In knapp zehnTagen wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Aktuelle Umfragen deuten auf einen Regierungswechsel in Hannover hin. Zusätzliche Bedeutung erhält die Wahl durch die sich möglicherweise verschiebenden Machtverhältnisse im Bundesrat, außerdem könnte die neue Sitzverteilung im Leineschloss als Fingerzeig für die Bundestagswahl im Herbst 2013 interpretiert werden. In einer Artikelreihe beleuchten wir das netzpolitische Wahlprogramm der Parteien: Wer ist wofür? Wer ist wogegen? Welche Themen werden nicht erwähnt?
Die Grünen haben mit Hilfe ihrer Mitglieder ein Wahlprogramm geschrieben, in dem viele aktuelle netzpolitische Themen bearbeitet werden. Netzpolitik wird in diesem Programm als Querschnittthema mit Bedeutung für die gesamte Gesellschaft verstanden. An manchen Stellen fehlt es an Innovation, dafür zeigen die Grünen alternative Lösungsvorschläge und eigene Konzepte auf.
Schnelles Internet für alle!
Der Breitbandausbau ist das netzpolitische Thema, dass alle Parteien bis auf die Piratenpartei in ihren Wahlprogrammen haben. Als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und bessere Online-Dienstleistungen für Bürger_innen fordern die Grünen auch die dafür notwendigen entsprechenden Rahmenbedingungen der Infrastruktur. Anders als die CDU setzen die Grünen hier aber auf den Staat und nicht auf finanzielle Unterstützung der kommerziellen Netzbetreiber_innen. Ziel ist es, die ländlichen Gebietet mit schnellem Internet zu versorgen. Die SPD fordert deshalb bei einem Marktversagen den Internetanschluss als Universaldienstleistung zu definieren. Auch die Grünen fordern, ″schnelles Internet als Teil der Daseinsvorsorge″ zu definieren, ″bei der Preis und Leistung an jedem Ort prinzipiell gleich sein muss″.
In ihrem Programm betonen die Grünen auch die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements – etwa bei Projekten, die private Internetzugänge per WLAN der Allgemeinheit zugänglich machen und damit einen wichtigen Beitrag zur flächendeckenden Verfügbarkeit des Internets leisten sollen. Die Grünen in Niedersachsen setzen sich dafür ein, dass Barrieren wie die Störerhaftung abgeschafft werden. Netzbetreiber_innen sollen nach Ansicht der Grünen darüber hinaus keinen Einfluss auf die übertragenen Daten haben und im Sinne der Netzneutralität dürfen bei der Datenübertragung kommerzielle Interessen nicht den Vorrang vor sonstigen Inhalten haben.
Für Offenheit und Transparenz in der Politik
Durch mehr Offenheit wollen die Grünen die niedersächsische Verwaltung modernisieren. Genau wie die SPD fordern die Grünen ein Informationsfreiheitsgesetz für Niedersachsen. Dadurch soll die wachsende Informationsmacht der Behörden für die Bürger_innen nutzbar sein. Behörden sollen deshalb ein Register über sämtliche vorhandenen Daten (in maschinenlesbarer und barrierefreier Form) veröffentlichen – egal ob diese vertraulich sind oder nicht. Daten von allgemeinem Interesse sollen die Behörden von sich aus veröffentlichen (Open Data). Die Nichtveröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Begründung im Einzelfall und muss zeitlich befristet werden. Den informatorischen Kulturwandel wollen Grüne wie auch Sozialdemokrat_innen.
Schon heute werden im niedersächsischen Landtag alle Plenarsitzungen vom NDR per Live-Stream im Internet übertragen. Die Grünen wollen dies auch für alle offen tagenden Ausschüsse – insbesondere Untersuchungsausschüsse – erreichen, um die Möglichkeiten zur Kontrolle des Landesparlaments durch die Bürger_innen zu verbessern und Interessierte über die Parlamentsarbeit zu informieren. Mit einer Reform der niedersächsischen Kommunalverfassung setzen die Grünen sich für mehr Transparenz in den Kreisen, Städten und Gemeinden ein. Von der Verwaltung genutzte Software (Open Source) und gemachte Erfahrungen sollen deshalb an Kommunen weitergegeben dürfen. Durch den verstärkten Einsatz von Freier Software und Open Source hoffen die Grünen, die monopolartige Marktmacht einzelner Unternehmen zu verringern, Lizenzkosten in Millionenhöhe vermeiden und lokale Software-Unternehmen unterstützen zu können.
Die Internetseite des Landtages soll durch ein Dokumenten-Suchsystem, eine eigene Kinder-Internetseite und die Möglichkeit der Eingabe von E-Petitionen verbessert werden. SPD und Grüne orientieren sich hier beide an den Erfahrungen des Deutschen Bundestag mit dem Instrument der E-Petition. Da Daten zunehmend Grundlage von und Argumente für politische Entscheidungen sind, fordern die Grünen eine Ausgliederung der Landesstatistik aus dem Innenministerium und damit der direkten Weisung des Innenministers und als eigenes Statistisches Landesamt dem Landtag unterstellt werden. Dadurch sollen diese Daten möglichst unabhängig und neutral erhoben, analysiert und veröffentlicht werden.
Datenschutz ist Bürgerrecht
Die Diskussion um die Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist ein politisches Reizthema in Niedersachsen. Im Gegensatz zur CDU, die ″an besonders frequentierten Plätzen (…) zur Prävention und Aufklärung von Straftaten″ auf mehr Überwachungskameras setzt, sehen die Grünen darin einen ″Wildwuchs″. Sie kritisieren der Umgang der schwarz-gelben Regierung mit dem Thema Datenschutz und streben neue gesetzliche Regelungen an. Eine Modernisierung und Präzisierung des Landes-Datenschutzgesetzes sollen den Bürger_innen die Kontrolle über personenbezogene Daten wiedergeben. Die Grünen in Niedersachsen wollen eine klare Opt-In-Lösung, die im Rahmen der geplanten Datenschutz-Grundverordnung der EU verankert werden soll.
Die Freiheit des Internets ist nicht gerade ein klassisches Landesthema, da aber der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) immer wieder die Vorratsdatenspeicherung fordert, sprechen die Grünen sich für ein Recht auf anonymes Surfen aus und ein freies Internet, indem ein ″umfangreicher, wirksamer Datenschutz, der die informationelle Selbstbestimmung der NutzerInnen achtet″, existiert. Netzsperren, den Export von Überwachungs- oder Zensur-Technologie und die Vorratsdatenspeicherung lehnen die Grünen ab und plädieren für Initiativen auf europäischer Ebene, um Vorhaben der EU-Kommission zu stoppen. Ähnliche Positionen finden sich auch in der Piratenpartei wieder.
Ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert
Der digitale Wandel stellt unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Neue Nutzungsgewohnheiten und analoge Geschäftsmodelle, die nicht mehr zu funktionieren scheinen, machen eine Modernisierung des Urheberrechts notwendig, darin sind sich alle Parteien einig. Die Grünen setzen setzen sich laut Wahlprogramm auf Bundesebene für eine zeitgemäße Überarbeitung des Urheberrechts ein. Im Zentrum soll dabei ein fairer Interessenausgleich zwischen Urheber_innen und Nutzer_innen stehen. Leider fehlen wie bei der niedersächsischen SPD und DIE LINKE genauere Ideen, wie das umgesetzt werden soll. Zwar sollen neue Vergütungsansätze entwickelt werden, dies ist aber nicht die Aufgabe der Landespolitik. Es stimmt, dass eine ″Anpassung der Schutzfristen erforderlich″ ist, das Plädoyer dafür von der CDU, die gerade beim Thema Urheberrecht mit innovativen Ideen Werbung für sich macht, klingt aber engagierter.
Beim Thema Medienkompetenz gibt es große Gemeinsamkeiten zwischen den Positionen der SPD und der Grünen. Eine bessere Ausstattung der Schulen mit moderner Technik ist notwendig, beide Parteien setzen aber auch auf Lehrpläne und eine Ausbildung von Pädagog_innen, die den digitalen Wandel widerspiegeln. Auch ein besserer Datenschutz und mehr Kompetenz im Umgang mit den neuen Medien für die Jugendlichen sind gemeinsame Forderungen. Neben Kindern und Jugendlichen wollen die Grünen durch öffentlich geförderte Angebote für Senior_innen deren Kompetenz in digitalen Medien verbessern und für eine generationsübergreifende Medienkompetenz sorgen.
Fazit
Das Programm zur Landtagswahl 2013 wurde von den Mitgliedern der Grünen Niedersachsen in vier Themenkonferenzen und einem Internetforum erarbeitet. Die Grünen können dabei im Vergleich mit der Partei DIE LINKE mehr Ideen und Konzepte anbieten und zeigen, dass im Bereich Netzpolitik viele Überschneidungen zur SPD bestehen. Im Gegensatz zur CDU streiten die Grünen für mehr Bürgerrechte, Freiheit und transparente Teilhabe. Beim Thema Urheberrecht fehlen leider innovative Ideen, die die Christdemokrat_innen dafür haben. Aus netzpolitischer Perspektive haben die Grünen das umfassendste Wahlprogramm aller Parteien in Niedersachsen.
Disclosure: Der Autor ist neben seiner Tätigkeit als Blogger und Journalist auch Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen Berlin.
Hier finden Sie das Programm der CDU im Netzpolitik-Test.
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Hier finden Sie das Programm der SPD im Netzpolitik-Test.
Hier finden Sie das Programm von DIE LINKE. im Netzpolitik-Test.