Mit dem in Gründung befindlichen Verein „D64“ hat sich ein prominent besetzter Thinktank für das digitale Zeitalter am Wochenende der Öffentlichkeit vorgestellt. politik-digital.de hat am Rande des SPD-Bundesparteitags mit dem Vorstandsvorsitzenden Mathias Richel über Gründungsmotive und Ziele gesprochen.

 

Die Aufregung in den einschlägigen Foren und Timelines war groß, als im April 2011 anlässlich der jährlichen Konferenz re:publica der Verein „Digitale Gesellschaft“ an den Start ging. Der Vorwurf damals: mangelnde Transparenz in einer Versammlung von „Berlin Mitte-Nerds“ und der Verdacht, es könne sich bei der Initiative, die maßgeblich von dem Berliner Netzaktivisten und Enqute-Sachverständigen Markus Beckedahl vorangetrieben worden war, um ein netzpolitisches „U-Boot der Grünen“ handeln, kam schnell auf. Mit all diesen Fragen sahen sich auch die Initiatoren des digitalen Thinktanks “D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt” konfrontiert, die die Gründung ihres Vereins am Vorabend des aktuellen SPD-Bundesparteitags in Berlin bekanntgegeben haben und damit – vermutlich mehr als ein willkommener Nebeneffekt – die Aufmerksamkeit der netzpolitischen Szene aus Offenbach am Main weglenkten, wo sich die Piratenpartei zeitgleich zu ihrem Bundesparteitag versammelt hatte. Dort spielte das Thema Netzpolitik hingegen bemerkenswerterweise nur eine marginale Rolle.

Ein weiterer elitärer Zirkel von Netzaktivisten oder etablierten Politikern sei der neue Verein, dessen Gründung seit einem Washington-Besuch des SPD-Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil vor bald anderthalb Jahren nach und nach Gestalt annahm, jedoch keinesfalls: „Wir laden jeden ein, dabeizusein“, so die Aufforderung des Vorstandsvorsitzenden Mathias Richel im Gespräch mit politik-digital.de. Trotz dieses Anspruchs habe es, so Richel auf Nachfrage, aber selbstverständlich auch Kritik am Zustandekommen sowie den Vorwurf der mangelnden Transparenz gegeben.
Dem will man auch mit der Namenswahl entgegentreten, rekurriert doch die Zahlenkombination 64 auf die mit dem Modell C64 aus dem Hause Commodore aufgewachsene Generation.

Die Bekanntgabe der Gründung am Vorabend der SPD-Parteitagseröffnung war kein Zufall. Mit Persönlichkeiten wie dem „elektrischen Reporter“ Mario Sixutsoder der Journalistin Mercedes Bunz waren zwar auch Personen ohne Parteibuch an der Gründung beteiligt. Das Mitgliederverzeichnis auf der Homepage des Vereins liest sich derzeit dennoch wie ein „Who-is-Who“ netzpolitisch engagierter SozialdemokratInnen. Auf den etwaigen Vorwurf der parteipolitischen Nähe zur Sozialdemokratie reagiert man bei D64 jedoch äußerst offensiv: „Wir versuchen gar nicht erst, die Nähe zu leugnen“, so Mathias Richels Antwort. Im Übrigen sei man jedoch bestrebt, mit dem neuen Thinktank über das unmittelbare sozialdemokratische Umfeld und die innerhalb der Parteistrukturen bereits etablierten Arbeitskreise und Kommissionen hinauszuwirken. Bereits am ersten Tag nach Bekanntgabe der Gründung hätten dann auch „mehr Nicht-SPD-Mitglieder als Menschen mit Parteibuch“, insgesamt etwa 60 Personen, ihr Interesse an einer Mitarbeit an dem in Gründung befindlichen Verein bekundet.

Und auch hinsichtlich der Ziele des neuen Vereins, zu dessen Gründungsmitgliedern neben Mathias Richel und dem niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil der Hamburger Blogger Nico Lumma und SPD-Bundesvorstandsmitglied Björn Böhning gehören, sehe man sich nicht als eine direkte Konkurrenz zur Digitalen Gesellschaft. Habe man doch neben dem Themenfeld der Netzpolitik einen Fokus auf weitere, viel umfassendere gesellschaftlich relevante Fragen des digitalen Zeitalters. Richel nennt hier beispielhaft die Bereiche Bildung und Kultur im digitalen Zeitalter, mit denen sich der Verein zukünftig befassen werde. Man wolle neue politische Antworten finden, „die allen Bevölkerungsgruppen mehr Teilhabe am Web, besseren Zugang zum Wissen und den Arbeitschancen des Internet ermöglichen“, heißt es in der Pressemitteilung. Konkret beinhaltet dieses Ziel u.a. die Forderung nach einem Grundrecht auf Breitband-Internet für alle, so Richel.

Und wie geht es weiter? Bereits bis Ende des Jahres soll, so die Pläne der Initiatoren, die unmittelbare Gründungsphase mit den unausweichlichen vereinsrechtlichen Formalia abgeschlossen sein. Im kommenden Frühjahr dann wird sich der neue Verein mit seinen Mitgliedern zu einem Workshop treffen und Inhalte wie Strukturen vertiefend beraten. Eine erste netzpolitische Botschaft gab der Verein jedoch bereits am Wochenende seiner Gründung aus. Von den Delegierten des SPD-Bundesparteitags fordert Mathias Richel mit Blick auf einen bereits im Vorfeld des Parteitages äußerst kontrovers debattierten Antragstext „ein starkes Statement gegen die Vorratsdatenspeicherung“.

Der SPD-Parteitag selbst beschloss heute den netzpolitischen Leitantrag “Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der digitalen Gesellschaft”, der hier zu finden ist.