Der digitale Transformationsprozess bietet nicht nur neue Technologien, die immer mehr den Arbeitsplatz erobern, sondern verändert diesen auch maßgeblich. Das Konzept New Work soll den Menschen mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten dabei wieder in den Mittelpunkt stellen. Dafür bedarf es jedoch neuer kreativer und innovativer Lösungen. Wie sich Arbeit und Arbeitsplatz verändern, aber auch aktiv neu gestaltet werden können, erklärt Lieven Bertier von Barco ClickShare im Interview.
Lieven Bertier ist seit mehr als 15 Jahren bei Barco tätig und hat in dieser Zeit verschiedene Funktionen für das Unternehmen übernommen. Seit 2014 ist er Teil des ClickShare-Teams und arbeitet als Segment Director Workplace, wo er sich mit der Veränderung des Arbeitsplatzes durch die Digitalisierung sowie neuen Kommunikationslösungen beschäftigt.
politik-digital.de: Was bedeutet New Work für Sie?
Lieven Bertier: New Work ist bereits heute Realität in den meisten Unternehmen, ob bewusst oder unbewusst. Zum einen lassen sich diese neue Entwicklungen an konkreten Zahlen festmachen. Laut unserer neusten Studie ist zum Beispiel die Zahl der remote-arbeitenden Mitarbeiter im Laufe des letzten Jahrzehnts um 115% gestiegen. 49% der Beschäftigten arbeiten mittlerweile regelmäßig von einem anderen Standort als ihrem Büro aus. Gleichzeitig sind solche Zahlen nur ein kleiner Ausschnitt einer allgemeinen Flexibilisierung des Arbeitsplatzes, die neben einer selbstbestimmteren Wahl des Arbeitsorts auch flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsprozesse miteinschließt. Am Ende gibt es viele Definition von New Work, die im Grunde alle eine Art Abkehr von strikten und starren Prozessen und Denkweisen beschreiben und mehr Spielraum und Freiheit für Innovation bedeuten.
Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus?
Wenn wir in die nahe Zukunft schauen, werden die meisten Arbeitsabläufe wohl mehr oder weniger in ihrer Essenz erhalten bleiben. Was sich neben der immer weitervoranschreitenden Flexibilisierung der Arbeitskultur vor allem in den nächsten Jahren maßgeblich verändern wird, sind die technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen werden. Interessant ist, dass unsere Forschung zeigt, dass es vor allem die Mitarbeiter selbst sind, die hohe Erwartungen an die Technologien haben und sich sogar eine schnellere Digitalisierung des Arbeitsplatzes wünschen. 65% der Befragten wünschen sich eine stärkere Einbindung digitaler Hilfsmittel wie zum Beispiel Virtual und Augmented Reality. Wir sehen hier grundsätzlich eine fast ausschließlich positive Erwartungshaltung an neue Technologien.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung des Arbeitsplatzes auf die Arbeitskultur? Können Sie hierfür ein konkretes Beispiel geben, was die radikalsten Veränderungen sein werden?
Nehmen Sie das Beispiel der physisch immer weiter verteilten Teams. Hinzu kommt das Unternehmen immer öfter mit zeitlich festgelegten Projektteams arbeiten, bei denen immer öfter auch Freelancer miteingebunden werden. Hierin sehen wir ein klares Arbeitsmodell der Zukunft, das unser klassisches Arbeitsmodell, bei dem Mitarbeiter oft über Jahrzehnte mit denselben Kollegen in festen Büroräumen zusammenarbeiten, ablöst. Solche Teams werden nur wenige Monate miteinander an gezielten Projekten zusammenarbeiten und das von verschiedenen Orten aus. Eine Herausforderung wird sein, eine vertraute Arbeitskultur und schnelle Kommunikation zu schaffen, um wirkliche Teamarbeit zu ermöglichen. Hierin sehen wir eine große Herausforderung. Gleichzeitig glauben wir, dass wir nur mit moderner Kommunikationstechnologie Lösungen für diese Herausforderungen finden können.
Inwiefern werden sich Unternehmenskultur und Umgang miteinander ändern, wenn zwischenmenschliche Kommunikation weitgehend durch technische Kommunikationsmittel ersetzt wird?
In einem idealen Szenario wird der Wandel kaum zu spüren sein, weil die Technik Menschen eben noch effizienter miteinander verbindet. Natürlich werden Emails und Telefonanrufe weiterhin eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwischen Kollegen spielen. Gleichzeitig glauben aber zum Beispiel 77% der Befragten unserer Studie, dass Videoübertragung in den nächsten drei Jahren Standard für Meetings sein wird. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass Mitarbeiter dazu befähigt werden, sich überall und immer digital mit ihren Kollegen zu vernetzen. Nur so kann ein reibungsloser Wechsel von Kommunikation Angesicht-zu-Angesicht hin zu digitaler Kommunikation funktionieren.
Welche technischen und kulturellen Lösungen brauchen wir für den Arbeitsplatz der Zukunft?
Im Grunde sind die meisten technischen Lösungen bereits vorhanden. Nun geht es tatsächlich darum den Wandel der Arbeitskultur aktiv zu gestalten. Unsere Studie zeigt, dass es hierbei vor allem wichtig ist, dass die Managementebene Freiheiten und Spielraum für das Erproben neuer Arbeitsprozesse einräumt. Dabei geht es sowohl um den Einsatz innovativer technischer Lösungen und flexiblerer Arbeitsmodelle, aber auch Dinge, die auf den ersten Blick eher banal wirken, wie zum Beispiel die Raumaufteilung in Büros. Verschiedene Studien von uns, die in den letzten Jahren erschienen sind, weisen klar darauf hin, dass ein diverses Angebot an Meeting- und Büroräumen eine deutlich bessere Arbeitskultur schafft. Besonders beliebt werden dabei immer mehr sogenannte Huddle Rooms oder Spaces. Dabei handelt es sich um kleine nicht buchbare Räume oder abgrenzbare Raumelemente, die für kurze spontane Meetings genutzt werden können und eine Abwechslung zu den oftmals noch vorhandenen Großraumbüros bereitstellen.
In welchen Bereichen kann Technik verbessert werden?
Ich denke, dass wir schon sehr weit gekommen sind mit den technischen Möglichkeiten, die wir heute haben. Der nächste große Schritt ist es, Technik benutzerfreundlicher, leichter anwendbar und schneller einsetzbar zu machen. Unsere letzte Studie hat gezeigt, dass noch heute 11% der Zeit von Besprechungen mit dem Anschließen und Einrichten von Technik verschwendet wird. Ein Hauptproblem ist, dass Technik zu kompliziert ist und nicht intuitiv für Nutzer verwendbar ist. Das schließt natürlich viele Menschen von ihrer Nutzung aus oder erfordert langwieriges Training. Am Ende ist es bei Technik wie bei gewöhnlichen Konsumgütern: Wenn Sie sich einen neuen Fernseher kaufen, wollen Sie auch nicht die gesamte Bedienungsanleitung durchlesen müssen, um diesen zu starten. Sie wollen ihn einstecken, anschalten und direkt benutzen. Das selbe gilt auch für Technik, die wir in unseren Büros verwenden.
Wie kann Technik die Fort- und Weiterbildung der ArbeitnehmerInnen unterstützen, wenn diese neue Berufe lernen müssen?
Natürlich können durch die digitale Vernetzung bessere Trainingsmöglichkeiten angeboten werden. Mitarbeiter können von Zuhause aus lernen; Ausbilder und Lehrer können aus der Ferne digital unterrichten und müssen nicht physisch vor Ort sein. Das ist natürlich eine wichtige Errungenschaft, die es vor allem ermöglicht, gerade auch Menschen außerhalb der großen Ballungszentren zu erreichen, die sonst einen eher eingeschränkten Zugang zu digitaler Bildung haben.
Welche Branchen werden als nächstes mit New Work erschlossen werden?
Bisher ist New Work vor allem bei den großen Firmen im Gespräch und betrifft vor allem den Service- und Dienstleistungssektor. Vor allem in Büros hat die digitale Transformation bereits auch zu einem Wandel der Arbeitskultur geführt. Über kurz oder lang wird New Work wohl aber auch in anderen Branchen und Sektoren Anklang finden. Je mehr Prozesse automatisiert werden, desto mehr Freiheiten ergeben sich in der Regel auch, Arbeitsprozesse neu zu gestalten. Gleichzeitig verändern sich auch die Ansprüche der neu in den Arbeitsplatz kommenden Generationen. Zum einen wünschen sich diese immer mehr mit neuer und modernster Technologie zu arbeiten. Zum anderen werden Home Office, Teilzeitmodelle oder andere flexiblere Arbeitsformen in immer mehr Branchen gefragt werden. In den nächsten Jahren erwarten wir, dass es eine weitere Bewegung von New Work auch in der Produktion und dem produzierenden Gewerbe geben wird. Auch hier wird die Automatisierung neue Arbeitsmodelle ermöglichen.
Titelbild: asawin via PxHere, CCO, bearbeitet.
Bild Lieven Bertier: Barco