Am Donnerstag, den 13. September lud die Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen ihrer Konferenz „Baustelle Bildung – Befähigung für die digitale Zukunft“ dazu ein, sich in verschiedenen Formaten mit den Bedarfen und Anforderungen der digitalen Zukunft auseinanderzusetzen. Die zentrale Frage lautete, wie digitale Bildung zukünftig gestaltet werden soll und welche Konsequenzen sich daraus für Bildungsinstitutionen aber auch die Gesellschaft insgesamt ergeben.

Bildung für die digitale Zukunft: Ein Problem der Umsetzung?

Darüber, wie Bildungsinstitutionen zu starken Akteuren werden, sprachen verschiedene Vertreterinnen und Vertreter aus Bildung, Wirtschaft und Politik. Als richtungsgebender Input folgte vorweg ein Überblick von Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth, Erziehungswissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, der für das Thema digitale Bildung die vier wichtigsten Dimensionen bestimmte.

So sei zuerst einmal das Diagnoseproblem entscheidend. Also klar zu definieren, worüber gesprochen und auf welche Referenzsysteme (Politik, Wirtschaft, Bildung, etc.) sich bezogen wird, wenn es um Digitalisierung geht. Ebenso sei auch zwischen der grundlegenden allgemeinen Bildung und speziellen Weiterbildung zu unterscheiden, um möglichst früh digitale Komponenten einzubinden. Tenorth betont, dass digitale Bildung den klassischen Kanon der Modi des Weltzugangs, der das Lernen ausmacht, nicht ersetzen, sondern in den medialen, didaktischen Lernmöglichkeiten erweitern solle. Zuletzt zeigt er die Konsequenzen für die Schulen auf, die sich organisatorisch, fachlich im Curriculum und im didaktischen Bereich bemerkbar machen.

Für Dr. Nils Weichert, Vorstand des Forums Bildung Digitalisierung, handelt es sich bei dem Thema digitale Bildung nicht zwingend um ein Umsetzungs- sondern viel mehr um ein Sensibilisierungs- und Wissensproblem, wie eine gute Verknüpfung überhaupt aussehen kann. Häufig würde das pädagogische Potential, das die Digitalisierung mit sich bringe, noch nicht erkannt. Das liege unter anderem daran, dass Digitalisierung oft noch als Zusatzthema angesehen werde. Aber auch daran, dass nach wie vor noch Konzepte und Strategien für die einzelnen Schulen fehlten, die Unterrichts- und Schulentwicklung verknüpfen. Auch Sylvia Löhrmann, die ehemalige Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen, hält eine schematische Herangehensweise für hinderlich und spricht sich für eine differenzierte Entwicklung vor Ort aus. Es dürfe nicht bloß additiv, sondern müsse vor allem integrativ vorgegangen werden, um den Aspekt Digitalisierung mit vorhandenen Konzepten zu verknüpfen. „Es gibt keine Stunde Null, in der alle Politik in ganz Deutschland für jede Schule anfängt. Wie bei allen Bildungsfragen gibt es keine allgemeine Gleichförmigkeit. Deshalb darf es nicht zu Pauschalisierungen und falschen Erwartungen kommen, die an der Politik und Realität scheitern“, sagt Löhrmann.

Prof. Dr. Bardo Herzig warnt als Direktor des Zentrums für Bildungsforschung und Lehrerbildung ebenfalls vor pauschalisierenden Ergebnissen, zu denen einige Studien kämen. Aussagen wie „mit dem Tablet lerne man besser“ seien nicht gewinnbringend, es müssten stets die pädagogischen Settings mitgedacht werden. Trotzdem dürften Schulen nicht den Fehler machen, jahrelang zu warten, nur weil evidenzbasierte Studien fehlen. „Die Wissenschaft lebt von der Offenheit, sich auf etwas Neues einzulassen und Impulse zu setzen“, so Herzig. Ein Beispiel dafür bietet Dr. Andres Pallack, Schulleiter des Franz-Stock-Gymnasiums Arnsberg, das als einer der Vorreiter-Schulen im Bereich digitale Bildung gilt. Pallack setzt auf täglichen Kontakt seiner Schülerinnen und Schüler mit digitalen Medien. Für ihn seien dabei vor allem die ausführliche Kommunikation über dieses Thema, aber auch die Erweiterung und der Erhalt von bestehenden Kulturtechniken wichtig. Er erkennt die didaktischen Chancen und neuen Inhalte, die digitale Medien für das fachliche Lernen mit sich bringen, rät aber auch dazu, erst einmal klein zu beginnen und als gesamte Schule individuelle Bedarfe zu definieren und dabei auch möglichen Berührungsängsten zu begegnen. Es sei wichtig, sowohl Schülerinnen und Schüler, als auch Lehrkräfte erst einmal zu befähigen, richtig mit den neuen digitalen Möglichkeiten umzugehen. Alle Vortragenden sind sich dabei einig, dass vor allem die Verknüpfung entscheidend ist – sowohl von Schulen untereinander, als auch der verschiedenen Ansätze und Expertisen von Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik, aber auch Zivilgesellschaft. Voraussetzung dafür seien einheitliche Bildungsstandards und ein ganzheitliches Bildungsverständnis.

Workshop “Zukunft der Bildung: Wissen oder wissen, wo es steht?”

In drei Themeninseln konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops damit auseinandersetzen, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler in einer durch digitale Information geprägten Welt brauchen und wie Schule sie vermitteln kann. Dabei ging es zunächst um die Recherche und Bewertung von (digitalen) Informationen. Schülerinnen und Schüler sollten mit Kompetenzen ausgestattet werden, die ihnen ermöglichen, die Vertrauenswürdigkeit von Informationen zu beurteilen und Beiträge im Netz in z.B. historische oder politische Diskurse einordnen zu können. Quellen zu recherchieren, überprüfen und zu bewerten sei nicht nur für die Schule, sondern auch für das gesamte Leben wichtig. Dabei sei ein grundlegendes Wissen, das Bildungsinstitutionen Schülerinnen und Schülern mitgeben, weiterhin als Voraussetzung für eine eigenständige Einordnung sinnvoll.

Bei der selbstbestimmten und sozial verantwortlichen Nutzung von (digitalen) Medien sind sich die meisten Teilnehmenden einig, dass Schule schon immer die Aufgabe gehabt habe, Schülerinnen und Schüler auf ein verantwortungsvolles Leben vorzubereiten, und dass sie dies nun auch im digitalen Kontext tun müsse. Die Schule solle dabei die Hauptaufgabe der digitalen Bildung übernehmen, das Elternhaus oder das private Umfeld dabei idealerweise in Vernetzung ergänzend agieren. Es sei ebenso wichtig, Schülerinnen und Schülern beizubringen, was hinter den von ihnen verwendeten Technologien stehe und sich insgesamt nicht nur auf die Risiken, sondern vor allem auch auf die Chancen und Möglichkeiten digitaler Medien zu konzentrieren. Analoge und digitale Welt müsse zunehmend zusammengedacht werden.

Den Vorschlag für ein gesondertes Fach der Medienbildung lehnen die meisten ab. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen sollten nicht bloß an ein Fach abgeschoben werden, sondern in alle bereits vorhandenen integriert werden. Sonst drohe die Gefahr, dass sich die anderen Schulfächer aus ihrer Verantwortung ziehen und die erlernten digitalen Kompetenzen isoliert blieben. Außerdem sei dies bildungspolitisch kaum durchsetzbar, weil andere Inhalte oder Fächer aus dem Curriculum gestrichen würden. Schule müsse fachübergreifend transferierbare Kompetenzen vermitteln und durch digitale Medien neue Freiräume für individuelles Lernen eröffnen.

Politisches Podium: Technologischer Fortschritt darf nicht zu digitaler Spaltung führen

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP,  Robert Habeck, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen, und Nadine Schön, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sprachen in einer abschließenden Diskussionsrunde über die Rolle der Politik, der Wirtschaft, der Bildungsinstitutionen und der Gesellschaft bei der Entwicklung einer Strategie für die digitale Zukunft. An vielen Stellen bestätigten sich dabei die bereits erarbeiteten Ergebnisse und Probleme der vorangegangenen Veranstaltungen. Alle drei betonen, dass bestehende Spaltungen durch technologischen Fortschritt nicht noch verstärkt werden dürfen. Der Zugang zu den digitalen Möglichkeiten müsse fair gestaltet werden und Wissen so organisiert, dass es nicht ausschließend ist, so Habeck. „Ernstgemeinte digitale Bildung bedeutet die Möglichkeiten der Technik so einzusetzen, dass sie soziale Aufstiegsmöglichkeiten schaffen und nicht zu sozialer Exklusion führen.“ Christian Lindner sieht das ähnlich, rückt aber noch stärker die Chancen in den Vordergrund: „Digitalisierung von Bildung hat einen enormen Vorteil: die Individualisierung.“ Die individuellen Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler könnten durch Algorithmen und Lernsoftware gezielter identifiziert werden. Damit ließen sich heute bestehende Ungerechtigkeiten schneller überwinden. Entscheidend sei dafür, Lehrerinnen und Lehrer für die Digitalisierung zu qualifizieren und neben der Ausstattung „vor allem in Köpfe zu investieren“. Wie ihre beiden Vorredner spricht sich Nadine Schön für eine früh ansetzende digitale Bildung aus, damit keine neuen Formen der Bildungsungerechtigkeit entstehen. „Ob junge Menschen digitalen Kompetenzen besitzen oder nicht, wird viel über die zukünftigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheiden“, stellt sie heraus.

 

Titelbild: Screenshot Heinrich-Böll-Stiftung, Livestream, bearbeitet

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