Mit einer großen Auftaktveranstaltung im Gasometer in Berlin ist am Montag der neue Bürgerdialog der Bundesregierung gestartet. Unter der Devise „Gut Leben in Deutschland“ will die Regierung bis zum Herbst herausfinden, was die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sich unter einem guten Leben vorstellen. Die Regierung setzt damit die Zukunftsdialoge fort, die Bundeskanzlerin Merkel bereits 2012 durchgeführt hat, damals kritisiert von der SPD in der Opposition. Zum Auftakt sagte Gabriel nun „Die Skepsis gegenüber den Politikern hat, glaube ich, zugenommen“.
Jetzt also „Gut Leben in Deutschland“. Im Mittelpunkt der Kampagne stehen die Fragen „Was ist Ihnen im Leben wichtig?“ und „Was macht Ihrer Meinung nach Lebensqualität in Deutschland aus?“. Zyniker könnten nun behaupten, dass die Regierung deutlicher nicht öffentlich eingestehen könnte, dass ein großer Graben zwischen Politik und Bevölkerung aufgerissen ist, der nun mühsam wieder abgedeckt werden soll.
Positiv betrachtet versucht die Bundesregierung mit dieser Kampagne on- und offline möglichst viele Bürger zu erreichen und einen Einblick in ihren Alltag zu bekommen, der vielen Politikern qua Amt sonst verstellt ist.
Ein bisschen Dialog
Auf der Kampagnenwebseite haben Nutzer die Möglichkeit, die Kernfragen zu beantworten und die Antworten anderer zu kommentieren. Ein Moderatorenteam des Presse- und Informationsamtes muss die Beiträge dafür zunächst freischalten und filtert rassistische, sexistische und hetzerische Kommentare vorab heraus. Ein Blog wird die Bürgerdialoge flankieren und Projekte und Initiativen aus ganz Deutschland vorstellen, die einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität leisten. Eine Begleitung der Bürgerdialoge in den sozialen Medien ist offenbar nicht geplant, die Kampagne findet online ausschließlich auf der Webseite statt. Möglicherweise eine vertane Chance angesichts der inzwischen knapp über 67.000 Fans auf Facebook und der fast 359.000 Follower des Regierungssprechers Steffen Seibert auf Twitter. Durch einen gezielten Einsatz dieser Netzwerke wäre es durchaus möglich, ein jüngeres Publikum zu erreichen, das mit der Berichterstattung in den klassischen Medien und den Offline-Bürgerdialogen nicht angesprochen wird. Fraglich, ob bei der gewählten klassischen Kampagnenstruktur tatsächlich ein heterogenes Meinungsbild dargestellt werden kann, das die Vielfalt an Lebensmodellen in Deutschland abbildet.
Die 180 bislang angekündigten Bürgerdialoge vor Ort in ganz Deutschland werden von Vereinen, Stiftungen, Kirchen, Verbänden und Gewerkschaften organisiert. Für interessierte Gruppen besteht weiterhin die Möglichkeit, über die Webseite eigene Vorschläge für Bürgerdialoge einzureichen und selbst Veranstalter zu werden. Ab Juni werden Mitglieder der Bundesregierung an den Bürgerdialogen teilnehmen und sich direkt mit den Teilnehmern über zentrale Fragen austauschen.
Die Diskussionen werden dokumentiert und gemeinsam mit den online gesammelten Antworten von einem wissenschaftlichen Beirat ausgewertet. Dieser soll anhand der Antworten Indikatoren entwickeln, um die Lebensqualität in Deutschland messen und bewerten zu können. Darauf aufbauend will die Bundesregierung einen Aktionsplan zur Verbesserung der Lebensqualität ausarbeiten. Die Ergebnisse des Berichts werden dann jedoch nicht noch einmal zur Diskussion oder online zur Abstimmung gestellt. Die Beantwortung der beiden Fragen auf der Webseite oder die Teilnahme an einem Offline-Bürgerdialog sind somit die einzige Möglichkeit für interessierte Bürger, ihre Meinung mitzuteilen oder in die Diskussion mit anderen einzusteigen.
Diese sehr beschränkten Partizipationsmöglichkeiten wurden bereits beim „Dialog über Deutschlands Zukunft“ kritisiert. Eine Weiterentwicklung der Methoden hielt man offenbar aber nicht für notwendig. Somit wirkt die Kampagne wie ein Gesprächspartner, der sich nach der herzlichen Begrüßung schon wieder zum Gehen abgewandt hat. Echtes Interesse an den Ideen und Meinungen der Bürger kann heute schon ganz anders aussehen.
Bild: socialbar
Danke für die gute Zusammenfassung. Das eine Einbindung der sozialen Medien nicht geplant ist, ist wirklich schade. Ich möchte noch einmal an den Schlussatz anknüpfen. “Echtes Interesse an den Ideen und Meinungen der Bürger kann heute schon ganz anders aussehen.” Wie denn genau? Ich bin an Ihren Ideen hierzu sehr interessiert. Was sich hingegen zum ersten Dialog schon positiv verändert hat, ist die Anzahl und die Organisation der Bürgerdialoge. Beim Zukunftsdialog der Kanzlerin gab es nur 3 Bürgerdialoge. Die Einbindung von Multiplikatoren zur Organisation der Dialoge finde ich schon innovativ. Mich treibt eher die Frage um, wie repräsentativ denn die Meinung der Bürger in den Dialogen ist, dass sich davon Indikatoren ableiten lassen. Freue mich auf Ihr Feedback und natürlich auch auf die Meinung von anderen Nutzern von politik digital!
Liebe Faru Eich, vielen Dank für Ihren Kommentar.
Eine sehr einfache Möglichkeit wäre zum Beispiel ein wirkliches (moderiertes) Diskussionsforum, in dem Ideen dann auch weiterentwickelt werden können. Die jetzt mögliche Beantwortung und individuelle Kommentierung der Fragen ist nicht nur sehr unübersichtlich, sie lässt eben auch keinen Raum für einen echten Austausch zwischen den Nutzern. Auch die Verknüpfung von online und offline Diskussion fehlt komplett. Warum sollten die Ergbnisse der Bürgerdialoge nicht auch im Nachinein online zur Verfügung gestellt werden und diskutiert werden. Könnte man nicht auch mehr Leute an den offline Diskussionen über den Einsatz von Online-Tools beteiligen? Auch online könnten richtige Diskussionen mit Ministern und vielen Bürgern z.B. durch Hangouts o.ä. stattfinden. Der vorgestellte Plan lässt den online Bürgerdialog völlig außenvor. Wer hier seine Meinung aufschreibt, wird vielleicht von ein paar weiteren Nutzern gelesen und kommentiert, aber ein Regierungsmitglied wie im offline Dialog bringt sich in diesem Bereich nicht ein.
Auch ist offenbar nicht geplant die gesammelten Ergbnisse noch einmal vorzustellen und zur Diskussion und Bewertung freizugeben. Nach der Phase der Meinungssammlung habe die Bürgerinnen un Bürger offenbar keine Gelegenheit mehr die dann von Wissenschaftlern und Experten generierten Indikatoren zu diskutieren.
Und natürlich wäre es auch eine gute Möglichkeit gewesen über Facebook und Twitter (dort hat die Bundesriegrung ja viele Likes und Follower und auch die MInisterien sind jeweils vertreten) v.a. viele junge Nutzer einzubeziehen und mit ihnen in einen Dialog zu treten, denen die Anmeldung auf der Seite des Bürgerdialogs zu lange dauert und die davon vielleicht auch gar nichts mitbekommen haben.
In der jetzt gewählten Form ist das eher Bürgerdialog 2000 als ein Blick in die Zukunft von 2015 aus.