Seit dem Aufdecken der rechtsextremen Terrorzelle ist die deutsche Politik in Aufruhr. Das Thema Rechtsextremismus ist plötzlich wieder in aller Munde. Experten sind sich einig: Insbesondere im Internet sind Rechte schon seit längerem auf dem Vormarsch.

Um im Kampf gegen den Rechtsextremismus besser gerüstet zu sein, schlägt Innenminister Friedrich neben einem Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus auch die verstärkte Überwachung des Internet vor. Diese Forderung stellen Beobachter der rechten Szene bereits seit längerem.

Ein erst im Juli dieses Jahres veröffentlichter Bericht der Initiative jugendschutz.net zeigt sehr deutlich, dass Rechtsextreme ihre Präsenz im Internet verstärkt haben und Hassinhalte ein immer größeres Publikum erreichen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 2010 drei Mal so viele rechtsextreme Beiträge im Web 2.0 dokumentiert. Speziell soziale Netzwerke, Videoplattformen und Blogs haben demnach die rechtsextreme Angebotsstruktur im Internet verändert und werden immer häufiger genutzt. „Neben eigenen Websites, die Rechtsextreme in vielen Fällen sehr jugendgemäß und multimedial gestalten, gehören Profile bei Facebook, Videos bei YouTube oder eigene Twitter-Accounts mittlerweile zum festen Bestandteil der Propaganda im Internet“, so Christiane Schneider von jugendschutz.net. Johannes Radke ist freier Journalist und Rechtsextremismus-Experte, er betreut u.a. das Rechtsextremismus-Blog Störungsmelder für Zeit Online und erklärt: „Man darf nicht glauben, dass die rückwärtsgewandte Ideologie und die Ablehnung der Moderne sich auch im Mediennutzungsverhalten der Szene widerspiegeln. Ganz im Gegenteil: Die NPD und die militante Naziszene waren immer ganz vorne dabei, wenn es um die Nutzung neuer Medien ging.“

Platte Propaganda und emotionale Themen

Radke beschreibt zwei Strategien, mit denen Rechte im Netz auf sich aufmerksam machen: einerseits durch „ganz platte Propaganda in Form von Bildern und Videos aus der NS-Diktatur oder von aktuellen Naziaufmärschen, meist hinterlegt mit Rechtsrockmusik.“ Daneben gebe es „eine sehr aktive Gruppe von Rechtsextremisten, die versuchen, über auf den ersten Blick nicht-rechte Themen mit Usern ins Gespräch zu kommen.“ Die Finanzkrise oder auch das Thema sexueller Missbrauch von Kindern seien da gute Beispiele. In einigen Naziforen werde schon länger darüber diskutiert, wie man sich online gut als „empörter Demokrat“ ausgeben kann, um dann beispielsweise die rechtsextreme Forderung nach der Todesstrafe für Sexualstraftäter zu lancieren. Die Tendenz Rechtsradikaler, im Internet emotionale Themen zu besetzen, sieht auch Christiane Schneider. So werde auch in den Kommentarspalten vieler Online-Medien eine Diskussion im Sinne der rechten Ideologie umgedreht. „Geht es zum Beispiel um eine brutale Gewalttat von Neonazis, dauert es oft nicht lange, bis ein User plötzlich das Thema auf angeblich steigende Zahlen von „Ausländergewalt“ oder „Linksterrorismus“ lenkt“, bestätigt auch Johannes Radke.

Radikalisierungstendenzen

Simone Rafael von der Initiative netz-gegen-nazis.de bekräftigt, dass die Nutzung sozialer Netzwerke durch Rechtsextremisten eindeutig zur Radikalisierung und Mobilisierung der Szene beitrage. Rechtsextreme Ideologie sei heute so leicht zugänglich wie nie zuvor. „Über Videos, Audiofiles und Blogs wird nicht nur zu Veranstaltungen eingeladen und aufgerufen – dort überbieten sich die Rechtsextremen auch gegenseitig darin, wer die krassesten Inhalte einstellt“. Flashmobs würden durch moderne Medien überhaupt erst ermöglicht. Wie erfolgreich die Rekrutierung neuer Anhänger über das Internet ist, könne er nicht genau sagen, erklärt Journalist Radke. Aber es sei offensichtlich, „dass es viel einfacher ist, mit zwei Klicks in einer Nazigruppe zu chatten, als sich zu trauen, persönlich den lokalen Nazitreffpunkt aufzusuchen.“

Völlige Abschottung oder völlige Offenheit

Um sich vor der Öffentlichkeit zu schützen und nicht ausgespäht zu werden, nutzen Rechtsextreme interne Foren, die passwortgeschützt sind und zu denen nur Zugang erhält, wer persönliche Kontakte hat und als vertrauenswürdig gilt. Mehrfach wurden in den letzten Jahren solche Foren von Hackern geknackt und die Inhalte veröffentlicht. Dabei zeigte sich, dass hier ganz offen über Straftaten und die Organisation von unangemeldeten Aufmärschen und Aktionen gesprochen werde, so Radke weiter. Im krassen Gegensatz zu diesem Abschottungsbedürfnis steht das Verhalten vieler Rechtsextremer in den offenen sozialen Netzwerken. Simone Rafael ist immer wieder verblüfft, wie „komplett kritikfrei viele Rechtsextreme sind, was Daten- oder Persönlichkeitsschutz angeht.“ So werden rechtsextreme Inhalte völlig offen ins Netz gestellt, man benennt sich ohne Zögern nach NS-Größen oder propagiert Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Profilbildern. 

Im Kampf gegen Nazi-Inhalte

Um erfolgreicher gegen Inhalte aus dem rechtsextremen Lager vorgehen zu können, sind Provider und Behörden aufgefordert, konsequenter einzugreifen. „Tendenziell ist die Bereitschaft bei den Betreibern da, Inhalte auf ihren Plattformen schnell zu entfernen, wenn sie gegen geltende rechtliche Bestimmungen verstoßen. Auch ausländische Plattformen wie Facebook oder YouTube löschen in der Regel strafbare oder jugendgefährdende Inhalte“, wenn man sie darauf aufmerksam macht, so Schneider. Generell gebe es aber noch Handlungsbedarf. So müsse beispielsweise sichergestellt werden, dass Inhalte, die bereits wegen Verstößen gemeldet wurden, nicht noch einmal auf einer Plattform auftauchen. Als Problem benennt Simone Rafael die großen Datenmengen, die tagtäglich hochgeladen werden und die Möglichkeit speziell eingerichtete Filter zu umgehen. Johannes Radke sieht viel Hilflosigkeit und Desinteresse im Kampf gegen rechtsextreme Inhalte. Facebook habe sich jahrelang überhaupt nicht für dieses Thema interessiert und fängt erst langsam an, Naziseiten zu löschen, erklärt er. Besonders nachlässig sei das Online-Radio LastFM. „Dort können Jugendliche hunderte verbotene Nazisongs hören oder virtuelles Mitglied bei der 2001 verbotenen Nazigruppe Blood & Honour werden. Weder die Betreiber, noch die Justiz interessiert das bislang“.

Rechtsextreme Beiträge nicht ignorieren

Um dem rechten Treiben im Internet Einhalt zu gebieten, kooperiert die Initiative jugendschutz.net mit Behörden und Providern. Basis seien hier verbesserte gesetzliche Regelungen sowie Nutzungsbedingungen von Dienste-Anbietern. Vordringlich sei, so Schneider, aber ganz allgemein, rechtsextreme Beiträge nicht zu ignorieren. Jede und jeder, die im Netz darauf stoße, könne die gefundenen Inhalte melden. Da es nicht möglich sei, rechte Propaganda vollständig aus dem Netz zu löschen, spricht sich Johannes Radke allgemein für mehr Aufklärung und die Stärkung der „nicht-rechten Jugendkultur“ aus, verweist aber auch darauf, dass bei strafrechtlich relevanten Inhalten konsequent durchgegriffen werden müsse. So sei fast immer bekannt, wer hinter den rechtsradikalen Inhalten stecke. Manchmal habe man aber leider den Eindruck, dass der Ermittlungseifer der Behörden begrenzt ist“. Das müsse sich ändern. Und Simone Rafael ergänzt: „Ich bin bestürzt, wie wenig offenbar staatliche Stellen bisher davon Gebrauch gemacht haben, sich einfach mal anzusehen, was Nazis so alles ins Internet schreiben“.