Künstliche Intelligenz bewegt heutzutage nicht nur Autos, sondern seit einiger Zeit auch die Politik. Letzten Herbst hat man sich noch große Ziele gesetzt, was innerhalb der interessierten Öffentlichkeit nicht nur Neugier, sondern auch ernsthafte Bedenken um die Umsetzbarkeit der Pläne geweckt hat. Aber was hat sich seitdem getan? Eine Bestandsaufnahme von Sein und Selbstbewusstsein.

Es ist ganz offiziell: Deutschland soll KI-Weltmeister werden – zumindest wenn es nach der Bundesregierung geht. Die Veröffentlichung der ambitionierten KI-Strategie seitens der Bundesregierung, sowie die Einberufung der KI-Enquete-Kommission im Bundestag sollte allen zeigen: „Wir sind dran, macht euch keine Sorgen!“. Während die Regierung mit ihrer Strategie die Bundesrepublik KI-tauglich machen will, soll die Kommission beraten und gleichzeitig auf Seiten der Bevölkerung und auch bei der Politik selbst Vertrauen schaffen.  Einen herben Rückschlag gab es jedoch schon: Das für die Strategie angesetzte Zusatz-Budget von 3 Milliarden Euro wurde bereits im März von Finanzminister Scholz auf 500 Millionen Euro zurechtgestutzt.

Mit Blick sowohl auf die KI-Strategie, als auch auf die Themensetzung der Enquete-Kommission kann man vier Themen-Schwerpunkte erkennen: Man will die KI-Forschung fördern, die wirtschaftliche Umsetzung sicherstellen, gesellschaftliche Akzeptanz schaffen und nicht zuletzt bei all dem auch noch ethisch verankert sein. Die folgenden Zeilen widmen sich den ersten beiden Schwerpunkten.

Die großen Digitalunternehmen sind in der Forschung taktgebend

Die Mittel der klassischen Forschungsförderung – Forschungsgelder, Professuren und Forschungscluster- fanden sich in der Strategie wenig überraschend wieder, doch bei der Umsetzung hagelte es bisher von vielen Seiten Kritik: Von den 100 KI-Professuren, die das BMBF besetzen wollte,  konnten beispielsweise bisher nur für etwa 30 überhaupt ein Plan zur Besetzung vorgelegt werden. Auch ein zuvor groß angekündigtes neues virtuelles deutsch-französisches KI-Forschungszentrum wurde im Haushaltsentwurf 2019 mit keinem Wort mehr erwähnt. Man wolle stattdessen bestehende Kooperationen weiter verstärken.

Besonders interessant dürfte aber vor allem der Umgang mit der ungeheuren Dynamik in der Digitalbranche sein, die weltweit die Forschungslandschaft verändert. Das wissen auch die Sachverständigen der KI-Kommission auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung zu berichten. Dr. Tina Klüwer, Gründerin des KI-Unternehmens parlamind und selbst lange Jahre KI-Forscherin, bescheinigt, dass auch in der KI-Grundlagenforschung längst nicht mehr altgediente Forschungseinrichtungen, sondern die größten Digitalunternehmen taktgebend seien. Diese Entwicklung dürfe man nicht verschlafen.

Der preisgekrönte Robotiker Prof. Sami Haddadin konstatiert ebenfalls die schwere Trennbarkeit und hohe Dynamik zwischen digitaler Grundlagenforschung und ihrer wirtschaftlichen Verwertung. Gleichzeitig betont er jedoch die für Deutschland so zentrale Rolle der beharrlichen und zeitintensiven Grundlagenforschung. Das Problem seien hier in erster Linie fehlende Entfaltungsmöglichkeiten für junge Innovatorinnen und Innovatoren – sowohl finanziell, als auch rechtlich. Das Problem ist aber bekannt –  unter Vertretern des Forschungsministeriums wird als Beispiel hierfür gerne das MP3-Debakel genannt, bei dem die vom deutschen Fraunhofer-Institut entwickelte Technologie letztendlich in Japan und in den USA wirtschaftlich umgesetzt wurde. Harald Popp, Mitentwickler des in den 80er Jahren erforschten Kompressionsverfahrens teilte in einem Bericht des Fraunhofer-Instituts diese Analyse und problematisiert an diesem Beispiel die Unterfinanzierung deutscher Digitalunternehmen.

Zwar sieht man ihn heutzutage nicht mehr sehr häufig, dennoch ist er immer noch in den Erinnerungen vieler Forschungspolitiker*innen: der MP3-Player
Zwar sieht man ihn heutzutage nicht mehr sehr häufig, dennoch ist er immer noch in den Erinnerungen vieler Forschungspolitikerinnen und -politiker: der MP3-Player.

 „A.I. Made in Germany“

Um einen Brain-Drain gut ausgebildeter, innovationsdurstiger und potentiell unterfinanzierter Wissenschaftlicherinnen und Wissenschaftler zu verhindern, will man momentan von allen Seiten Gegenkräfte mobilisieren. Das Siegel „A.I. Made in Germany“ soll gezielt etabliert werden. Man sieht unschwer: bei der KI geht es nicht nur um eine weitere Technologie, sondern auch um eine Frage der Identität. Die KI-Strategie will selbstbewusst an die sagenumwobene Herkunftsbezeichnung anknüpfen und Deutschlands globale Stellung in den Ingenieurswissenschaften noch für lange Zeit behaupten. Deshalb will sich die Regierung in der Wirtschaft sowohl als treibende, als auch als regelnde Kraft betätigen.

Neben der verstärkten Förderung des ohnehin schon bestehenden Gründungsprogramms EXIST findet sich hier neuerdings auch die staatliche Agentur für Sprunginnovationen, welche nach langen Diskussionen um den konkreten Ort nun endgültig in Leipzig angesiedelt werden soll. Deren Aufgabe ist es, Schlüsseltechnologien in der Forschung frühzeitig zu erkennen, um diese dann möglichst schnell in Deutschland zur Marktreife zu bringen, indem sie auch noch dabei hilft, das nötige Wagniskapital zu organisieren. Auf diesem Weg sollen die häufig noch eher selbstgenügsamen universitären Forschungseinrichtungen effizienter der Wirtschaft zuspielen können. Ob dies auch so funktioniert oder die enttäuschten Länder und Kommunen, welche sich ebenfalls um den Standort für die Agentur beworben hatten, nicht am Ende doch selbst eine Konkurrenz ins Leben rufen, ist momentan schwer absehbar und wird sich erst die nächsten Monate zeigen.

Und was ist mit dem Mittelstand?

Damit der technologische Wandel auch am heiligen deutschen Mittelstand nicht spurlos vorbei geht, sollen außerdem KI-Trainerinnen und Trainer engagiert werden. Dass dies tatsächlich notwendig ist beteuert der Berliner Unternehmer Rasmus Rothe im Interview mit der Tagesschau. Es vergingen Monate, bis ein Unternehmen verstanden hätten, was für ein Potential dahintersteckt, konstatiert Rothe. Hier lässt sich jedoch ein durchwachsenes Fazit ziehen: Zwar wurden die notwendigen 20 Stellen in den Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren mittlerweile besetzt und es wird auch schon fleißig daran gearbeitet, den Sollwert von 1.000 Unternehmenskontakten im Jahr zu bewerkstelligen. Doch ist nach wie vor fraglich, ob eine einzige Person alleine tatsächlich im Schnitt 50 Unternehmen im Jahr auf KI-Kurs trimmen kann.

Sie kann in der Enquete-Kommission aus der Praxis erzählen: parlamind-Gründerin Tina Klüwer
Sie kann in der Enquete-Kommission aus der Praxis erzählen: parlamind-Gründerin Tina Klüwer

Nicht nur für das Klima braucht man stabile Ökosysteme

Sowohl für Neugründungen aus der Forschung heraus, als auch für neue Geschäftsfelder längst etablierter Unternehmen vernimmt man von allen Seiten die laute Forderung nach einem „Ökosystem“ für künstliche Intelligenz. Doch wie sieht so ein Ökosystem aus?  Dr. Tina Klüwer betont an dieser Stelle den rechtlichen Rahmen als zentrales Kriterium, in ihrem Fall vor allem den Datenschutz. In Form der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) stelle dieser sowohl Unternehmen, als auch Aufsichtsbehörden vor offene Fragen. Es sei teuer, Rechtssicherheit zu gewährleisten, was vor allem junge, aber auch mittelständische Unternehmen trifft. Befürworter der DSGVO würden aber entgegnen, dass sich auch hier längerfristig „best practices“ durchsetzen werden. Dass man die Forschung jedoch heutzutage überhaupt schwer kontrollieren könne, bescheinigt Prof. Haddadin indirekt, als er von eigenen Forschungsprojekten erzählt, bei denen die in Deutschland rechtlich nicht möglichen Parts schlichtweg in die USA ausgelagert worden sind.

Werte sind kein Unique Selling Point?

Für diese Fragen der Regulatorik hält sowohl die Kommission, als auch die Strategie der Bundesregierung eine im besten Sinne typisch deutsche Lösung bereit: Normierung. Michael Teigler von der deutschen Kommission Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (DKE) erklärt vor der KI-Kommission, dass das Normungssystem ein Erfolgsmodell für Deutschland sei, das es fortzusetzen gelte. Sowohl die DKE, als auch die DIN versuchen zum Teil mit der Hilfe des Bundeswirtschaftsministeriums sowohl technische, als auch ethische Aspekte der KI zu normieren. Man versucht der Wissenschaft und Wirtschaft Rechtssicherheit und Datenkonsistenz zu gewährleisten durch klare und verbindliche Vorgaben, welche rechtlich jedoch nicht festgeschriebene sind. Demgegenüber verbreitet sich die Kritik, dass sich die aus Deutschland stammenden Normen –insbesondere die ethischen – am Ende international nicht durchsetzen werden können. Mario Brandenburg von der FDP-Bundestagsfraktion fasst zusammen: „Werte sind kein USP“, wobei USP für „Unique Selling Point“ steht. Heißt auch: Man könne als Europa international nur Werte setzen, wenn man sich an der Spitze der Entwicklung befindet.

Inwieweit jedoch die Gesellschaft bereit ist, im Sinne eines globalen Wettbewerbs die eigenen Werte auszudehnen oder aber auch zu verwerfen und ob das überhaupt wünschenswert wäre, steht auf einem anderen Blatt. Genau dies wird Inhalt des zweiten Artikels über den Stand der KI-Kommission sein.

Hier geht es zum zweiten Teil der Reihe: KI und Gesellschaft
Hier geht es zum dritten Teil der Reihe: KI und Ethik

 

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Tina Klüwer: obs/parlamind