Die öffentliche Bibliothek war einst ein Ort der Wissensaneignung, doch gerade durch den digitalen Wandel verändert diese drastisch ihren Charakter. Früher standen die Bücher im Vordergrund, heute sind es die Besucher. Die Bibliothek wird zum Treffpunkt.
Unzählige Bücher, endlos lange Gänge, riesige alte Regale und vor allen Stille. So kennt man sie, die typische Bibliothek. Doch durch den freien Zugriff auf Wissen und Informationen im Internet durch Online-Lexika wie Wikipedia oder auch Aggregatoren wie Reddit hat sich auch die Bibliothek stark gewandelt. Oft wird ja vom Aussterben des analogen Buches durch die Digitalisierung gesprochen, dem zufolge könnte man meinen, dass auch die Bibliothek durch die Digitalisierung aussterben wird. Doch genau wie das eBook das analoge Buch nicht vollständig ablöst, lösen auch das Internet und Online-Lexika nicht die Bibliotheken ab. Sie verändern diese nur.
Wissen zum Anfassen und Ausprobieren
Besucht man heute eine öffentliche Bibliothek, sieht diese oft nicht mehr so typisch aus wie man es in Erinnerung hat oder es aus alten Filmen kennt. Zwischen all den Büchern und Regalen befinden sich jetzt Kinder, die in kleinen Werkstätten das Coden lernen, offene Kreativräume, sogenannte Makerspaces zum Experimentieren und Ausprobieren von 3D-Druckern und Virtual Reality. In kleinen Musikräumen können Interessierte alleine oder in kleinen Gruppen unterschiedliche Musikinstrumente ausprobieren. Auch Integrationskurse für Geflüchtete werden angeboten. Die Bibliothek des Goethe Instituts in Bratislava zum Beispiel verleiht in ihrer „Bibliothek der Dinge“ nicht nur deutschsprachige Literatur, sondern auch Objekte wie Nähmaschinen, Teleskope und Werkzeuge. Hier soll die Bibliothek einen Ort schaffen, wo sich Menschen treffen, die sich für das Teilen von Kenntnissen, Werkzeugen und nützlichen Dingen interessieren. In der Landesbibliothek Dresden wird der Makerspace genutzt, um Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeiten zu geben, mit neuen Technologien eigene Do-it-yourself-Projekte zu realisieren. Andere haben den Begriff Bibliothek schon komplett aufgegeben wie beispielsweise die Universitätsbibliothek Stuttgart. Diese trägt den Namen Kommunikation-, Informations- und Medienzentrum (KIM). In Bibliotheken passiert offensichtlich gerade ein großer Wandel und Veränderungen. Der Ort, der einst nur unsere Bücher beherbergt hat, wird immer mehr zum Austausch und Treffpunkt für Menschen.
Der Makerspace: Kreativität und Wissenstransfer
Die Makerspace-Bewegung, die in den USA schon in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends aufkam, ist mittlerweile auch in deutschen Bibliotheken angekommen. Als erste öffentliche Bibliothek in Deutschland griff die Stadt Köln diesen Trend 2013 auf. Der Makerspace ist eine offene Werkstatt mit neuen Technologien, Tools und Medien zur freien kreativen Nutzung. Der Wissenserwerb erfolgt hier vom Do-It-Yourself bis zum Do-It-Together. Neben dem Ausprobieren soll ein Raum zum Ideen- und Erfahrungsaustausch geschaffen werden. Besucherinnen und Besucher aller Alters- und Bevölkerungsgruppen können hier mit Hilfe neuer Technologien und digitalen Tools zusammen an Lösungen für Probleme und neuen Innovationen arbeiten. Außerdem werden Workshops für Menschen angeboten, die selbst aktiv werden möchten und Interesse daran haben, Neues zu entdecken. Speziell für Kinder und junge Erwachsene gibt es in den Kreativräumen ein großes Angebot. Gerade die spielerische Weise der Wissensvermittlung fernab des institutionellen Lernraums Schule kann frühzeitig das Interesse an Coding oder technologischen Inhalten wecken.
Das Gaming ist zum Beispiel eine Wissensquelle, die in einer zunehmenden digitalisierten Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt. Computerspiele beinhalten alles, was eine erfolgreiche Wissensvermittlung braucht: Sie setzen klare Ziele, geben unmittelbares Feedback, nehmen die Angst vor Fehlern, öffnen Raum für kreatives Denken und ermöglichen soziale Interaktion. Die spielerische Herangehensweise und die Spielwelten reduzieren die Komplexität von Problemen und fördern das Erkunden von Neuem und Neugier. In der Stadtbibliothek Köln soll der Makerspace einen „Mitmach-Ort“ schaffen und den Austausch von Wissen mit unterschiedlichen Generationen ermöglichen. Kinder können nicht nur das Coden lernen. Sie treten auch als Junior-Expertinnen und -Experten auf und können so gerade bei dem Umgang mit neuen Technologien Erwachsenen etwas beibringen. Außerdem können Schallplatten digitalisiert, Podcast aufgenommen, mit 3-D-Druckern experimentiert oder mit dem iPad musiziert werden.
Die Bibliothek als Dritter Ort
Bibliotheken sind eine Einrichtung außerhalb des institutionalisierten Bildungssystems, in dem Wissen und Informationen erworben werden können. Menschen jedes Alters finden unter den vielfältigen Bildungsangeboten die Möglichkeit zum konzentrierten Lernen und Lesen. Die zentralen Aufgaben der Bibliothek sind Wissen aufzubauen, zu strukturieren und zu vermitteln. Bibliotheken verfolgen das Ziel, Kompetenzen zu stärken und freien, leichten Zugang zu Information und Wissen in einen nicht kommerziellen Raum zu gewährleisten.
Mit dem Verlust des Informationsmonopols durch die Webangebote mussten sich auch die öffentlichen Bibliotheken neu definieren. Die Besucherinnen und Besucher der Bibliotheken suchen etwas anders, nicht mehr nur das klassische Buch für neue Informationen und Wissen, sondern sie suchen einen Ort für Unterhaltung und Austausch. Sie sind auf der Suche nach einen Treffpunkt. Einen Dreh- und Angelpunkt zwischen Wissenschaft, Politik und Kultur fernab des Internets. Das Lernen findet in Umgebungen und Zusammenhängen statt, die gar nicht mit dem Lernen in Verbindung gebracht werden. Das eigene Tun und Machen spielt dabei die wichtigste Rolle. Die Menschen wollen heute nicht mehr nur Konsumenten sein, sondern auch wieder selbst aktiv werden. Sie wollen Neues ausprobieren, kreativ sein und wieder eigene Dinge tun. Menschen lernen am liebsten in einem sozialen System, in dem sie Wissen teilen können. Und dabei sind sie auf der Suche nach einem Ort, der neben der Wohnung und dem Arbeitsplatz aufgesucht werden kann. In der Soziologie wird dies als „Dritter Ort“ bezeichnet. Natürlich gab es solche dritten Orte auch schon früher wie zum Beispiel Cafés, Konzertsäle, Theater oder Vereine. Doch die Bibliothek vereint an einem Ort den Wissensaustausch aus Kultur, Politik und Wissenschaft. Durch das Internet hat sich die Gesellschaft mehr dezentralisiert, Bibliotheken geben nun wieder die Möglichkeit für einen zentralen Treffpunkt. Eben ein Ort für Menschen, nicht nur für Bücher.