Nach dem sogenannten Facebook-Mord an einer 15-Jährigen in den Niederlanden und der Verurteilung des mutmaßlichen Anstifters sprach politik-digital.de mit der Computermedienpädagogin Cordula Dernbach über die Grenze zwischen Scherz und Mobbing im Internet.
Der Tathergang des Mordes an der 15-jährigen Schülerin ist laut Polizeibericht eindeutig geklärt, die Ursache und das Motiv lassen sich jedoch nur schwerlich rekonstruieren. Nach Aussage der Staatsanwaltschaft soll die 15-jährige Winsie Gerüchte über ihre Freundin Polly auf dem sozialen Netzwerk verbreitet haben, woraufhin letztere gemeinsam mit ihrem Freund den Mord plante. Die beiden stifteten kurzerhand den bereits vorbestraften 14-jährigen Teenager Jinhua an, den sie unter anderem mit Gewaltandrohung und Geldangeboten unter Druck setzten. Der Täter soll nur vermindert zurechnungsfähig sein, weshalb die zuvor geforderten zwei Jahre psychologische Behandlung noch um ein weiteres verlängert wurde (auf Bewährung ausgesetzt). Im Oktober soll dann den beiden Anstiftern der Prozess gemacht werden.
Facebook und Co. als Auslöser für zukünftige Straftaten?
Inwiefern der Mord an der Jugendlichen durch den Kontakt auf dem sozialen Netzwerk gefördert wurde, ist nach wie vor umstritten. Bedenklich ist jedoch der Gebrauch von Facebook für die Androhung von Straftaten sowie das Ausüben diskriminierender Kommentare. Erst vor einigen Tagen postete ein 19-jähriger Deutscher Fotos, die ihn mit einer Schusswaffe darstellten, auf Facebook. Zudem kündigte er den Mord des neuen Partners seiner Ex-Freundin an. Mit der Drohung löste er ein Großaufgebaut der Polizei aus, die ihn schließlich festnahm. Es stellte sich heraus, dass der junge Mann unter Drogen stand und unter einer Psychose leidet. Bei der Waffe handelte es sich allerdings um eine Schreckschusspistole.
“Die Gefahren durch Chatten und Online-Netzwerke werden unterschätzt.”
Welches perfide Ausmaß Cybermobbing bzw. Cyberbullying, also das bewusste Denunzieren von Personen in sozialen Netzwerken und ähnlichen Foren, annehmen kann, sieht man an den beschriebenen Fällen. Doch wie hoch ist die Gefahr, dass solche Gewalttaten sich wiederholen? politik-digital.de befragte dazu die Computermedienpädagogin Cordula Dernbach.
Seit 2007 führt sie Onlineberatung für den Caritasverband durch und seit 2009 gehört sie zu dem Team der Onlineberater der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) mit dem Schwerpunkt Medien.
Nach Einschätzung von Frau Dernbach ist nicht nur Facebook Plattform für derartige Diskriminierungen. Cybermobbing findet ebenso auf anderen Foren, in Chats, per E-Mail, Handy und auf anderen Websites statt. Dass es zu einer drastischen Tat wie einem Mord oder auch Suizid kommt, hält sie für eine Ausnahme. Eine Frage, die sich jedoch immer wieder stellt, ist die nach dem schmalen Grat zwischen vermeintlichem Scherz und ernstzunehmendem Cybermobbing. Was für einen Erwachsenen meist klar zu trennen ist, kann von Kindern und Jugendlichen häufig erst im Nachhinein richtig eingeordnet werden.
“Kinder haben oft kein Gespür für das Ausmaß eines Scherzes. Für sie sind mögliche Folgen noch nicht so greifbar wie für Erwachsene, die bereits das Wissen und die nötige Empathie entwickelt haben. Zudem fällt es den jungen Menschen im Internet wesentlich leichter, ihre Opfer zu beleidigen, da sie dort nur einer geringen Hemmschwelle ausgesetzt sind. Sie müssen niemandem ihr Gesicht zeigen oder ihren Namen nennen”.,
erklärt Dernbach. Ist allerdings der Stein erst einmal ins Rollen gekommen, verlieren die Betroffenen oft schnell den Überblick. Die Vielzahl an Medien macht es möglich, Kommentare abzugeben, Inhalte zu teilen und zu verbreiten, so dass diese teils nicht mehr gelöscht werden können. Cordula Dernbach mahnt daher in jedem Fall zu raschem Reagieren. Die Opfer sollten sich schnellstmöglich an eine Vertrauensperson wenden, die nicht immer ein Elternteil sein muss. Gleichzeitig sind jedoch Eltern und gute Freunde in der Pflicht, dem Kind beizustehen. „Der stete Kontakt ist immer wichtig, auch bei einem pubertären Jugendlichen! Dem Kind muss immer die Tür offen stehen, denn das Gefühl, angehört zu werden, ist letztlich entscheidend.“
Keine „Allround-Prävention“ gegen Cybermobbing
Dass es nicht erst zu einer Entgleisung der Geschehnisse kommen muss, darüber informiert die Computermedienpädagogin auf Präventionsveranstaltungen. Zusammen mit Schülern und zunächst ohne das Beisein von Lehrern wird dabei Cybermobbing immer wieder zum Thema gemacht. Es gebe allerdings keine „Allround-Prävention“, erklärt Dernbach. So individuell wie die Schüler seien es oftmals auch ihre Probleme. Demzufolge müsse man auf verschiedenen Ebenen Aufklärung betreiben. Sei es durch speziell ausgebildete Polizisten, die strafrechtliche Konsequenzen erläutern, oder durch eine gezielte pädagogische Aufklärung, die auf die soziale Entwicklung und das mediale Verhalten der Kinder eingeht. Allerdings müsse man auch ein besonderes Bewusstsein bei den Schülern entwickeln. Ihnen soll verdeutlicht werden, welche Prozesse beim Cybermobbing ablaufen. Eine wichtiger Aspekt, den man nicht nur bei Cybermobbing beobachten kann, sei die Rolle des neutralen Beobachters, der versucht, möglichst nicht involviert zu werden. Ihm komme meist die größte Macht zuteil, denn mit seinem Eingreifen könne er oftmals den gesamten Ablauf unterbrechen und das Cybermobbing beenden.
Auf die Frage, ob Medienkompetenz an Schulen verstärkt unterrichtet werden soll, antwortet Cordula Dernbach mit Skepsis. Es bestehe die Gefahr, dass ein solches Fach zu sehr verschult würde. Ein reines Wissensfach mit einem Benotungssystem und einem strikten Lehrplan könne nie auf die komplizierten Begebenheiten des Cybermobbings eingehen. Daher rät Dernbach zu einem individualisierten Fach, wobei der Kontakt zu den Schülern zentraler Bestandpunkt sein sollte. Im Rahmen dessen könne man solche kritischen Fälle wie den „Facebook-Mord“ im Nachhinein besprechen, gelungene Aufklärungsfilme wie „Homevideo“ analysieren und aufbereiten. Wichtig sei es auch, aufzeigen, welche Beratungsstellen es für Betroffene gibt.
(In seinem YouTube-Video hat der User „TheReflectorX“ die Thematik noch mal umfassend zusammengefasst.)
Kristina Schröder eröffnet Zentrum für Kinderschutz im Internet
Am Montag gab Bundesfamilienministerin Kristina Schröder den Beginn des Aufbaus eines “Zentrums für Kinderschutz im Internet” (i-KiZ) bekannt. Ziel sei es, ein Bündnis von Expertinnen und Experten aus Bund und Ländern, Jugendschutz und Strafverfolgung, von Anbietern, Plattformbetreibern, Verbänden und Initiativen sowie aus Technik und Wissenschaft zu bilden, das Kindern und Jugendlichen über den sachgemäßen Gebrauch des Internet inklusive der Gefahren und Risiken informiert. Das Besondere dabei ist – über den reinen Informationsgehalt hinaus – die Möglichkeit zur direkten Kontaktaufnahme. So werden Kinder über einen “Hol’ Dir Hilfe”- und “Sag’ Bescheid”-Button direkt zur Nummer gegen Kummer oder OnlineFormularen weitergeleitet. Eltern und Erwachsenen steht der “Rat und Hilfe”-Button zur Verfügung, der sie zu einem Elterntelefon weiterleitet, sowie der “Verstoß melden”-Button. Letzterer verlinkt auf ein Hotline-Formular.
Cordula Dernbach bewertete den Start des Zentrums positiv: “Es ist wichtig, dass auch den Eltern eine Unterstüzung in den neu gegründetem Zentrum für Kinderschutz im Internet gegeben wird, Gewalt oder Belästigung zusammen mit den Kindern zu melden und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch wenn das Projekt noch in den Startlöchern steht, ist es gut, dass von Regierungsseite Hilfsmöglichkeiten angebeboten werden.” Es bleibt zu hoffen, dass Anlaufstellen dieser Art sowie die wichtige Aufklärungsarbeit von Pädagogen wie Cordula Dernbach dazu beitragen können, Tragödien wie im Fall des Facebook-Mordes zu verhindern.