Brauchen wir Ethikregeln für Informatiker und wo müssten diese wirksam werden? Wozu und in welchem Umfang sollen Datenanalysen über unsere Lebenswirklichkeit bestimmen? Der Computer-Wissenschaftler Kave Salamatian berichtete in einem Vortrag über die gefährlichen Missverständnisse im Umgang mit Wahrscheinlichkeitsrechnung, die normierende Wirkung von Statistik und die Herausforderungen für unsere gesamte Gesellschaft.
Es klingt nach einem harten Job, den der Computer-Wissenschaftler Kave Salamatian an der Université de Savoie in Frankreich verrichtet: Neben dem nötigen Know-how in Mathematik, Informatik und Programmierung versucht er angehenden Computerwissenschaftlern ein ethisches Rüstzeug für ihre spätere Arbeit mit auf den Weg zu geben. Bei seinem Vortrag „From Big Data to the banality of evil“ in der Heinrich-Böll Stiftung sprach Salamatian, der auch als Fellow an der Forschungsstelle Internet & Menschenrechte der Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder tätig ist, darüber, warum insbesondere algorithmische Modelle zur Auswertung von großen Datenmengen einer ethischen Grundlage bedürfen und wo man damit ansetzen muss.
Was soll am Feuilleton-Schreckgespenst Big Data bitte banal sein? Unvorstellbar große Datenmengen, komplexe mathematische Modelle und ein unüberschaubares Feld an Anwendungsmöglichkeiten kommen zunächst so gar nicht banal daher. An Banalität gewinnt die Sache allerdings, wenn die aus den Daten gewonnen Annahmen für wahr und absolut genommen, wenn statistische Modelle handlungsweisend und folglich individuelle Fragestellungen mit Hilfe von Algorithmen beantwortet werden. Wenn also mathematische Hochrechnungen letztlich darüber entscheiden, ob ein Kredit oder eine Sozialhilfeleistung vergeben werden oder eine Person überwacht oder inhaftiert wird.
Da Statistik die Wirklichkeit nicht abbildet, sondern begrenzt und auf Durchschnittsgrößen, Typologien und Wahrscheinlichkeiten reduziert, dürfen ihre Ergebnisse keinesfalls als strikte Handlungsmaximen verwendet werden. Stattdessen müssen sie als das betrachtet werden, was sie sind, nämlich Wahrscheinlichkeitsmodelle, so Salamatian in seinem Vortrag. Schon häufig wurde über diese Crux der massenhaften Datenauswertung diskutiert und im selben Atemzug zumeist daraufhingewiesen, wie diese Technik auf dem Weg ist, unsere Gesellschaft grundlegend zu verändern. Die fortschreitende und umfassende Datenerhebung, immer komplexer entwickelte Statistikmodelle und leistungsfähigere Computer denn je haben für Wirtschaft und Politik gleichermaßen immense Möglichkeitsräume eröffnet. Das Wissen aus den digitalen Datenschätzen verspricht Macht, Kontrolle und jede Menge Geld.
Ethikunterricht für Informatiker?
Da die Datenmodellierung ein so wirkmächtiges Instrument darstellt, so Salamatian, müsse umso dringlicher darüber gesprochen werden, wie, wozu und im Dienste welcher politischen oder wirtschaftlichen Agenda sie eingesetzt werde? Für den Computer-Wissenschaftler, der selbst junge Informatiker ausbildet, liegt in der Lehre der zentrale Zugriffspunkt für die Implementierung ethischer Grundsätze. Klar müsse auch über Privatsphäre und Datenschutz gesprochen werden, natürlich sollte nicht jeder geschriebene Code seine Anwendung finden. Doch gerade heutzutage kann bezweifelt werden, ob und wie erfolgreich sich dies verhindern ließe.
Studenten schon früh ihre soziale Verantwortung aufzuzeigen und ihnen einen Weitblick für gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und mögliche Folgewirkungen ihrer Innovationen zu vermitteln, könnte im Hinblick darauf zumindest eine wichtige Ergänzung darstellen. Dass Menschen unter spezialisierten Arbeitsbedingungen in vielschichtige, isolierte Arbeitsabläufe und hierarchische Strukturen eingebunden sind, erschwert die Möglichkeit moralischer Reflexion zudem – wie nicht zuletzt das Milgram-Experiment so gut unter Beweis stellte.
Die Idee ist gut, aber…
Dennoch oder gerade deswegen sollte die Diskussion über ethische Grundlagen für die Auswertung und Modellierung von Daten weiterhin geführt werden. Computerexperten verfügen in unserer Gesellschaft über einen zunehmenden Einfluss, weshalb ihre Eigenverantwortung immer wieder aufs Neue betont und gefördert werden muss. Nicht zuletzt ein gewisser Herr Snowden war es doch, der der Welt gezeigt hat, wie bedeutsam es ist auch für IT-Fachleute ist, die eigene Rolle innerhalb systematischer Menschenrechtsverletzungen zu hinterfragen.
Allerdings lassen sich gegen die Idee auch viele Gegenargumente ins Feld führen. So beklagte Salamatian selbst, dass nur wenige seiner Schützlinge die Motivation aufbringen würden, sich mit entsprechenden Fragestellungen auseinanderzusetzen. Auch mangele es an Interdisziplinarität, um entsprechende Inhalte fächerübergreifend zu diskutieren und zu vermitteln. Nicht zuletzt bleibt aber auch die große Frage, wie gut ein im Studium angeeignetes Wertesystem den späteren ökonomischen und beruflichen Zwängen widerstehen könnte, denen sich die Computerexperten mit Sicherheit ausgesetzt sehen werden.
Foto: Intel Free Press
Bevor man im globalisierten Internet-Zeitalter jeden Medienaufruhr mit ‘Hype’ beschönigte, um unreflektiert der ‘Schwarm-Intelligenz’ zu huldigen, sprach man einfach nur von der ‘durchs Dorf getriebenen Sau’.
Ein solche getriebene Sau ist die Forderung nach einer ‘Ethik für Programmierer’. Da häufen sich in letzter Zeit die Artikel, dass man schon wieder von einer Verschwörung der Mainstream-Presse sprechen könnte, wäre man Anhänger der AfD und triebe man sich auf den Putin-Versteher-Montags-Demos herum.
Deutschland ist digital gesehen ein ‘Failed State’, unfähig, selbst primitivste Regeln durchzusetzen. Angesichts dieses Staatsversagens zieht sich die Regierung mehr und mehr auf die Sicherung kritischer Kernbereiche zurück, wie es im IT-Sicherheitsgesetz dokumentiert ist. Der Staatsbürger als Privatperson wird dagegen schutzlos auf dem virtuellen Schlachtfeld zurück gelassen mit den warmen Worten, dass hier die Ethik für Ordnung sorgen soll.
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