(Kommentar) Soziale Bewegungen sind – was das Netz angeht – inzwischen keine Vorreiter mehr. Die Aktivisten mobilisieren mit Mailinglisten, machen ein paar gemeinsame Websites, das war es dann auch schon. Diese Schlafmützigkeit kann den Erfolg von Attac und Co. dauerhaft gefährden, kommentiert Daniel Schulz.
Denn soziale Bewegungen sind Aufmerksamkeitsbetriebe. Parteien erreichen
ihre Ziele mit Macht, Unternehmen mit Geld. Soziale Bewegungen haben
beides nicht und können ihre Ziele nur mittelbar erreichen: Über
das Beeinflussen der öffentlichen Meinung.
Dafür müssen sie Beachtung erringen. Und das wiederum
tun sie, indem sie sich so überraschend und innovativ verhalten,
dass sie erstens Anhänger gewinnen und zweitens in den Fokus
der Medien geraten.
Zu wenig Aufmerksamkeit, nicht zu wenig Inhalte
Inhalte? Ja, Inhalte sind wichtig, niemand begibt sich gern auf
einen Weg, von dem er nicht weiß wohin er führt. Vernetzung?
Auch gut, jeder weiß gern, mit wem er es zu tun hat. Dennoch
muss das Ziel irgendwie erreicht werden. Und selbst mit dem besten
Programm kann eine Bewegung die öffentliche Meinung nicht beeinflussen,
wenn ihr keine Beachtung geschenkt wird. Die Friedensbewegung leidet
nicht an zu wenig Vernetzung oder an zu wenig Programmatik. Sie
leidet an zu wenig öffentlicher Aufmerksamkeit.
Um sich diese zu erhalten, muss eine Bewegung sich stets verändern,
neue Formen ausprobieren, beweglich bleiben. Sie muss glaubhaft
die Geschichte erzählen, dass auf ihrer Seite die guten, coolen,
witzigen und interessanten Typen sind und auf der anderen Seite
die Bösen. Wie schon bei David gegen Goliath. Und wenn eine
Bewegung dies gut macht, bekommt sie beides: Anhänger und die
Medien.
Internet auf dem Trip ins Politische
Bei den Protesten gegen ein Treffen der Welthandelsorganisation
WTO in Seattle 1999 haben Globalisierungsgegner ihre Geschichte
unter anderem mit ihren Mirror-Sites erzählt. Auf einmal fanden
sich auf scheinbar offiziellen Seiten der WTO Informationen über
deren schändliche Finanzpolitik. Die Welt lachte über
die WTO und den Coup der Globalisierungsgegner.
Und was würde heute gestaunt, wenn Attac beispielsweise seine
eigene Version der dreidimensionalen Simulation Second Life herausbrächte?
Neue Medien sind mit Browsergames
über ein Dorf im Darfur-Konflikt und einem Spiel über
die Palästina-Frage gerade auf einem Trip ins Seriöse
und Politische. Was für eine Geschichte könnten die Globalisierungskritiker
erzählen, wenn sie hier Trendsetter wären. Selbst für
die Regionalzeitungen, die gerade Second Life als etwas Neues entdecken,
wäre da noch etwas dabei. Ach ja, und für die Vernetzer
und Inhalte-Orientierten gäbe es auch etwas: Man kann sich
da nämlich treffen und sich unterhalten.
Daniel Schulz schreibt für die taz unter
anderem über soziale Bewegungen.