Mit seinem Beitrag zu den Wiener Festwochen
"Bitte liebt Österreich!",
bei dem die Zuschauer per Telefonwahl nach Big Brother-Manier über das
Schicksal von zwölf "Asylbewerbern" entscheiden können, inszeniert
Christoph Schlingensief sich selbst und die massen-
mediale Politik gleichermaßen und hält Europa einen Spiegel vor.

Die Show verfehlt ihre Wirkung
nicht: 75 000 Zugriffe auf die Live-Bilder aus dem Asyl-Container
allein in der ersten Nacht der Aktion erwiesen sich als zu viel für webfreetv.com,
dessen Server dem Ansturm nicht gewachsen war. Die
Feuilleton-Redaktionen schreiben sich die Finger wund, auch die
Internet-Gemeinde diskutiert aufgeregt. Und eine "ungenannte
Privatperson" hat nach Angaben der Staatsamwaltschaft Wien Anzeige
gegen Schlingensief „und andere Personen“ wegen "Verspottung des
Staates" erstattet.

In der Zwischenzeit üben sich die
"Opfer" der Aktion in reflexhaften Abwehrversuchen. Nichts anderes als
eine billige Politprovokation, befand die FPÖ. Das Projekt finde vom
ÖVP-Stadtrat offensichtlich deswegen Duldung, weil er vor lauter
Bemühen um Anerkennung in der linken Kulturschickeria alles
unterstütze, was gegen die ÖVP und FPÖ gerichtet sei. Die
Freiheitlichen kündigten an, eine Klage zur Entfernung der von
Schlingensief verwendeten FPÖ-ähnlichen Embleme einzureichen. Gleiches
ist von Seiten des Boulevardsblattes "Kronen Zeitung" zu vernehmen,
dessen Logo bis Dienstag, wie das der FPÖ, neben einem Plakat mit der
Aufschrift "Ausländer raus" am Container prangte.

Dazu werfen rechte Politiker
(wieder einmal) die Frage auf, ob für solche Aktionen – der Begriff
"Kunst" wird tunlichst vermieden – Steuergelder aufgewendet werden
sollten – und liefern die Antwort selbstverständlich gleich mit. Einher
geht diese Rhetorik mit verbalen Entgleisungen in Richtung der
Initiatoren. Nun haben solche öffentlichen Äusserungen die Tendenz, auf
ihren Urheber zurück zu fallen. Und weil Christoph Schlingensief dies
weiß, wird es ihn kaum stören, dass der Wiener FPÖ-Chef Hilmar Kabas
meint, er habe eine "offensichtliche Verhaltensstörung". Im Gegenteil,
er wird mit solchen oder ähnlichen Anfeindungen als Reaktion auf die
"Weltausstellung der Freiheit" (Schlingensief über "Bitte liebt
Österreich") gerechnet haben. Denn der Provokationskünstler kennt das
Mediensystem nicht nur genauestens, er lebt von ihm genauso sehr, wie
die Medien von Leuten wie ihm.

Doch wer glaubt, Schlingensief
inszeniere vor allem sich selbst, hat nur zum Teil recht. Natürlich
geniesst er die Aufmerksamkeit, die ihm augenblicklich in Wien und
darüber hinaus zu Teil wird. Sie kreiert für ihn das "Spannungsfeld",
in dem er am produktivsten arbeitet. Aber der Versuch der FPÖ,
Schlingensief als verhaltensgestörten Politclown abzustempeln, kann die
inhaltliche Auseinandersetzung mit der Aktion genauso wenig ersetzen
wie der in die Kritik an der Spaßgesellschaft verpackte Verweis auf
ihren "Eventcharakter".

Die bewußte Provokation,
Schlingensiefs Markenzeichen, ist mehr als nur Selbstzweck. Der
39-Jährige versteht es, in seinen Projekten die modernen
Kommunikationsmecha-
nismen für sich zu nutzen. Aber er konstruiert
das Gegenüber nicht, um sich dann damit zu einigen. Es gehe um
Aufrechterhaltung der Gegensätze und um Überlebenstrategien. Und auch
um Strategien, wie man die Muster des Neuen Markts selbst möglichst
unbeschädigt überstehe, sagt Schlingensief im Interview mit der österreichischen Zeitung "Der Standard".

Indem er selbst eigene Gegensätze
"lebt", hält Schlingensief der Gesellschaft ihre eigene Schizophrenie
vor. Er karikiert die "Schaumschlägerfabriken" der Neuen Ökonomie, für
deren Erfolg Schein oft wichtiger ist als Sein, indem er dem Betrachter
seiner Container gerade so viel Einblick gewährt, das dieser eben nicht
durchblickt. Er kritisiert die Ausrichtung von Politik und Medien am
jeweils gerade aktuellen Trend – und passt sich mit seiner Big
Brother-Imitation selber dem Trend an. Er beschwert sich über den Kult,
der um seine eigene Person gemacht wird, personalisiert aber selbst die
Auseinandersetzung mit dem Gegenüber mit plakativen Parolen wie etwa
"Tötet Schüssel!".

In diesem Sinne läßt sich
durchaus von "Verhaltensstörungen" sprechen, allerdings scheinen diese
eher pathologisch in der Gesellschaft angelegt zu sein. Und so trägt
"Bitte liebt Österreich" die Diskussion auch eben dorthin zurück.
Österreichs Künstler können jedenfalls, anders als im Falle eines
"Boykotts" österreichischer Theaterhäuser, durch das Projekt wieder die
aktive diskursive Auseinandersetzung suchen. Sie kommen denn auch in
Scharen gelaufen, um ihre Unterstützung zu demonstrieren (neben den
"Eröffnungsrednern" besucht täglich ein "Gast" die verbleibenden
Containerbewohner).

Und die österreichische Regierung
kann sich, anders als im Falle der EU-Sanktionen, nicht in die Rolle
des Opfers reden. Dafür hat Schlingensief schon allein dadurch gesorgt,
dass er die "Message" seines Projekts gerade nicht auf die
österreichischen Verhältnisse beschränkt wissen will. Die europäischen
Staaten warnte er davor, im "Wir wissen jetzt, wo der Nazi wohnt"-Stil
mit dem Finger auf Österreich zu zeigen und gleichzeitig Probleme mit
Rassismus und Ausländerfeindlichkeit im eigenen Land schön zu reden.
Denn eines ist für Schlingensief klar: "Dieses Österreich, dass wir
meinen, kann überall sein."