Für die einen ein Held, für die andern ein Krimineller: Zweifellos hat der immer noch unter Hausarrest stehende Wikileaks-Gründer Julian Assange in den letzten zwei Jahren die digitale Öffentlichkeit gleichermaßen gespalten wie geprägt. Jetzt ist mit „Cypherpunks“ sein neues Buch erschienen. Doch wie viel Assange steckt in dem Buch?
Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass das Buch de facto nicht von Julian Assange geschrieben wurde, sondern der Hauptteil die Verschriftlichung einer Diskussion zwischen Jacob Appelbaum, dem Gründer des Hackerspace „Noisebridge“ aus San Francisco, Andy Müller-Maguhn, dem Mitgründer von European Digital Rights, sowie Jérémie Zimmermann, dem Mitgründer der französischen Aktivisten-Organisation La Quadrature du Net, darstellt. Moderiert wurde das Gespräch, das laut den Beteiligten im vergangenen Herbst in London stattfand, von Assange selbst. Homogener und einiger können Diskussionsteilnehmer wohl kaum sein, sind sie doch alle Internet-Aktivisten, die dem Chaos Computerclub nahestehen und sich für mehr Onlinerechte, Anonymität im Netz und Transparenz einsetzen. Der Diskussion vorangestellt ist eine kurze Einleitung über die staatlichen und wirtschaftlichen Repressionen gegen Wikileaks, seine Gründer und Aktivisten.
Und als Aktivisten-Credo liest sich auch das Buch. Julian Assanges Hauptthese ist, dass Staaten und Organisationen drei elementare Freiheiten haben sollten: die Freiheit der Kommunikation und damit verbunden die Gedankenfreiheit, die Freiheit der Mobilität sowie die Freiheit der wirtschaftlichen Interaktion. Diese Grundpfeiler der Staatlichkeit (die Assange absurderweise der Hisbollah zuschreibt und sie so zu einem legitimen Staat erhebt) sieht der Wikileaks-Chef in heutiger Zeit durch mächtige Staaten bedroht. Gemeint sind damit in erster Linie die Vereinigten Staaten, aber mittlerweile nicht mehr nur. Infolge der lückenlosen Überwachung elektronischer Kommunikation – die USA haben Server, auf denen sie jeden Telefonanruf und jede E-Mail speichern – sei eine freie Kommunikation nicht möglich, so die These. Genauso wenig sei noch die Freiheit der wirtschaftlichen Interaktion garantiert, wo doch jede Finanztransaktion in den USA zentral gespeichert und der Regierung zur Verfügung gestellt wird. So hat die US-Regierung zum Beispiel nicht nur ein weiteres Instrument der Überwachung (Kenntnis u.a. darüber, wer mit Wikileaks sympathisiert und ihnen Geld spendet), sondern auch einen Hebel für Repressionen (wirtschaftliche Sanktionen gegen Wikileaks wie Sperrung von Konten). Die eingeschränkte Freiheit der Mobilität illustriert Assange vor allem am Beispiel von Jacob Appelbaum, der wiederholt bei der Ein- oder Ausreise in die USA aufgehalten, schikaniert und verhört wurde.
Legitimiert werde diese zutiefst antidemokratische Entwicklung durch die sogenannten vier Reiter der „Infokalypse“: Kinderpornographie, Terrorismus, Geldwäsche und der Krieg gegen bestimmte Drogen. Mit diesen vier Kriminalitätsbereichen werde die Einschränkung der Bürgerrechte legitimiert und der einzelne Bürger unter Generalverdacht gestellt. Dabei werde nicht in Einzelfällen bei begründetem Verdacht ermittelt, sondern es würden prophylaktisch alle Daten gespeichert – und das zu einem Bruchteil der Kosten der sonstigen Geheimdienstarbeit. „Rechtmäßige Überwachung ist ein Euphemismus – absolut, wie rechtmäßiger Mord – oder rechtmäßige Folter“ lautet der Konsens der Diskussionsteilnehmer.
Welchen Ausweg aus der Totalüberwachung gibt es?
Alle Diskussionsteilnehmer zeichnen den Kampf für Onlinerechte als Kampf zwischen David und Goliath: auf der einen Seite das Monster des illegitim handelnden Staates, der sukzessive Bürgerrechte einschränkt, seine Bürger verdächtigt und in wirtschaftliche Interessen verstrickt ist, auf der anderen Seite einige Cypherpunks (ein Hybridwort aus Cipher (Chiffre), Cyber und Punk) – jene Krieger, die mittels Internetaktivismus, Kryptographie und verschiedenen Technologien den Staat bekämpfen. Als Beispiel nennen sie den Erfinder der Bitcoins, der nicht-verfolgbaren Internetwährung. Zu welcher Seite sich die Diskussionsteilnehmer zählen, dürfte offensichtlich sein.
Wenig überraschend ist auch die Haltung von Julian Assange, der stellenweise diszipliniert mitdiskutiert, hier und da aber belehrend, ja arrogant auftritt und seinen Mitstreitern andauernd ins Wort fällt: „Ich bin nicht dafür, dass wir die Idee einer Avantgarde vertreten sollten“, konstatiert Jacob Appelbaum. „Warte mal, warum eigentlich? Ich bin ein bisschen Avantgarde. Wo ist das Problem damit?“, wirft Assange zum Beispiel selbstgefällig ein.
Wesentlich neue Aussagen trifft keiner der vier Internetaktivisten: Vor allem Assange hält an seiner Linie fest, die er seit seinen frühen Schriften verfolgt. Die Diskussion bleibt – trotz thematischer Kapitel – unstrukturiert und wenig zielorientiert. Auch die Auswahl der Diskussionsteilnehmer, die weitestgehend auf einer Linie argumentieren, sorgt für gegenseitige Zustimmung und Ergänzung: Wirklich kontrovers wird die Diskussion an keiner Stelle. Alle interessanten Aussagen (und ja, es gibt sie) werden von der Endzeitrhetorik zu sehr ideologisch eingefärbt, um ernst genommen zu werden. Schade eigentlich.
Bilder: Stilgherrian (CC BY 3.0), Campus Verlag