uk-united-kingdom-3d-union-britain-1067139  byPeter Linforth via Pixabay licensed under CC0Ist die EU noch auf dem Schirm oder schon out? Am 23. Juni entscheiden die Briten über den Verbleib in der EU. Befürworter und Gegner haben sich im Netz in Stellung gebracht und werben online für ihre Anliegen.

What is Brexit?

Brexit, Brexit ist in aller Munde. Worüber da im Einzelnen abgestimmt wird, das fragen sich aber viele Briten. Folgt man der Berichterstattung der BBC, ist die meistgesuchte Frage dazu im Internet: „What is Brexit,?“ In Kürze erläutert beschreibt das Referendum den Exit Großbritanniens aus der EU, also das demokratische Recht eines jeden Mitgliedstaates, wieder aus der europäischen Union auszutreten. Diese Möglichkeit ist in Artikel 50 des Vertrages von Lisabon verbürgt.

Betrachtet man die Europäische Union und ihre fast 70 Jahre währende Geschichte, ist es verständlich, dass dieser Schritt die Gemüter erregt. „How can I vote?“ gehört daher ebenso zu den meistgesuchten Begriffen beim Stichwort Brexit. Jedoch gestaltet sich das Wahlsystem auf der Insel anders als in Deutschland. Um am demokratischen Prozess teilzunehmen und seine Stimme abzugeben, bedarf es einiger Vorraussetzungen.

Nur britische Staatsbürger, Iren und Bürger aus Commonwealth Staaten mit gültiger Aufenthaltsgenehmigung sind berechtigt, am Referendum teilzunehmen.

Dafür müssen sich die Wahlberechtigten entweder im jeweiligen Stimmkreis oder im Internet auf der Webseite der Regierung registrieren. Britischen Staatsbürger, die sich derzeit im Ausland befinden, haben zwei Möglichkeiten: Zum einen können sie über das Internet oder durch Nachfrage bei der zentralen Wahlleitung Briefwahlunterlagen beantragen. Zum anderen können sie über besagte Webplattform auch einen Vertreter (proxy) bestimmen, der im Auftrag des Stimmberechtigten wählen darf.

Am 07.Juni 2016 endet die Frist zur Registratur. Ab diesem Zeitpunkt ist es für beide Lager, Befürworter und Gegner des Brexit, entscheidend, die registrierten, potentiellen Wähler von ihren Positionen zu überzeugen. Momentan liegen beide Lager etwa gleich auf, wie „What UK thinks“ wöchentlich ermittelt, sodass der Wahlausgang noch absolut offen ist.

Vom Empire zum Europaskeptiker

Ein Blick zurück: Zeitgleich mit Dänemark und der Republik Irland trat das Vereinigte Königreich 1973 der Europäischen Gemeinschaft bei. Schon seit 1961 hatte sich die Insel um eine Mitgliedschaft beworben, war aber immer wieder am Veto Frankreichs und den eigenen britischen Vorstellungen von Europa gescheitert. Damals stand Großbritannien vor einer schwächelnden Wirtschaft, brüchigen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und dem zunehmenden internationalen Bedeutungsverlust des zerfallenden Empires. Aufgrund dieser Entwicklungen sah sich der damalige konservative Premierminister Harold MacMillan gezwungen, einen Beitritt zur damals noch Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu forcieren.

Das Vorhaben scheiterte jedoch am Veto des französischen Präsident Charles de Gaulle, welcher das Machtgleichgewicht in Europa gefährdet sah. Ebenso war der Rückhalt in Politik und Gesellschaft eher gering. Die Vorstellung von London war schon damals gewesen, nicht Großbritannien müsse sich Europa anpassen, sondern auch Europa Großbritannien. Erst 1973 trat das Königreich bei, aber weniger im Sinne des europäischen Gedankens, sondern vielmehr aufgrund wirtschaftlicher Interessen. Schon zwei Jahre später kam es wegen Richtungsstreitigkeiten in der britischen Politik zum ersten Referendum über den Verbleib in der EWG. Damals stimmten 17,4 Millionen Briten (67%) für den Verbleib. Dennoch konnte der damalige Labour Premierminister Harold Wilson im Gegenzug für den Verbleib viele Sonderrechte für das Königreich erwirken. Diese europafreundliche Stimmung hat sich in den letzten Jahren geändert, stellt doch die europafeindliche Partei UKIP die Mehrheit der britischen Sitze im Europäischen Parlament.

Bremain or Brexit? Bleiben oder nicht Bleiben, das ist hier die Frage

Als Großbritannien 1973 Mitglied der Europäischen Union wurde, bestand die Union aus 9 Mitgliedsstaaten. Heute sind in dieser Gemeinschaft 28 Staaten vertreten. Insgesamt lassen sich mehrere Gründe für den gestiegenen Euroskeptizismus anführen. Viele Briten befürchten einen Verlust ihrer nationalen Souveränität. War es zu Anfang noch nicht möglich, dass Entscheidungen ohne London getroffen wurden, so kann es nun überstimmt werden.

Das Empire muss nun Vorschriften akzeptieren, anstatt selbst die Gestaltungsrolle innezuhaben. Zudem drängen die steigende Bedeutung der Eurozone und der Eurogipfel, nicht zuletzt seit Beginn der Eurokrise, das Vereinigte Königreich in eine Randlage. Aufgrund der Entscheidung, nicht Mitglied der Bankenunion und den Fiskalpakt zu werden, verliert Britannien seinen Einfluss in Brüssel, kann nicht an diesem Gremium teilnehmen.

Ein dynamisches Wachstum, die Rolle der City of London, die besonderen Beziehungen zu Washington und nicht zuletzt der Commonwealth lassen bei vielen Briten das Bewusstsein von nationaler Souveränität wieder aufleben, das Gefühl selber entscheiden zu wollen. Mit diesem Referendum verfolgt Cameron darum zwei Ziele. Zum einen möchte er Querelen innerhalb der eigenen Partei lösen. Zum anderen beabsichtigt der Premierminister eine Neuverhandlung der europäischen Verträge. Das Ziel ist ein Sonderstatus für Großbritannien und die Freiheit selbst darüber zu entscheiden, wo sich die Briten in Europa beteiligen und wo nicht.

Kurz vor der Abstimmung hat sich die öffentliche Meinung in zwei Lager geteilt. Auf der einen Seite wirbt Stronger In für einen Verbleib innerhalb der Europäischen Union. Auf der anderen Seite machen die Brexit-Befürworter von Vote and Leave Stimmung gegen die europäische Union. „Britannia rules the waves“, so heißt es und beide Lager versuchen im Netz hohe Wellen zu schlagen.

Online-Kampagnen

Die Brexit Gegner versuchen, in ihrer Kampagne vor allem auf Expertise zu setzen. Auf ihrer Website legen sie die Fakten vor: „Für jedes Pfund, das wir in die EU stecken, bekommen wir 10 Pfund zurück.“ oder „Über eine Millionen Jobs stehen auf dem Spiel, wenn wir die EU verlassen“ sowie „61% der Exporte von kleineren Unternehmen gehen in die EU.“

Get the facts heißt das Tool, mit dem Unterstützer diese kurzen Zitate einfach und unkompliziert teilen und weiterleiten können. Unterstützung erfahren die Brexit-Gegner durch Premierminister David Cameron. Der Physiker Stephen Hawking sowie andere renommierter Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft zählen ebenso zu den Unterstützern. In kurzen Videosequenzen auf dem Facebook-Profil erläutern sie die Vorzüge einer Mitgliedschaft in der europäischen Union. Die Palette reicht dabei von Wirtschaft über Migration bis Forschung und Umwelt.

So vielseitig die Themen sind, so vielseitig sind auch die Interessenlagen der Brexit- Befürworter. „Es ist sicherer die Kontrolle zurückzuerlangen, als jedes Jahr weiter Macht und Geld an die EU zu geben“, darin sind sich die Anhänger von Vote and Leave einig. Im Gegenzug zu Stronger In versucht diese Seite, die Wähler persönlich und emotionaler anzusprechen.

In den sozialen Medien finden sich regelmäßig kurze Posts mit Aussagen von Vertretern speziell aus der unteren bis mittleren Mittelklasse, Zuwanderern und Jugendlichen, die scheinbar ein Abbild der gesamten Gesellschaft zeichnen sollen. Die Kampagne unterteilt sich wiederum in verschiedene Untergruppen wie „Beleave“, die sich speziell an Jugendliche wendet. Ebenso gibt es spezielle Angebote für „Farmers for Britain“, „Women for Britain“, „Veterans for Britain“, „Christians for Britain“, oder aber auch „Bangladeshi for Britain“, oder „Poles for Britain“. Letztere informieren auf Polnisch über die vermeintlichen Vorteile eines Brexit. Sogar Vaper, also Raucher elektronischer Zigaretten, haben sich organisiert und fordern bei einem Nein zum Rücktritt Camerons auf.

Unterstützt wird die Kampagne durch ein Quiz auf der Website, in dem Interessierte Fragen zu ihren Ansichten bezüglich eines Brexits beantworten können. Auf diese Weise lassen sich wertvolle Informationen über die Mobilisierung weiterer Wählerstimmen gewinnen. Mittlerweile gibt es sogar eine App, die den Brexit-Befürworten helfen soll, sich beim Canvassing, also dem Häuserwahlkampf zu organisieren, sowie schnell Informationen auszutauschen und zu verbreiten.

Momentan sind beide Lager etwa gleich auf. Wetten, dass es da spannend wird? Vote and Leave bietet zumindest bereits einen Jackpot von 50 Millionen Pfund, der Summe, die angeblich täglich nach Brüssel abfließt. Der Gewinner muss hierfür alle Spiele der Europameisterschaft in Frankreich richtig tippen. Es zeigt sich, die emotionale Verbundenheit mit der europäischen Union ist eher gering. Der umstrittene Film“ Brexit-The Movie“ stellt gar die europäischen Institutionen als ein bürokratisches Monster dar, welches die Demokratie untergrabe und letztlich eine Gefahr für die nationale Souveränität wäre. Finanziert wurde die Produktion per Crowdfunding. Das Werk wird bereits heftig im Netz geteilt und soll nun an alle Haushalte geschickt werden. Die Onlinepetition dafür läuft bereits. Was am 23 Juni geschehen wird ist offen, momentan freuen sich zumindest schon einmal die Buchmacher über einen regen Zulauf an Wetten.

Europe, what else? Die Zukunft Europas

Häufig wird der Brexit als die Schicksalsfrage Europas dargestellt. Noch immer kränkelt Europa. Die Wirtschaftskrise im Süden, die noch immer ungelöste Zuwanderungsfrage und insbesondere die häufig komplizierten langwierigen Prozesse im fernen Brüssel, sorgen bei vielen nicht unbedingt für eine emotionale Verbundenheit mit dem „Projekt Europa“. Seit seiner Gründung hat Europa den Frieden gesichert, Wohlstand und offene Grenzen beschert; doch es ist unklar, ob wir wirklich gemeinsam verschieden sind. Der Brexit wird auf die Frage für oder gegen Europa reduziert. Diese Darstellung greift aber zu kurz. Vielmehr stellt sich die Frage, welches Europa wir, die europäischen Bürger, in Zukunft anstreben. Möchten wir eine Werteunion oder eine Handelsunion? Am 23. Juni sind die Briten aufgerufen, über ihre Vorstellung von einem zukünftigen Europa zu entscheiden.

Titelbild: PeteLinforth via Pixabay licensed CCO

 

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