Seit seiner Gründung fördert der Hackerverein Chaos Computer Club auch die Bildung zu technischen Themen. Nach zehn Jahren aktiver Bidungsarbeit hat das Projekt Chaos macht Schule die gesammelten Erfahrungen ausgewertet und eine Liste von Forderungen für eine kompetente Umsetzung zeitgemäßer Bildung erstellt. Ein Interview mit CmS-Aktivist und Informatiker Benjamin Schlüter über digitale Mündigkeit, Kompetenzen und Politik.
Der Chaos Computer Club (CCC) ist wohl jedem ein Begriff. Der größte europäische Hackerverein widmet sich seit 1981 Themen der digitalen Technologien und Computersicherheit. Mit dem Projekt “Chaos macht Schule” bilden ehrenamtliche Aktivist*innen alle an Schule Beteiligten im Bereich Medienkompetenz und Technikverständnis durch ein vielfältiges Vortrags-, Workshop- und Schulungsangebot weiter.
Ein zentrales Problem, dass dabei immer wieder auffällt: die Bildungsinstitutionen mit ihren Kerncurricula können nicht mit den rasanten Entwicklungen der neuen Technologien mithalten und deren effektiven Nutzen kaum mit ihrem Lehrprogramm vereinen. Hier setzt Chaos macht Schule (CmS) mit ihren fünf Forderungen für die Digitalisierung der Bildung an. Benjamin Schlüter und Steffen Haschler haben sie auf der re:publica 2017 in Berlin vorgestellt.
1. Digitale Mündigkeit der Schüler und Schülerinnen
2. Fächerübergreifende Themen der digitalisierten Lebenswelt
3. Stärkung der Lehrkräfte
4. Vorbilder schaffen
5. Externe Experten einbinden
Ausführlich können sie hier nachgelesen werden.
Benjamin, woher stammt die Idee für das Projekt “Chaos macht Schule”?
Um 2007 herum gab es erste Schulen, die beim CCC angefragt haben, ob wir vorbeikommen und Workshops veranstalten könnten, um was über Technik und das Internet zu erzählen. Die Schulen haben gemerkt, dass solche Themen für Schüler*innen relevant sind, sie aber selbst über keine Kompetenzen verfügen, um den Schüler*innen das nötige Wissen zu vermitteln. Daraufhin haben dann die ersten Workshops stattgefunden, das Ganze hat sich über Schüler und Lehrer rumgesprochen, es kamen neue Anfragen und so hat sich das ganze institutionalisiert.
Wichtig war auch ein Talk auf dem nicht lange zurückliegendem 22. Chaos Communication Congress, den der CCC jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester veranstaltet. Unter dem Titel “We lost the war” stellten Rop Gonggrijp und Frank Rieger Ende 2005 fest, dass es dem CCC bisher nicht gelungen war, all die Themen, mit denen sich der CCC beschäftigt, vollständig in die Gesellschaft zu bringen. Eine Lösung ist natürlich, bei der jüngeren Generation in Sachen Bildung anzufangen – was auch eine wichtige Inspiration war, um mit Chaos Macht Schule anzufangen.
Wer fragt Euch an?
Mal kommen Anfragen von den Lehrer*innen, mal von den Elternvertreter*innen. Grundsätzlich melden sich die engagierten Leute. Aus anderen Schulformen als Grundschule oder Gymnasium kommen leider relativ wenig Anfragen. Es kommt auch vor, dass eine Lehrerin oder eine Mutter an uns herantritt, weil ihr Sohn über Dritte von uns gehört hat.
Wir machen keine große Werbung, unser Angebot spricht eher herum.
Prallen diesbezüglich nicht zwei Denkweisen aufeinander? Bei den schnellen technischen Entwicklungen ist es doch eine Herausforderung, neue digitale Methoden in dem Wissen anzuwenden, dass sie in kurzer Zeit wieder veraltet sein werden.
Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Deshalb sollte sich die Lehre nicht zu sehr auf ein aktuelles soziales Netzwerk oder eine bestimmte Programmiersprache fokussieren, sondern eine universellere digitale Mündigkeit fördern.
Auch ist es wichtig, die Rolle des oder der Lehrer*in zu überdenken. Im Zeitalter des Internets, wenn man das Web z.B. zu Recherchezwecken einsetzt, ist der Lehrer nicht mehr zwingend derjenige mit dem meisten Wissen, weil sich jede*r Schüler*in ab einem bestimmten Alter in ein Thema einlesen kann. Da muss man einfach klar machen, dass der*die Lehrer*in im Zweifelsfall derjenige ist, der den Schüler*innen hilft, wie man lernt, und der das Lernen begleitet. Lehrer können sich so etwas auch zusammen mit den Schüler*innen erarbeiten. Das ist es auch, was wir Eltern in Bezug auf digitale Medien oftmals sagen: Lasst es euch von euren Kindern zeigen; die wissen, wie das geht.
Werden Schulen in der Lage sein, diesen neuen Anforderungen mit eigenen Angeboten zu Medien- und Digitalkompetenz gerecht zu werden? Oder sind externe Experten und Fachkräfte weiterhin notwendig?
Generell bin ich der Auffassung, dass unser Bildungssystem eine Lösung für das Problem finden muss. Da digitale Medien im Lebens- und Arbeitsalltag eine wichtige Rolle spielen, muss die Schule darauf vorbereiten.
Als kurzfristige Lösung halte ich es hingegen sinnvoll, mit externen Leuten zusammenzuarbeiten. Solange die Bildungspläne so weit von den technischen Entwicklungen entfernt sind, lässt es sich kaum vermeiden, wenn man kurzfristig etwas erreichen will.
Die Schnelligkeit der technischen Entwicklungen lässt das strukturelle Problem aufkommen, dass du als Lehrer beim Schulabschluss deiner Schüler nicht den Erfolg vorweisen kannst, ihnen wirklich etwas beigebracht, sondern vielmehr optionale Lösungswege aufgezeigt zu haben, die schnell veraltet sein werden.
Das ist definitiv ein wichtiger Punkt. Viele der heutigen Berufe wird es aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung in zehn oder zwanzig Jahren möglicherweise nicht mehr geben, wenn die Schüler*innen im Berufsleben angekommen sind. Daher ist es wichtiger denn je, den Schülern kritisches Denken und Hinterfragen beizubringen. Wohingegen Schulen heute immer noch sehr stark darauf ausgerichtet sind, auf den derzeitigen Berufsalltag vorzubereiten. Auch im Bereich Digitalisierung und Schule liegt der Fokus darauf. Schüler*innen lernen z.B. Programmieren oder wie ein Office Paket funktioniert. Das bereitet möglicherweise auf das heutige Berufsleben vor, aber weniger auf das Leben der Zukunft, von dem wir alle nicht wissen, wie es aussehen wird.
Wäre es aus Deiner Sicht wünschenswert, dass irgendwann gar keine externen Expert*innen mehr nötig sind?
Ich würde mir wünschen, dass “Chaos macht Schule” irgendwann überflüssig wird und die Schulen das selbst schaffen. Der Weg dahin ist aber noch weit.
Wenn man sich die Entstehung eines Bildungsplans anschaut oder wie die Lehrerausbildung funktioniert, wird man feststellen, dass das alles ein sehr langsamer Prozess ist. Bis sich Änderungen in Lehrplänen widerspiegeln, dauert es einfach, während technische Entwicklungen sehr, sehr schnell sind. Weiterhin muss man sehen, dass das ganze Schulsystem kein Geld hat. Wenn Schulen das Geld fehlt, um Toiletten zu reparieren, da ist man natürlich noch weit davon entfernt, über Technik zu reden. Technik veraltet zudem sehr schnell. Da wäre es eine gute Möglichkeit, mit lokalen Bildungsinitiativen zusammenzuarbeiten wie z.B. Makerspaces.
Ihr fordert auch hauptamtliche Administratoren an Schulen. Warum?
Computersysteme kann man nicht einfach kaufen, aufstellen und dann laufen sie, sondern man muss sie pflegen, Updates einspielen, neue Software installieren. Man muss das Zusammenspiel sehen und das tun sehr viele Schulen nicht. Wir würden es sehr begrüßen, wenn das Problem erkannt und Leute dafür abgestellt würden, die sich damit auskennen und genug Zeit dafür haben. Denkbar wären auch Administrator*innen, die an mehreren Schulen arbeiten.
Bei welcher Gruppe trägt Euer Engagement am meisten Früchte? Schüler, Lehrer oder Eltern?
Das kann man relativ schlecht vergleichen, das sind unterschiedliche Ansätze.
Wir arbeiten mit Schüler*innen, um die nachfolgende Generation zu erreichen. Wir entsprechen natürlich nicht dem Bild, das ein Lehrer abgibt, das ist ein gewisser Gegenentwurf. Dadurch haben wir schon einen gewissen Einfluss und die Kinder und Jugendlichen sind da sehr offen.
Auf der anderen Seite können wir durch Lehrer*innenfortbildungen letztendlich viel mehr Leute erreichen, weil sie das Wissen idealerweise direkt weitergeben.
Bei der Arbeit mit den Eltern geht es einfach darum, zu sensibilisieren und ihnen beizubringen, was es bedeutet, beispielsweise einem Grundschüler ein Smartphone mit Internetzugang in die Hand zu drücken. Vieles von dem, was die Kinder machen, geschieht im Zusammenspiel mit den Eltern.
Könntet ihr euch vorstellen, euch mit der Initiative auch in die Lehramtsausbildung einzubringen?
Chaos macht Schule ist für uns ein ehrenamtliches Freizeitprojekt, d.h. unsere Reichweite und unsere Kapazitäten sind begrenzt. Auf Anfrage würden wir natürlich auch Lehrer*innenfortbildungen geben. In nächster Zeit wollen wir unseren Fokus aber auf das Thema “Offene Bildungsmaterialien” legen, wodurch wir unser Know-How bereitstellen können, aber nicht alles selbst durchführen müssen. Gerne würden wir mehr mit Lehrer*innen zusammenarbeiten, auf akademischer Ebene ist unsere Initiative allerdings nicht flächendeckend durchführbar.
Im Bereich digitaler, zeitgemäßer Bildung gibt es inzwischen einige verschiedene Initiativen und Projekte mit ähnlichen Zielen – glaubst du, dass eine stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit regional oder sogar bundesweit hilfreich wäre?
Es gibt in Deutschland ziemlich viele Initiativen in dem Bereich. Sei es “Jugend hackt“, das CoderDojo oder oder die Edulabs, mit vielen sind wir vernetzt und man tauscht sich untereinander aus. Man unterstützt sich auch gegenseitig. Findet eine Veranstaltung von “Jugend hackt” statt, helfen dort oft Leute vom CCC mit, dem Berliner CoderDojo stellen wir manchmal unsere Clubräume zur Verfügung etc.
Wir veranstalten auf dem Chaos Communication Congress immer den Junghackertag. An dem Tag haben Jugendliche bis 14 Jahre mit einem Elternteil freien Eintritt zum Congress. Wir bieten dann verschiedene Workshops für Jugendliche an. Letztes Jahr hatten wir 15 verschiedene Initiativen, die an dem Tag auf unserer Veranstaltung Workshops angeboten haben. An der Organisation waren auch “Jugend hackt” und das CoderDojo beteiligt. Es wächst alles zusammen und baut sich aus.
Der von Bildungsministerin Johanna Wanka geplante fünf Milliarden schwere Digitalpakt für die verbesserte digitale Ausstattung von Schulen und anderen Bildungsinstitutionen kann möglicherweise vorerst nicht umgesetzt werden. Was sagst du zur Entwicklung in der Bildungspolitik und insbesondere zum Digitalpakt?
Die Forderungen von CmS sind unter anderem auch aus den Kultusministerkonferenzen der letzten Jahre und den aktuellen Problematiken im Bereich Digitales und Bildung hervorgegangen. Ein ausschlaggebendes Ereignis war der Digitalpakt von Johanna Wanka, der allerdings nur die technische Ausstattung von Schulen betraf. Beim Digitalpakt erhalten die Schulen das Geld nicht einfach. Sie sollen sich auf die Vergabe mit eigens entwickelten Konzepten bewerben. Für solche Konzepte wurden die Lehrer aber nicht ausgebildet. Es soll also von der Politik Geld verteilt werden, während die Lösung der eigentlichen Probleme der Digitalisierung an Schulen selbst auf unterster Ebene gelöst werden sollen. Das ist eigentlich ein Problem, was man im größeren Rahmen diskutieren und Lösungen erarbeiten müsste.
Vielen Dank für das Gespräch und deine Erläuterungen! Weiterhin viel Glück bei eurem Projekt!
Titelbild: Logo “Chaos macht Schule”
Text: CC-BY-SA 3.0