Nachdem die aktuelle Legislaturperiode der Bundesregierung zur Hälfte vergangen ist, hat der Digitalverband Bitkom  und eine umfassende Bewertung der Fortschritte im Bereich Digitalpolitik vorgenommen. Die Analyse stützt sich auf die im Koalitionsvertrag festgelegten Vorhaben und Digitalisierungsprojekte der Bundesregierung. Dabei werden der Stand und die Fortschritte der einzelnen Vorhaben, aber auch die Komplexität und der Umfang der einzelnen Projekte bewertet. 

Laut Bitkom sind von insgesamt 334 Digitalisierungsvorhaben bisher lediglich 38 Projekte, das entspricht 11 %, bislang vollständig umgesetzt worden. Mit dem Großteil der Projekte, nämlich 219 Vorhaben (65 % der Gesamtprojekte) wurde bereits begonnen, sie befinden sich deswegen noch in der Umsetzungsphase. Mit der Realisierung von 77 geplanten Projekte (23 % der Gesamtprojekte), wurde noch nicht einmal angefangen.  

Es besteht also großer Nachholbedarf laut Bitkom.  

Deutschland im EU-Vergleich

Obwohl das Thema  Digitalisierung zu Beginn der Legislaturperiode seitens der Bundesregierung als eine ihrer Hauptprioritäten angekündigt wurde, lies der Haushaltsentwurf für 2024 Zweifel an dieser Aussage aufkommen. Ursprünglich waren lediglich 3,3 Millionen Euro für Digitalisierungsprojekte für das kommende Jahr vorgesehen. In den Jahren zuvor waren es noch 377 Millionen Euro gewesen. Erst nach erheblicher öffentlicher Kritik und starkem Druck aus der Wirtschaft wurde das Budget schließlich auf 300 Millionen Euro erhöht, indem nicht verwendete Gelder aus den Vorjahren dafür eingesetzt wurden. Das weiterhin fast 300 Millionen Euro aus nicht abgerufenen Mitteln aus vergangenen Jahren zur Verfügung stehen, zeigt dann auch das eigentliche Problem: der Digitalisierungsfortschritt ist eng mit dem der Verwaltung verbunden, die es nicht schafft, Strukturen zu implementieren, um diese Förderungen auch abrufen zu können. 

So bleibt die führende Wirtschaftsnation Deutschland im europäischen Vergleich im Bereich Digitalisierung im Mittelfeld angesiedelt. Deutschland belegte 2022 im europäischen Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) lediglich Platz 13 von 27.  

Jahr für Jahr dominieren Länder wie Finnland, Schweden oder Dänemark den Digitalisierungsvergleich und lassen andere Nationen immer weiter hinter sich, weil sie seit Jahren enorme Investitionen vorgenommen haben. 

Ein zentrales Thema in der Debatte um Versäumnisse im Bereich Digitalisierung ist der Bereich Bildung. Expert*innen wie Lena-Sophie Müller (Initiative D21) fordern schon lange, das Ausbilden digitaler Fähigkeiten und die Einbindung digitaler Werkzeuge in den Unterricht. Das sei von essenzieller Bedeutung, um den Abstand zu den digital führenden Ländern zu verringern. Ein an die digitalisierte Welt angepasster schulischer Werdegang kann den Schüler*innen später im Berufsleben viele Türen öffnen. Auf lange Sicht wird auch die Wirtschaft von gut ausgebildeten Fachkräften mit digitalen Kompetenzen profitieren. Auch der Zugang zu Wissen kann durch digitale Technologien vereinfacht werden. 

Wirft man einen Blick in den Klassenraum einer dänischen Schule wirkt das aus deutscher Perspektive wie eine Utopie. Fast jedes Kind hat einen Laptop und auch sonst werden digitale Medien täglich in den Unterricht eingebunden. In Deutschland gibt es in den meisten Klassenräumen nicht einmal genug Steckdosen. Was läuft in Skandinavien oder in den Niederlanden so viel besser als an unseren Schulen? 

Neben den Steckdosen scheitert es in den deutschen Schulen häufig schon an einer stabilen WLAN-Verbindung, die für alle Schüler*innen verfügbar ist. Das liegt unter anderem daran, dass Deutschland mit dem Ausbau des Glasfasernetzwerkes weit weniger schnell vorankommt als geplant. Nur 15,4 % der Netzabdeckung sind Glasfaser Leitungen, das ist im Europavergleich einer der letzten Plätze. Auch wenn die Breitbandnetzabdeckung in Deutschland leicht über dem EU-Durchschnitt liegt, ist das Netz wenig stabil und nur begrenzt belastbar. 

Was tun Bund und Länder?

Die Pandemie hat noch einmal in aller Deutlichkeit offengelegt, wie groß die Defizite im Bereich Digitalisierung an Schulen sind. Vor der Pandemie hatten gerade mal 36 % aller Schulen Zugang zum WLAN, 2021 waren es immerhin schon 56 % (Quelle: Statista).  

Die Gründe für diese desaströsen Zustände an den Schulen sind vielfältig.  

Während in vielen Ländern bereits vor 15 Jahren der Grundstein zu digitalisierten Schulen gelegt wurde, hat Deutschland den digitalen Wandel in der Bildung verschlafen. Mittlerweile unterstellt man den Bundesländern nicht nur die Digitalisierung fahrlässig verpasst zu haben, sondern sie sogar teilweise durch Verwaltungsauflagen aktiv blockiert zu haben.  

So stellte der Bund den Ländern zum Beispiel 2020 im Rahmen verschiedener Förderprojekte 500 Millionen Euro für digitale Endgeräte für Lehrkräfte, sowie zum Ende des Jahres weitere 500 Millionen Euro zur Förderung von IT-Administrator*innen, die sich um die Technik an den Schulen kümmern sollten, zur Verfügung. Ausgezahlt wurden in 2020 lediglich 9.000 Euro, 2023 wurden immerhin etwas über 30% des Gesamtvolumens von den zur Verfügung stehenden 165 Millionen Euro abgerufen. Dass die Digitalisierung an Schulen nicht richtig vorankommt, liegt auch daran, dass qualifiziertes Personal fehlt oder bei anderen Arbeitgebern besser bezahlt wird. 

Zudem besteht das Dilemma, mit dem sich viele Sachaufwandsträger, wie bspw. die Stadt, der Landkreis oder kirchliche Träger, konfrontiert sehen, darin, dass sie vor Annahme von Bundes- und Landesmitteln erst klären wollen, wer in fünf Jahren für die Ersatzbeschaffungen, Reparaturen und Wartung der Geräte aufkommen wird. Zugegeben ist diese Sorge nicht gänzlich unberechtigt, da momentan nicht abzusehen ist, ob es einen zweiten Digitalpakt überhaupt geben wird.  

Anträge für Fördermittel sind zeitaufwendig und kompliziert, an vielen Schulen fehlt es an Personal und Nerven sich damit auseinanderzusetzen.  Hier gerät die Digitalisierung bereits im Vorfeld ins Stocken, verstrickt sich in den komplexen Verästelungen des föderalen Systems. 

 

Auch sahen viele der Schulämter vor der Pandemie schlicht die Notwendigkeit der Digitalisierung von Schulen nicht. Hinzu kommen weitere nicht weniger banale Hürden, wie der Mangel an Handwerker*innen und technischem Personal, was sich ausreichend mit der Materie auskennt und die Anlagen sowie die Geräte installieren und warten kann. 

Lehrkräfte sind entscheidend für den Wandel

Desweiteren besteht zusätzlich großer Handlungsbedarf in der Anpassung der Bildungsinhalte, die Lernmaterialien müssen aktualisiert und digitalisiert werden, außerdem müssen Lehrkräfte Aus- und Weiterbildungen, die auf die neuen Formen des Unterrichts vorbereiten, besuchen.  

Feststellbar ist auch ein enorm großer Unterschied im Digitalisierungsgrad zwischen den Schulen. Das rührt nicht nur daher, dass Bildung Ländersache ist, sondern auch die Lehrkräfte selbst einen starken Einfluss darauf haben. Sehr oft hängt der Digitalisierungsgrad einer Schule von der Motivation und dem Engagement einzelner Lehrkräfte ab.   

Der Erwerb von digitalen Kompetenzen ist bis jetzt nicht als fester Bestandteil im Lehramtsstudium vorgesehen. Im Sommer 2022 wurden nur an 35 Prozent der Hochschulen entsprechende Kurse angeboten, um Qualifikationen im Bereich Digitalisierung zu erlangen. Die Generalsekretärin des Stifterverbandes Andrea Frank betonte, dass es künftig nicht mehr möglich sein dürfe, dass Lehramtsstudierende ihr Studium erfolgreich abschließen können, ohne digitale Kompetenzen erworben zu haben. Sie appellierte, dass die Politik aktiv werden müsse und dass die verantwortlichen Ministerinnen und Minister der Länder sicherstellen sollten, dass die Förderung von digitalen Kompetenzen in allen Lehramtsstudiengängen verpflichtend verankert wird. 

Unsicherheit und Finanzierungsprobleme bremsen die Schuldigitalisierung

Das Bildungswesen ist also eine Großbaustelle, mit der Anschaffung von ein paar iPads werden die Probleme wohl nicht gelöst werden. Der aktuelle DigitalPakt 1.0 läuft im Mai 2024 aus, ein neuer DigitalPakt 2.0 ist bis jetzt noch nicht in Sicht. Das bedeutet für die Bundesländer, dass nicht kalkulierbare Kosten auf sie zukommen können, da die Sorge besteht, dass der Bund aus der Förderung der Schulen komplett aussteigen könnte. Nicht nur der Haushaltsplan 2024, sondern auch die ungewöhnlich langen Verhandlungen und keine klaren Bekenntnisse seitens der zuständigen Ministerien sorgen für weitere Verunsicherung. Die letzte Information zum DigitalPakt 2.0 gab es Ende Juli vom Bundesbildungsministerium. Eine Sprecherin verkündete, dass der DigitalPakt 2.0 nicht für 2024, sondern nun doch für 2025 geplant sei. Das aktuelle Förderprogramm würde dann doch bis 2025 weiterlaufen. Wie die Bundes- und Landesregierungen es aber besser schaffen wollen, die Gelder auch sinnvoll auszugeben und die Abrufzahlen für die Mittel zu erhöhen, blieb unbeantwortet. Solange dies nicht geschieht, ist es zu befürchten, dass die Digitalisierung der deutschen Schulen weiter stagniert