Der Arabische Frühling, Al Jazeera, 1.000 Peitschenhiebe für einen saudischen Blogger. Wir wissen trotz dieser Beispiele wenig von der arabischen Medienwelt und ihren Unterschieden zu der unseren. Ein Buch versucht nun, den Überblick zu schaffen.
„Arabische Medien“, herausgegeben von Dr. Carola Richter und Dr. Asiem El Difraoui, ist eine zweiteilige Sammlung von Aufsätzen und das erste Überblickswerk über die arabische Medienwelt. Der erste Teil beschäftigt sich mit den länderübergreifenden Gemeinsamkeiten der arabischen Medien. „Transnationale Phänomene“ ist hierfür die Bezeichnung, und aus europäischer Perspektive zunächst hilfreich.
Im zweiten Teil werden alle arabischen Länder hinsichtlich ihrer Geschichte sowie der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse dargestellt. Notwendig ist dies alleine deswegen, um uns Europäern die vermeintlich vertrauten Strukturen überhaupt erst darzustellen. Wir haben in vieler Form täglich mit der Region zu tun, wissen aber wenig über die tatsächlichen Zustände und auch nichts über deren Ursachen.
Interessant sind im Vorfeld die Kerndaten: Die Alphapetisierungsrate der arabischen Länder liegt grob zwischen 75% und 98% und ist damit weit höher als mancher es gemeinhin vermutet. Dabei ist der Anteil junger Menschen unter 15 Jahren mit zum Teil weit über 30% (Deutschland 13%) ebenso überdurchschnittlich wie in weiten Teilen der Handybesitz, der überraschend in Ländern wie Libyen und Ägypten beispielsweise signifikant über dem in Deutschland liegt. Beim Pressefreiheitsindex ist es hingegen umgekehrt. Nur ein Land schafft es knapp unter die 100 freiesten, viele liegen irgendwo zwischen 125 und 170, während zum Vergleich Deutschland auf Rang 16 liegt.
Wahrnehmung nur in der Katastrophe
Wir bringen im Grunde arabische Medien ausschließlich mit Katastrophen, Anschlägen und Umstürzen in Verbindung. Irgendwo ist immer ein Krieg, ein Terrorist, ein Umsturz oder ein anderes negativ geprägtes Ereignis der Grund, weshalb wir Bilder aus der arabischen Welt wahrnehmen. Daneben haben wir Gängelungen, Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit und auch ein für uns ungwohntes Maß an Verquickung von Religion und Staat vor Augen. Dabei ist dieses Bild, zumindest historisch betrachtet, falsch, denn manchmal zu Kolonialzeiten bereits, zumindest aber nach der Unabhängigkeit gab es durchaus Medienlandschaften, die denen der europäischen ähnelten.
Die meisten arabischen Länder haben eine Entwicklung hinter sich, die man schlagwortartig mit den Begriffen und dem Zeitstrang „Kolonialherrschaft – Demokratie – Umsturz – Diktatur – Umsturz“ betiteln kann. Daneben gibt es zwar auch andere Formen wie Königreiche, aber dennoch stimmt die Pauschalierung in vielen Ländern.
Diesem Ablauf folgend hat sich auch die Medienlandschaft dauernd verändert bzw. ist, abhängig vom jeweiligen Zustand, dauerhaften Änderungen unterworfen. Alleine deshalb fällt es uns Europäern so schwer, ein Medienbild wahrzunehmen, das wir aus unserer eigenen Wahrnehmung und Anschauung kennen. In Europa ist die Medienlandschaft weitaus homogener als eben in diesen Ländern. Es gibt zwar große Unterschiede, dabei ist jedoch in weiten Teilen eines gleich: eine freie Presse- und Medienlandschaft, unabhängig von politischen Systemen.
Es wäre zu weitführend, jedes einzelne Land und die dort vorzufindende Situation zu beschreiben. Deshalb ist der Teil 1, die Phänomene, das vielleicht bessere Thema. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die wissenschaftliche Aufarbeitung auf eine größere Zahl von Bereichen erstreckt als die hier herausgestellten, sei es der Umgang von Frauen und Medien oder auch Genderstrukturen oder Mediencluster.
“Transnationale Phänomene”
Der Fernsehsender Al Jazeera war und ist seit längerem der einzige in Europa einer breiten Öffentlichkeit bekannte Fernsehsender der arabischen Welt. Ende der 90er Jahre war dieser Sender das nahezu einzige Medium, das auch von vielen TV-Sendern in der westlichen Welt aufgegriffen und wiedergegeben wurde. Inzwischen hat sich dies jedoch verschoben. Einerseits ist zunehmend klarer geworden, dass die scheinbar objektive Berichterstattung eben letztlich eine politisch gesteuerte ist. Andererseits hat sich mit den neuen Medienformaten wie Facebook, Twitter YouTube und anderen Internet-basierten Medien das Gewicht in Form und Inhalt verschoben.
Facebook und Twitter haben eine direkte und individuelle Komponente. Sie sind deshalb zunächst authentischer als ein offensichtlich politisch kontrollierter Fernseh- und Radiosender. Dies führt einerseits dazu, dass aus eben diesem Grund in diversen Ländern solche Dienste be- und eingeschränkt sind und andererseits auch dazu, dass es sich jeweils um eine individuelle Meinungsäußerung einer Person handelt, die damit ohnehin subjektiv gefärbt ist, aber in Gesamtheit mehrerer solcher subjektiven Äußerungen einen objektiven Kern transportieren kann.
Dennoch haben diese Medien nicht nur eben einen politischen Hebel, sondern verkürzen wie überall auf der Welt die Informationswege und berichten demnach zwar individuell gefärbt, aber dabei in Gänze betrachtet objektiver über bestimmte Umstände im Land als eine mal mehr oder weniger gesteuerte „alte“ Medienlandschaft in Form von Print, Radio und TV.
Gerade bei den Demokratisierungsbemühungen und den zahlreich und immer wieder auftretenden Umstürzen und Volksbewegungen spielen Facebook und Twitter dennoch eine entscheidende Rolle bei der Organisation der Volksbewegungen und auch dem Transport der Information an sich. Die meisten Entwicklungen des arabischen Frühlings wären ohne diese neuen Medien vermutlich weder entstanden noch mit diesem Erfolg umgesetzt worden. Während der Protestphasen und unter einer eingeschränkten und limitierten Meinungsäußerung wurden auf diesem Weg individuelle Meinungen an den offiziellen Medien vorbei kanalisiert und dabei auch verstärkt.
In der Phase der Demokratisierungsbemühungen haben soziale Medien hingegen auch ein „dysfunktionales Potential“. Politische Polarisierungen verstärken sich, integrative und demokratische Momente schwächen sich ab. Im Sinne einer Debattenkultur im öffentlichen Raum müssten demnach eigentlich die öffentlichen Leitmedien wieder gestärkt werden und diese Funktion übernehmen.
In vielen Fällen ist jedoch das dem Umsturz nachfolgende System dem vorhergehenden zumindest im Umgang mit diesen Medien sehr ähnlich: Es wird weiterhin kontrolliert und gesteuert. Die freie Presse und unabhängig arbeitende Journalisten werden deshalb wieder statt in Massenmedien nur in den individuellen Räumen ihres Twitter-Kanals wahrgenommen. Die Folge ist, dass sich keine demokratisch geprägte Diskussion ergeben kann, sondern nur individualisierte Meinungen, selbst wenn diese einen demokratischen Boden haben. Aber man stelle sich nur in Deutschland manche drastische Aussage eines Politikers vor, die unwidersprochen oder unkommentiert bliebe.
Medien und Extremismus
Die salafistischen Medien sind dabei inzwischen wohl mehrheitlich von der Finanzierung Saudi-Arabiens abhängig und bedienen sich insbesondere des Internet und Satelliten-TVs. Hier ist die propagandistische Intention ja auf den ersten Blick ersichtlich oder erahnbar, aber eben auch ohne Korrekturmöglichkeit oder Gelegenheit zum Disput.
Das neueste und auch aktuellste Phänomen ist hingegen natürlich die Welt der islamistischen Propaganda. Gezielt konzentrieren sich alle islamistischen Strömungen, und insbesondere die des sogenannten Islamischen Staates (IS) auf diese neuen Medien und bedienen klassische Kanäle gar nicht mehr. Alle Gewaltvideos und Darstellungen von Hinrichtungen werden nur noch via Twitter, YouTube und ähnlichen Formaten in die Welt geschickt. Auf eine professionelle Präsentation an sich kommt es ohnehin nicht an. Deshalb wird das Handy zum Aufnahme-, Sende- und auch Empfangsmedium.
Manche dieser so Kommunizierenden erreichen sogar eine ungewöhnlich starke Präsenz und Reichweite. Erinnert sei dabei nur an die zahlreichen „Auftritte“ des ehemaligen Rappers Deso Dogg alias Denis Cuspert alias Abu Maleeq. Und mit solchen Inszenierungen gelingt einerseits die Erreichbarkeit der europäischen (deutschen) Jugend wie auch die Überzeugung dieser jungen Menschen, sich einer pseudo-religiös untermauerten Bewegung anzuschließen, die sie bis in den eigenen Tod führt oder zum Selbstmordattentäter werden lässt.
Insofern nimmt die „Medienarbeit“ des IS auch die Strukturen seiner eigenen Organisation auf und agiert in jeder Hinsicht dezentral und damit nicht wirklich greifbar. Diese Propaganda ist damit jedoch auch nicht nur kaum einzudämmen, sondern zudem auch sehr effizient. Immer wieder gelingt es – zuletzt anscheinend auch bei den Anschlägen in Paris – Menschen nicht nur zu überzeugen, sondern auf diesem Weg auch für terroristische Anschläge zu rekrutieren. Diese Menschen sind zwar zum Teil höchstwahrscheinlich vor Ort im Nahen Osten gewesen, müssen dies aber nicht zwingend. Ihr Ohr und ihre Überzeugung für diese Sache ist auch so erreichbar.
Für uns Europäer bleibt die Wahrnehmung, dass es zwar auch durchaus positive Ergebnisse durch die besondere arabische Medienwelt gibt, wenn es um die Umstürze des arabischen Frühlings geht. Es bleibt aber auch insofern ein schaler Beigeschmack, wenn wir feststellen müssen, dass die Festigung demokratischer Strukturen und Prozesse nicht gelungen und dies auch ein Ergebnis der fehlenden Demokratisierung der Medien ist. Besonders problematisch ist für einen Europäer dann das „positive“ Ergebnis der salafistischen und islamistischen Propaganda – mit all ihren Folgen für den Nahen Osten und inzwischen uns in Europa.
Bild: Laika slips the lead, CC BY-SA 2.0