Hauptproblem ist das Finden von Inhalten. Das größte Wachstumsproblem des Tor-Netzwerks ist, dass der Tor-Browser für das normale Internet noch zu langsam ist und es im Darknet abseits der Drogenmärkte keine Angebote gibt, die ähnlich stark Nutzer anziehen könnten. Und auch in autoritären Staaten wie China ist es nicht so einfach, Tor zu nutzen. Ressourcenstarke Überwacher können auch den Zugang zu Tor effektiv unterbinden.“

Stefan Mey nimmt sich in seinem Buch genügend Zeit, um in die Grundzüge des Darknet, dessen Abgrenzungen und seine Begrifflichkeiten zu beschreiben – stets gespickt mit Fakten aus neueren Studien, Anekdoten und Expertenmeinungen. Das Buch ist ein optimales Werk für Einsteiger, die sich noch nicht mit dem Darknet beschäftigt haben – und für all jene, die einen realistischen Blick auf die Technologie bekommen wollen.

 

Artikelbild: @_evstratov via unsplash.com, CC0
Autorenbild Stefan Mey: © Ralf Rühmeier
Buchcover: © Beck Verlag

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