Die Hindernisse und Chancen der Hansestadt werden von Lorenz Lorenz-Meyer ergründet

Wenn man die schöne Webseite mit
dem stilisierten Stadtplan der Digitalen Stad vor sich hat, findet man
dort auch einen Platz mit dem Titel »Uit« – gewissermaßen die Ausfahrt
aus der Stadt. Klickt man diesen Platz an, so wird man nicht auf
magische Weise aus der virtuellen Umgebung ins wirkliche Leben
zurückgeführt, wie man vielleicht erträumen könnte, sondern man gelangt
zu Verbindungswegen, die einen zu anderen digitalen Städten in den
Niederlanden führen, die sich alle an dem Amsterdamer Vorbild
orientiert haben.
Wenn man dann auf dieser Ausfahrt aus dem virtuellen Amsterdam in eine
der eingerichteten »Seitenstraßen« abbiegt, kann man sich eine
komplette Bedienungsanleitung für die Einrichtung einer solchen Stadt
herunterladen, mit Personal- und Kostenplan und politischen Tips und
Tricks. Diese Bedienungsanleitung ist zwar nicht ganz auf dem neuesten
Stand, aber sie ist immer noch eine hervorragende Orientierungshilfe.

Nachdem wir Geert Lovinks
informativen Vortrag über das Amsterdamer Projekt gehört haben, stellt
sich natürlich die Frage, ob es nicht auch hier vergleichbare
Einrichtungen oder Initiativen gibt, und wenn nein, ob man sie schaffen
könnte.

Nun, in unserem geliebten Hamburg
gibt es bislang nichts auch nur annähernd Vergleichbares. Ich werde
gleich näher auf die Situation hier in der Hansestadt eingehen. Im
übrigen Deutschland existieren durchaus einige Einrichtungen mit
ähnlicher Zielsetzung, zum Beispiel die bayerischen Bürgernetze oder
die sogenannten »Internationalen Städte« in Bremen und Köln, die sich
auch explizit an den Holländern orientieren. Eine weitere
Internationale Stadt in Berlin ist vor kurzem eingestellt worden. Wir
haben hier heute zwei Bürger der Stadt Münster zu Gast, die ebenfalls
ein eindrucksvolles Bürgernetz auf die Beine gestellt haben. Ich glaube
aber, man kann sagen, daß keines dieser Projekte in Anspruch und
Dynamik mit dem einschüchternden Vorbild vergleichbar ist.

Um die Gründe dafür zu verstehen,
muß man sich zum einen die Geschichte der Bürgernetzprojekte vor Augen
führen, und man muß sich zum anderen genauer anschauen, worin
eigentlich das Erfolgsrezept der Amsterdamer besteht.
Bis vor wenigen Jahren gab es für Privatleute praktisch noch keine
erschwingliche Möglichkeit, einen Internet-Zugang zu bekommen. Einige
wenige Privilegierte hatten über ihre Arbeitsplätze an Universitäten
oder Forschungseinrichtungen Zugang zum Netz, aber normale Sterbliche
mußten, wenn sie über ihren Computer mit anderen kommunizieren wollten,
mit eingeschränkteren Möglichkeiten vorliebnehmen. Sie konnten sich
beispielsweise per Telefonleitung mit einer lokalen Mailbox verbinden.
Dort gab es dann im relativ intimen Kreis kleine Diskussionsforen, man
konnte miteinander chatten oder sich Software für den eigenen Computer
herunterladen. Einige Mailboxen waren untereinander vernetzt und
vergrößerten so den kommunikativen Raum, indem sie über Nacht ihre
eingesammelten Informationen, zum Beispiel Diskussionsbeiträge oder
elektronische Post, miteinander austauschten. Mit dem Internet verband
einen bestenfalls ein Gateway, ein Nadelöhr, über das man von Zeit zu
Zeit Informationen in die große weite Welt der akademischen Netze
weiterleiten konnte.

In dieser Zeit entstanden die
ersten Freenets und Bürgernetze, und eine ihrer großen Leistungen
bestand darin, auch dem Normalverbraucher einen Zugang zu größeren
Computernetzen, und bald eben auch zum Internet, zu verschaffen. Und
dadurch, daß die Bürgernetze zu den ersten Anlaufstellen gehörten, die
diesen Zugang zu erschwinglichen Preisen bereitstellten, bekamen diese
Projekte eine ungeheure Dynamik. Das gilt in gewisser Weise auch noch
für die Digitale Stad Amsterdam. Von den zwei Organisationen, die an
der Gründung des Projekts beteiligt waren, ist eines das Hackernetzwerk
HackTic. Und aus eben diesem Hackernetzwerk entstand neben der
Digitalen Stad auch der Internet-Provider mit dem programmatischen
Namen XS4ALL, »Zugang für alle« – ein durchaus kommerzielles
Dienstleistungsunternehmen, das aber gleichzeitig ein politisches
Programm in Angriff nahm.
Mittlerweile ist Zugang zum Internet ein zwar immer noch recht
kostspieliges, aber relativ leicht zu erhaltendes Gut, um das zumindest
keine Bürgerinitiativen mehr zu kämpfen brauchen. Und das Internet
selbst wird als globales Kommunikationsmedium gepriesen, das uns
Informationen von Anbietern aus der ganzen Welt liefert. Über all den
bunten Inhalten im Netz sind die lokalen und regionalen
Anwendungsmöglichkeiten, die die Bürgernetze ausmachten, ein wenig in
Vergessenheit geraten. Diese Entwicklung hat dafür gesorgt, daß viele
dieser Projekte mittlerweile eingegangen sind (siehe Berlin) oder nur
noch vor sich hindümpeln. Diejenigen aber, die es richtig gemacht
haben, haben mittlerweile einen fast uneinholbaren Vorsprung.

Ich glaube allerdings, daß
Bürgernetze und ähnliche Unternehmungen eine Renaissance erleben
werden. Es wird zur Zeit viel davon geredet, daß das Netz die Bildung
virtueller Gemeinschaften befördere oder geradezu erzwinge. Das ist
sicher richtig. Die Wirtschaft verspricht sich viel davon, Kunden in
Form von virtuellen Gemeinschaften an ihre Marken und Produkte zu
binden. Hier bin ich allerdings skeptisch, zumindest was den
Consumermarkt angeht. Es gibt einfach zu viele Anbieter und damit auch
zu viele potentielle virtuelle Gemeinschaften. Und die Tatsache, daß
ich erwäge, mir einen VW Golf zu kaufen, schafft nicht genug Nähe, um
mit anderen VW-Kunden dauerhaft elektronisch anzubändeln.
Vor diesem Hintergrund wird meines Erachtens deutlich, daß virtuelle
Gemeinschaften nur auf der Basis dauerhafter realer Beziehungen
wirklich sinnvoll und überlebensfähig sind. Gemeinsame Hobbys sind ein
Beispiel für solche realen Beziehungen, und je exotischer die Hobbys,
desto wertvoller ist natürlich ein Kommunikationsmittel, das so mühelos
Distanz überwindet, wie das Internet. Und eines der stärksten und
reichhaltigsten sozialen Beziehungsgeflechte entsteht eben durch
tatsächliche Nachbarschaft, durch eine gemeinsame Heimatstadt, die
gleiche Behörden, das gleiche Veranstaltungsangebot, den gleichen
Fußballverein usw. Deshalb glaube ich, daß es trotz allem einen großen
Bedarf an lokaler elektronischer Kommunikation gibt, und daß dieser
Bedarf weiter wachsen wird.

Ein weiterer Grund, warum viele
Stadt- und Bürgernetzprojekte zur Zeit nicht recht vom Fleck kommen,
liegt meines Erachtens darin, daß in ihnen eine der grundlegenden
Einsichten der Amsterdamer Städtegründer nicht genügend berücksichtigt
worden ist. Wer sich die Mühe macht, die schon erwähnte
Bedienungsanleitung genau zu lesen, wird dort den Hinweis finden, daß
es für den Erfolg solcher Projekte unbedingt erforderlich ist, eine
Balance zwischen drei Faktoren zu erhalten: Da gibt es erstens die
Obrigkeit, wie die Niederländer sagen, die Verwaltung und Behörden.
Zweitens ist die lokale Wirtschaft beteiligt. Und drittens sind da
schließlich die einzelnen Teilnehmer, die Bürger selbst, die sich zum
Beispiel in Form von Nutzergruppen, Bürgerinitiativen usw. organisieren
und artikulieren können.
Nur im gleichberechtigten Zusammenspiel dieser drei Instanzen wird es
möglich, daß das Projekt wirklich zu einem Integrationssystem wird, das
auf natürliche Weise wachsen kann und dabei für alle Beteiligten
spannend bleibt. Wenn eine der Parteien Übergewicht bekommt, bricht die
Angelegenheit auseinander und wird unattraktiv. Das einheitliche
Interface, in dem die verschiedensten Interaktionsformen und
Webangebote der Verwaltung, der Unternehmen und einzelner Nutzer auf
gleicher Ebene nebeneinander stehen, entspricht dem Bild einer
wirklichen Stadt. In dieser Metapher spiegelt sich der ganze Reichtum
unseres realen Lebens, so daß wir uns in einem solchen System mit allen
unseren Interessen, Bedürfnissen und Eigenheiten wiederfinden können.

Wie schaut es nun hier in Hamburg
mit den Aussichten für die Einrichtung einer digitalen Stadt aus? Wir
sind, wie gesagt, nicht mehr in den Pioniertagen des Internet, und in
den letzten Jahren hat sich bereits eine ganze Menge getan. Die
Hamburger Obrigkeit hat ein bißchen gebraucht, bis sie die Zeichen der
Zeit erkannt hat, aber mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von
Einrichtungen, die ich hier nennen kann.