Jetzt soll wieder alles ganz schnell gehen. Nachdem die Umbenennung der Vorratsdatenspeicherung in „Höchstspeicherfrist“ nicht von der Wiedereinführung eines bereits für verfassungswidrig erklärten Gesetzes ablenken konnte, soll das entsprechende neue Gesetz jetzt in wenigen Wochen durch die Instanzen gejagt werden. Ein Kommentar zum Referentenentwurf für die Vorratsdatenspeicherung.
Einen Monat ist es her, seit Justizminister Heiko Maas die Eckpunkte für ein neues Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (Neusprech: Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten) vorgestellt hat. Seit dem Wochenende liegt nun der mit dem Innenministerium koordinierte Referentenentwurf des Justizministeriums zur Ressortabstimmung mit den übrigen Ministerien und zur Verbändeanhörung vor. Im Eiltempo soll der Vorschlag jetzt diskutiert werden. Bereits in der kommenden Woche will das Kabinett den Entwurf beschließen und diesen dann im Juni durch Bundestag und Bundesrat peitschen. Da bleibt kaum Zeit für die eigentliche parlamentarische Arbeit der Abgeordneten in den Ausschüssen, und auch die Front der Kritiker aus der Zivilgesellschaft – zum Beispiel Datenschützer und Bürgerrechtsorganisationen – hat nur wenig Gelegenheit sich zu formieren.
Ein äußerer Zwang für die Schnelligkeit, mit der hier versucht wird, ein so weitreichendes Gesetz durchzudrücken, ist zumindest aktuell nicht bekannt. Im Gesetzesentwurf wird abstrakt von „Lücken bei der Strafverfolgung und bei der Gefahrenabwehr“ und einer nicht-effektiven Strafverfolgung gesprochen, die durch die Vorratsdatenspeicherung verbessert werden soll. Diese Lücken, wenn es sie denn gibt, müssten aber schon länger bestehen, um einen so überstürzten, tiefgreifenden Grundrechteeingriff zu rechtfertigen. Aktuell gibt es jedenfalls keinen äußeren Anlass, der diese Dringlichkeit erfordert. Die Eile, mit der das Papier nun bis zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause am 3. Juli durchgebracht werden soll, schlägt sich auch in dem Entwurf nieder, der an zahlreichen Stellen fragwürdige Gesetzänderungen vorsieht.
Sind Messaging-Dienste doch betroffen?
Der Referentenentwurf orientiert sich stark an den von Heiko Maas im April vorgestellten Leitlinien. Gespeichert werden sollen Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen: Das sind Rufnummern der beteiligten Anschlüsse (auch wenn kein Gespräch zustande kam); Datum; Uhrzeit und Dauer der Gespräche bzw. des Empfangs von Kurznachrichten; Anbieter des Dienstes; die internationale Kennung von Mobiltelefonen (IMSI); sowie das Datum der Aktivierung der Dienste bei Prepaid-Karten. Hinzu kommen die Standorte der Funkzellen, in denen sich Mobiltelefone während der Gespräche und des Empfangs von Nachrichten befinden; die IP-Adressen von Internetnutzern; die eindeutige Kennung des Anschlusses sowie seines Benutzers; sowie die genauen Daten der Nutzung. All diese der Standortbestimmung dienenden Daten sollen vier Wochen gespeichert werden. Bei Internet-Telefondiensten wie Skype sollen die IP-Adressen und Benutzernamen sogar zehn Wochen lang gesichert werden. Dabei stellt sich die Frage, ob Messaging-Dienste wie Facebook und WhatsApp, die ebenfalls eine Telefonfunktion anbieten, als Internet-Telefondienste behandelt werden. In diesem Fall würde ein klarer Widerspruch zur vor einem Monat abgegebenen Versicherung vorliegen, dass eben diese Instant Messenger-Dienste von der Vorratsdatenspeicherung ausgeschlossen seien.
Die Erhebung und Sicherung der genannten Daten sollen der Aufklärung von besonders schweren Straftaten dienen, wobei es nach wie vor fraglich ist, ob wirklich alle im Straftatenkatalog aufgeführten Taten auch als besonders schwer gelten können.
Straftatbestand Datenhehlerei – Whistleblower abschrecken?
Ganz nebenbei schafft der Gesetzentwurf im Übrigen noch einen neuen Straftatbestand: §202 d: „Datenhehlerei“. Offenbar wurde der gesamte Entwurf so eilig zusammengeschustert, dass hier (versehentlich oder bewusst) ein neuer Straftatbestand geschaffen werden soll, der geeignet ist, Whistleblower und investigativ arbeitende Journalisten zu kriminalisieren. Der Datenhehlerei macht sich strafbar, wer sich und anderen nichtöffentliche Daten zugänglich macht, die ein Dritter rechtswidrig erlangt hat. Auch die Beschaffung, Überlassung und bewusste Verbreitung solcher Daten wird in dem neuen Paragraphen erfasst. Explizit ausgenommen werden lediglich Handlungen von Amtsträgern und deren Beauftragten, die in Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten geschehen und beispielsweise der Aufklärung von Steuerdelikten oder Strafverfahren dienen.
Die Legalisierung des Ankaufs von Steuersünder-CDs durch den Staat dürfte der Hauptgrund für den neuen Straftatbestand sein, der hier zusammen mit der Vorratsdatenspeicherung verabschiedet werden soll. Dass dadurch die Arbeit von investigativen Journalisten gefährdet werden könnte, hat der Verfassungsrechtler und Richter Ulf Buermeyer ausführlich dargelegt. Schließlich werden Journalisten in der Gesetzesbegründung zwar ausgenommen, diese hat allerdings keine Gesetzeskraft, da sie kein Bestandteil des verabschiedeten Gesetztextes sein wird. Und der schwammig formulierte Gesetzestext lässt große Interpretationslücken für Ermittlungsrichter, die über Durchsuchungsbeschlüsse und Überwachungsanordnungen entscheiden müssen.
Zudem stellt sich die Frage, ob Blogger, die Missstände mit Hilfe geleakter oder rechtswidrig beschaffter Dokumente aufdecken, sich ebenfalls auf ihre journalistische Tätigkeit berufen könnten, wie der Verfassungsrechtler Nico Härting zu bedenken gibt. Whistleblower, die nicht allgemein zugängliche Daten weitergeben, würden nach dem vorliegenden Entwurf in dem jedem Fall eine Straftat begehen. Auch die Abfrage-Ausnahme für Berufsgeheimnisträger birgt weiterhin Tücken. Wie bereits berichtet, werden auch die Verkehrsdaten von Journalisten, Anwälten, Seelsorgern und Abgeordneten gespeichert, dürfen aber nicht herausgeben werden. Die Strafverfolgungsbehörden müssen vor einer Datenabfrage prüfen, ob bekannte Nummern oder IP-Adressen dieser Berufsgruppen vorliegen. Für berufliche Zwecke notwendige anonyme Mobiltelefone können so allerdings nicht ausgeschlossen werden. Eine zufällige Datenabfrage bleibt damit hingegen durchaus möglich.
Und ein weiteres Detail könnte in einem anderen Bereich weitreichende Folgen haben. Da alle „Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste“ die oben aufgeführten Daten speichern sollen, sind davon unter Umständen auch die Betreiber öffentlicher WLAN-Zugänge betroffen. Die bereits viel kritisierte anstehende Änderung des Telemedien-Gesetzes, die das Providerprivileg auch auf die Betreiber offener WLAN-Netze ausweiten würde, hätte somit keinerlei Nutzen. Die hier geforderte Datenspeicherung wird kein öffentlicher WLAN-Betreiber auf sich nehmen, im Vergleich dazu wirkt die bislang geforderte Nutzerauthentifizierung geradezu geringfügig. Der Traum vom freien WLAN würde mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gleich mit dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und des Fernmeldegeheimnisses zu Grabe getragen.
Wenn hier nicht ein so unfassbares Tempo für die Verabschiedung dieses weitreichenden Gesetzes an den Tag gelegt würde, könnte man fast annehmen, das Haus des ehemaligen VDS-Kritikers Maas hat absichtlich einen unausgegorenen und juristisch fragwürdigen Gesetzestext entworfen, um den Kritikern möglichst viele Angriffspunkte zu geben. Davon ist aber nicht auszugehen, stattdessen wird wohl das Verfassungsgericht abermals einschreiten und diese irrsinnige Gesetzgebung im Nachgang erneut kassieren müssen.
Bild: geralt CC0 via pixbay
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