Amerikanische Updates und deutsche CyberTristesse

Im Westen was Neues? Wie so oft fällt der journalistische Blick, wenn es unter der eigenen
Top-Level-Domain leiser wird (oder gerade kein Wahlkampf ist) auf die USA.

Dort ist auch im
Internet alles besser, denn es herrscht scheinbar ewiger Wahlkampf. Immer wieder schallt die
Kunde über den Datenozean, dass neue, interaktive features den Wahlkampf revolutionieren.
Noch 1996 galt die persönliche Homepage als die Geheimwaffe im Wahlkampf, seitdem hat die
digitale Wahlkampfplattform längst ihren festen Platz im Werbemittelportfolio der "political
consultants" gefunden. Ganz gleich ob um den Einzug in das
Weisse Haus
, einen weich
gepolsterten Sessel eines Senators oder einen einfachen Bürgermeisterstuhl in den Weiten der
Prärie gestritten wird – stets leistet die persönliche Web-Site ihren Beitrag zur digitalen
Profilbildung der Bewerber.

Nun, da die Auslese der Präsidentschaftskandidaten für den Millenniums-Wahlgang so richtig in
Schwung gekommen ist, zeigt ein Streifzug zu den Bewerber-Sites, dass aus dem Experimentieren
mit dem neuen Medium ein professionelles Geschäft geworden ist. Die "Candidacy-Sites" kommen
als technisch ausgereifte, aufwendig gestylte Online-Präsenzen von der Multimedia-Stange
daher: Gute, bisweilen sogar sehr gute Sites – gleichzeitig aber auch glatt und kühl. Einzig
die oft mit viel Idealismus gestalteten "fake-sites" (wie die eines gewissen Al Bore) und die
bisweilen exzellenten "fake candidates" (z.B. der vom Online-Magazin
slate
vorgestellte Blanton
Foghorn
) sorgen für Farbtupfer im Online-Wahlkampf. Es scheint hier etwas zu geschehen,
was auch dem Mythos "Silicon Valley" einige Kratzer zugefügt hat: die kreuz- und
querdenkenden "geeks" bekommen es immer häufiger mit den kühl-berechnenden "suits", den
gewinnorientierten Anzugträgern zu tun.

Gut illustrieren lässt sich dies an der bisher wesentlichen Errungenschaft der Netzkampagne
zur Präsidentschaftswahl 2000, dem "Online Fundraising".
Die Möglichkeit zur sofortigen
Spendenerhebung über das Web erfreut sich grosser Beliebtheit und hat bereits zu einem
juristischen Update geführt. Ein zweiter Schwerpunkt ist das sog. "targeting", die gezielte
Wähleransprache durch personalisierte Postwurfsendungen. In beiden Fällen stehen die
Fortschritte auf dem Gebiet des elektronischen Handels Pate – Aufbau und Pflege einer
flexiblen Kundendatei sowie die Online-Abwicklung geschäftlicher Transaktionen werden auf
den politischen Kontext übertragen.
Man darf vermuten, dass die Perfektionierung solchen politischen Online-Marketings für die
nächsten Exportschlager der Wahlkampfberater sorgen wird. Empfänglich für neue Ideen aus den
USA ist die deutsche Politikerschar allemal. Nur schade, dass der deutsche Wahlkampftross
gerade eine Pause auf seiner Tour durch die Bundesländer einlegt.
Im Jahr nach dem Bundestagswahlkampf, der für die meisten deutschen Politikerinnen und
Politiker tatsächlichen den "Erstkontakt" mit der neuen Medienwelt bedeutete, haben die
Landtagswahlkämpfe in Hessen, Bremen, dem Saarland, Brandenburg, Berlin und Sachsen ihr
Scherflein dazu beigetragen, die Kunde vom digitalen Werbeauftritt durch die Republik zu
tragen.

Zeit für einen resümierenden Rückblick. Die journalistischen Surftouren zu den digitalen
Wahlplakaten förderten noch allzu häufig Zeugnisse eines haarsträubenden Umgangs mit einem
schon nicht mehr ganz so neuen Medium zu tage, das Resultat war meist ein unterhaltsames
"candidate bashing". Für kurze Aufregung sorgte ein Fall des "domain grabbing", der immerhin
an den Rand einer juristischen Auseinandersetzung führte. Bleiben noch die Online-Chats, die
sich im letzten Jahr zur "killer application" der politischen Online-Kommunikation entwickelt
haben. Dabei ist der Talk an der Tastatur so etwas wie das Vermächtnis von
Helmut Kohl – mit
seiner denkwürdigen Chat-Aktion aus dem September 1998, als die medienmodische Verzweiflungstat
der Union aus dem Stimmungstief helfen sollte, wies er seinen Nachfolgern den Weg in die
Informationsgesellschaft.
Inzwischen waren sie (fast) alle einmal im Netz – einige fingerfertig, einige schlagfertig,
einige schnell fertig. Aber haben sie verstanden, worauf
Gerhard Schröder in seiner
Regierungserklärung vom 10. November 1998 hingewiesen hat? Wichtig sei nämlich "nicht nur
die Technik, sondern mehr noch die Kultur dieser Form der Kommunikation." Eine Durchsicht
der Chat-Protokolle
und mehr noch die Nah-Sicht auf die Chattenden vor dem Bildschirm legt
den Verdacht nahe, dass das Internet noch immer wie ein Damoklesschwert über der politischen
Klasse schwebt. Über dem Kanzler schwebt es ganz sicher noch, denn auf den Chat mit Gerhard
Schröder wartete die diskussionsfreudige Netzgemeinde bislang vergebens.

Nicht erst seit dem denkwürdigen Auftritt in "Wetten, dass…?" ist bekannt,
dass der Regierungschef eher ein Faible für die alten Medien hat – doch was
ist mit der Garde der "Multimediapolitiker"? Dieses doch scheinbar so attraktive
und aufstrebende "Politikfeld i. Gr." scheuen Volksvertreter aller Couleur offenbar
wie der Teufel das Weihwasser. Gewiss – mit Siegmar
Mosdorf
, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium,
verbinden sich einige Aktivitäten im Umfeld von E-Commerce, digitaler Signatur
und elektronischem Wählen. Doch den richtigen Drive hat auch er noch nicht gefunden.
Zum Club der Multimediaexperten zählt auch sein Parteifreund Jörg
Tauss
, der sich vor allem durch das Engagement für den Virtuellen Ortsverein
seine Meriten verdient hat. Zwar bezieht Tauss oft und gerne Stellung zu allerlei
Themen aus der Netzwelt, doch wie verräterrisch wirkt sein "Porträt mit aufgeklapptem
Handy" im neuen Spiegel-Reportagemagazin!

Es liegt also noch vieles im Argen mit der deutschen Multimediapolitik, der
die Umzugswirren nach Berlin offenbar nicht sonderlich gut bekommen sind. Das
schon bald nach Regierungsantritt angekündigte Aktionsprogramm für "Innovation
und Arbeitsplätze", das am 22. September vorgestellt worden ist, kann nicht
begeistern. Allzuvieles darin ist bekannt und erscheint nur als ein lauwarmer
Aufguss der Arbeit der Enquete-Kommission zur Zukunft der Medien. Dieses vielgescholtene
Gremium scheint nach seiner Einstellung im übrigen eine Art Renaissance zu erfahren
– in einer Rückschau auf allerlei Gutachten, Entwürfe, Empfehlungen und Programmpapiere
zur Informationsgesellschaft markiert der Abschlussbericht der Enquete-Kommission
einen sperrigen Meilenstein. Der Versuch, daraus mit dem Aktionsprogramm ein
handlicheres Werkzeug zu destillieren, muß als beinahe gescheitert angesehen
werden. Quo Vadis, Multimediapolitik? Das ist die Frage, der sich die "Generation
Berlin" stellen muss, damit trotz des in Kürze überstandenen Millennium-Bugs
nicht Tastaturen zu klemmen, Bildschirme zu flimmern und Datenleitungen zu stocken
beginnen.