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Der UdL Digital Talk hatte sich mit dem Thema „Chancen der Digitalisierung“ nicht unbedingt ein leichtes Thema ausgesucht. Der NSA-Überwachungsskandal, Googles Gedächtnis und Facebooks Manipulationen lassen die Menschen dem Internet mehr misstrauen als jemals zuvor. Doch die klugen Ideen des Medienökonomen Mike Friedrichsen gingen neben einem leicht überdrehten CDU-Generalsekretär ziemlich unter.
Es erinnerte ein bisschen an das legendäre Cover der Satire-Zeitschrift Titanic vom Dezember 1980. Unter der Überschrift „Hungerproblem gelöst!“ steht ein mehr als adipöser Mann und empfiehlt einer Horde offensichtlich unterernährter Menschen: „Einfach mehr spachteln!“. Auch wenn im 21. Jahrhundert das weltweite Hungerproblem nicht gelöst ist, das Thema an diesem Sommerabend im „BaseCamp“ der E-Plus Gruppe in Berlin-Mitte war es ganz sicher nicht.
Es läuft Reggaemusik, die Stühle sind wild durcheinander gewürfelt, das soll wohl eine Start-Up-Atmosphäre sein. Die Frage, die in der Einladung zu der Veranstaltung bereits an das Podium gestellt wird, lautet in etwa: Wie kann den Bürgern in Deutschland das Internet wieder als eine Chance und nicht nur als ein vermeintliches Überwachungsinstrument nahe gebracht werden? Nicht unprominent tauschten sich dazu aus: Mike Friedrichsen, Professor für Medienökonomie und Medieninnovation an der Hochschule Stuttgart, und Peter Tauber, immerhin Generalsekretär der momentan stärksten Partei in Deutschland.
Peter_Tauber-Mike_Friedrichsen-Cherno_Jobatey-16072014-UdL_Digital-0163Amazon beherrscht in den USA bereits über 50 Prozent des Buchmarktes und ist auch in Deutschland dabei, einen ganzen Wirtschaftszweig auszutrocknen. Erst kürzlich streikten in mehreren europäischen Städten die Taxifahrer, um auf die Bedrohung ihres Berufsstandes durch mobile Apps hinzuweisen. Seit dem EuGH-Urteil wissen wir zwar, dass Google vergessen soll, aber nicht, wann und wie eigentlich genau? Facebook hat erst vor kurzem ein gigantisches Psychologie-Experiment an seinen unwissenden Nutzern durchgeführt. Und über allem schwebt seit einem Jahr der wohl größte Überwachungsskandal der Geschichte, vorbei an der deutschen Rechtsstaatlichkeit. Das Rezept von Peter Tauber aber, um all diesen Problemen und daraus resultierenden Vorbehalten zu begegnen, mutet an wie eine Mischung aus unbeirrbarem Optimismus und gedankenloser Zurückweisung von Verantwortung. Eine Haltung, mit der er im Übrigen in seiner Partei nicht allein zu sein scheint: Bundestagspräsident Norbert Lammert gab erst kürzlich im Bundestag zu Protokoll, die Tatsache dass auch er persönlich überwacht wird, trage er „mit Fassung“.

Das Problem ist der deutsche Datenschutz?

Natürlich, ein Generalsekretär soll polarisieren, einpeitschen, die Seele der Parteianhänger streicheln. Zudem ist gerade dieser Politiker als Mitbegründer von cnetz (dem netzpolitischen Verein der CDU) nicht gerade als netzpolitischer Neuling bekannt. Zumal er in seinem Blog zeigt, dass er auch differenzierter argumentieren kann.
Umso bemerkenswerter ist es deshalb, wenn er nach den ersten einleitenden Worten des Moderators in die Kamera sagt, die besorgten Datenschützer seien „Weicheier“, nötig wäre auch eine Portion Optimismus. Die Deutschen seien eben nur dann glücklich, wenn sie sich über etwas beklagen könnten. Dann, mit Bezug zum Buchhandel, dass es ja wohl nicht die Aufgabe der Marktwirtschaft sei, „ausgelaufene Geschäftsmodelle zu sichern“. Überhaupt, der strenge deutsche Datenschutz behindere wirtschaftliche Innovation mehr als Google.
Hier versucht sich sein Gesprächspartner Friedrichsen zaghaft einzuschalten und weist darauf hin, dass es im Internet, genau wie in jedem Markt, eben zu Monopolen kommen könne. Google ist ein solches. Und genau wie wie in jedem Markt behindert ein Monopol auch im Internet die freie Entfaltung anderer Akteure. An das Publikum gewandt fragt Moderator Cherno Jobatey, wer denn täglich Google und Facebook nutze. Es sind fast alle – außer einem, der nutzt auch Yahoo. Friedrichsen folgert: „Wir hinterfragen Google nicht mehr“.
Aber Tauber ist schon beim nächsten Thema: „Datenmissbrauch hat es immer gegeben. Auch früher konnte jemand bei meinem Arzt einsteigen und meine Krankenakte stehlen“. Es folgen Positivbeispiele: technikbegeistere Rentner, die bereit sind, sich einen Gesundheitschip einpflanzen zu lassen; die Weltmeister-Selfies (mit Merkel) aus der Kabine der deutschen Nationalmannschaft. Wie medienkompetent wir Deutschen doch sind!

„So ganz versteht die Politik das alles nicht“

Stehle sich Politik mit einer solchen Haltung nicht aus der Verantwortung, fragt Cherno Jobatey. Wenn es scheinbar kein Problem gibt, nirgendwo? Was sei mit dem Primat der Politik? Doch auch hier hat der Generalsekretär eine erstaunliche Antwort parat: So einfach sei das eben nicht. „Wir machen das ja nicht allein. Google ist ja nicht Befehlsnehmer der Politik, sondern vielmehr ein Partner“. Denn, so Tauber: „So ganz versteht die Politik das ja alles auch nicht.“ Und ob man wenigstens dafür sorgen könnte, dass Google nicht in Deutschland Milliardenvermögen erwirtschaftet, darauf aber irische Miniatursteuern bezahlt? Nicht so einfach, sagt Tauber mit Verweis auf eine Einschätzung der EU-Kommission. Aber: „Ich finde das auch nicht so schlimm schön (*), wenn Google in Deutschland nicht so viele Steuern bezahlt.“

Optimismus gegen Revolution

Dem hallodrihaften Auftritt von Tauber setzt Professor Friedrichsen dabei in wenigen Worten eine ganze Gegenwelt vor: „Die Systemfrage muss gestellt werden. Wir leben doch in einer sozialen Marktwirtschaft.“ Auch das Internet brauche einen wirtschaftspolitischen Rahmen. Und diese Themen müsse man auch diskutieren können, ohne dass immer gleich jemand mit dem DDR-Vergleich um die Ecke kommt: Es brauche Ludwig Erhard online. Sonst verselbstständige die Internetwirtschaft sich vollständig. Es sind weder Tauber noch Jobatey, die an diesem Abend die richtigen Fragen stellen. Es ist Friedrichsen: „Das Internet wirkt auf alle Bereiche des Lebens, auf Gesellschaft, Politik, Privatwirtschaft – warum entsteht dort aber nur für die Wirtschaft ein Handlungsspielraum?“
Medien- und Internetkompetenz müsse schon in der Schule vermittelt werden, hier hänge Deutschland meilenweit zurück. Tauber fällt darauf nur ein weiteres Positivbeispiel aus seinem Wahlkreis ein.
Der Talk hinterlässt den Zuschauer relativ ratlos. Auf dem Podium saß ein Professor, der nicht weniger forderte als einen staatlichen Ordnungsrahmen für das Internet und europäische Gegenmodelle zur US-amerikanischen Dominanz. Und das nicht nur in puncto Wirtschaft, sondern auch bei den digitalen Bürgerrechten. Eine Revolution also. Sein Gesprächspartner war ein hoher Politiker, der mit einer sonderbaren Kombination von Neuland-Rhetorik und ordoliberaler Unbekümmertheit eigentlich den Sinn der ganzen Veranstaltung bestritt – denn: Wo kein Problem, da braucht es auch keine Lösung.
Man möchte das Titanic-Cover wieder hervorkramen und es auf die Internetdebatte umschreiben: „So gelingt die Digitalisierung: Einfach keine Sorgen mehr machen!“

(*) In einer früheren Version des Artikels hatte es geheißen, Peter Tauber habe mit Bezug zum Steueraufkommen von Google in Deutschland gesagt, er finde dies “nicht so schlimm”. Tatsächlich war die Formulierung jedoch “nicht so schön”. Diese Stelle hatte ich akustisch falsch verstanden. Der Kontext war, dass Tauber die Möglichkeit einer höheren Besteuerung von Google mit Verweis auf eine Einschätzung der EU-Kommission verneinte.
Nachzuhören ist die Stelle in diesem Video von UdL Digital, in dem Ausschnitte des Abends zu sehen sind. Ich bitte das Missverständnis zu entschuldigen.

 

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