(C) Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD haben begonnen. Doch welche Rolle nehmen netzpolitische Themen ein? Während des Wahlkampfs schienen sie trotz Überwachungsaffären in der Versenkung verschwunden zu sein. Im Interview wagt Netzpolitik-Experte Jan Mönikes (SPD) eine Einschätzung der Rolle von Netzpolitik(ern) in den laufenden Koalitionsverhandlungen.
Ein halbes Jahr ist es her, dass die Enquete-Kommission Internet und Gesellschaft ihre Ergebnisse dem Bundestag vorgestellt hat. Ihre Arbeit fiel in eine Zeit, die Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) gestern beim telegrafen_lunch der Telekom als „Phase der Erkenntnis“ bezeichnete. Parteiübergreifend setzte sich die Überzeugung durch, dass die digitale Gesellschaft politischer Handlung bedarf und Netzpolitik einen höheren Rang in den politischen Institutionen einnehmen soll. Nun konstitutiert sich der Bundestag nach den Wahlen neu und die Unionsparteien verhandeln mit der SPD um eine große Koalition. Welche Rolle nimmt Netzpolitik in diesen Verhandlungen ein, was wird aus den Beschlüssen der Enquete-Kommission?
Schon während des Wahlkampfs schien die „Phase der Erkenntnis“ zu Ende gegangen zu sein. Ein Positionspapier einer CDU-internen Arbeitsgruppe zu „Digitalisierungspolitik“ scheint nun eine Schwächung der Position von Netzpolitik in den Koalitionsverhandlungen zu bestätigen: Der Begriff „Netzpolitik“ wird gar nicht verwendet, stattdessen sollen ein Staatssekretär und ein Unterausschuss im Bundestag sich mit „Digitalisierungspolitik“ beschäftigen. Dies würde eindeutig hinter die Forderungen nach einem Staatsminister und einem eigenen Hauptausschuss zurückfallen. In den Koalitionsverhandlungen wird Netzpolitik in der Unterarbeitsgruppe Digitale Agenda behandelt, die dem Bereich Kultur untergeordnet ist. Der CDU-Netzpolitiker Thomas Jarzombek sieht zwar in dem Begriffswechsel von Netzpolitik zu Digitalisierungspolitik keine inhaltliche Verschiebung, spricht jedoch beim telegrafen_lunch von der „großen Herausforderung, diesen Hype der letzten Jahre in die Zukunft zu bringen.“
Im Interview bewertet Jan Mönikes für politik-digital.de die Meldungen und den Stand der Netzpolitik(er) in den Koalitionsverhandlungen. Er bloggt selber auf moenikes.de.
 
politik-digital.de: Für die Koalitionsverhandlungen haben sich Union und SPD auf eine Unterarbeitsgruppe „Digitale Agenda“ in der Arbeitsgruppe „Kultur“ geeinigt. Wird dort über netzpolitische Themen verhandelt werden? Was sagt das über die Stellung von Netzpolitik in den Koalitionsverhandlungen aus?

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Jan Mönikes ist Jurist für Wirtschafts- und Telekommunikationsrecht und Mitglied bei der SPD, wo er mit den „Netzpolitikern der ersten Stunde“ groß geworden und bis heute aktiv ist. Er betreibt eine Kanzlei in Berlin, hat für große IT-Unternehmen gearbeitet und ist beratend tätig für verschiedene Verbände.

Jan Mönikes: Die Struktur der Verhandlungsgruppen orientiert sich an der bisherigen Struktur des Parlaments und seiner Ausschüsse. Der für netzpolitische Themen zuständige Querschnittsausschuss „Kultur und Medien“ war in der Vergangenheit auch „nur“ ein Unterausschuss – das ist insofern also noch kein Präjudiz für das Ergebnis der Verhandlungen. Wichtiger sind Personen und Positionen in den jeweiligen Verhandlungsgruppen.
politik-digital.de: Die CDU/CSU-Fraktion hat ein Arbeitspapier zu Netzpolitik erstellt, welches Ihnen offenbar vorliegt. Auf Ihrem Blog befürchten Sie, dass es mit den Koalitionsverhandlungen „schwierig“ werden könnte, sollte dieses Papier zur Grundlage genommen werden. Um welche Punkte geht es Ihnen dabei? Welche sehen Sie besonders kritisch?
Jan Mönikes: Wichtige Vorzeichen für die Verhandlungen sind die jeweiligen Positionen, mit denen die Verhandlungsführer ab heute in diese Arbeits- und Unterarbeitsgruppen gehen. Die SPD hat sich bislang eng an das gehalten, was sie auch vor der Wahl gesagt hat und geht in einigen Punkten auch darüber hinaus, beispielweise bei der Frage der Bündelung der Kompetenz in einem eigenen Ressort der Bundesregierung und einem spiegelbildlichen Hauptausschuss im Parlament. Bei dem Papier der Koalitionsabgeordneten ist das genau anders herum. Da liegen wesentliche Punkte, gerade diese beiden, die in der politischen Praxis sehr wichtig werden dürften, schon zu Beginn der Verhandlungen unter dem, was die Netzpolitiker der Union eigentlich früher öffentlich bekundet hatten. Ich will hier nicht von „Wählertäuschung“ sprechen, aber enttäuschend ist das schon. Und die Erklärungen zum Beispiel von Thomas Jarzombek, er wäre nicht dabei gewesen und es hätten sich andere Kräfte in der Fraktion durchgesetzt, ist nicht gerade ein Dementi und vermag mich auch nicht positiv für das Ergebnis der Verhandlungen zu stimmen.
politik-digital.de: Zumindest in der Unions-Fraktion scheinen Netzpolitiker wie Thomas Jarzombek eine schwierige Stellung zu haben. Wie schätzen Sie diese ein?
Jan Mönikes: Dazu kann ich nur sagen: Jeder muss zunächst in seinen eigenen Reihen um Einfluss und seine Positionen kämpfen. Dass er an stärkeren Widerständen scheitern kann, sollte man in einer Demokratie keinem Politiker vorwerfen. Wenn man aber den Eindruck bekommt, dass eine Seite noch nicht einmal versucht, für Inhalte engagiert zu streiten, dann muss man sich natürlich fragen, was die dann in Regierungsfunktion mit einem Posten in zweiter Reihe anfangen würden: wahrscheinlich wenig bis nichts. Sich hinter dem Minister oder der Kanzlerin verstecken, für ein schönes Büro, Dienstwagen und Zulagen, ohne den Zwang liefern zu müssen, das sind für mich keine zulässigen Kategorien von Politik. Da müssen die digitalen Unionisten noch inhaltlich nachlegen, wenn sie sich ein Amt verdienen wollen.
politik-digital.de: In dem CDU/CSU-Arbeitspapier ist nicht von Netz-, sondern von „Digitalisierungspolitik“ die Rede. Wie verstehen Sie den Begriff „Digitalisierungspolitik“? Wo ist für Sie der Unterschied zwischen Netzpolitik und Digitalisierungspolitik?
Jan Mönikes: Das ist meines Erachtens mehr ein Kampf um die Deutungshoheit von Begriffen, als dass es um andere Inhalte ginge. Denn „digital“ im Wortsinne, also 0 und 1, kann auch Politik für und mit dem Internet nie sein. Ich halte den Begriff „Digital“ daher im Kontext von Politik für die Informationsgesellschaft für unglücklich, aber unschädlich. Es geht der Union hier meiner Meinung nach darum, von dem „links“ aufgeladenen Etikett der „Netzpolitik“ wegzukommen, da die „Netzaktivisten“ in den letzten Jahren ja immer gegen sie mobil gemacht haben. Wenn es hilft, zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen, die das Thema in Deutschland politisch voranbringen, ist mir der Begriff dafür persönlich aber völlig egal.
politik-digital.de: Stehen die Beschlüsse der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft in den Koalitionsverhandlungen nun erneut zur Disposition?
Jan Mönikes: In Deutschland gilt das Diskontinuitätsprinzip. Solange etwas kein Gesetz geworden ist, ist jeder neu gewählte Bundestag frei darin, ob und wie er die Beschlüsse des vorherigen Parlaments für sich gelten lassen will. Wenn sich die Netzpolitiker der Union an die eigenen Beschlüsse und Bekundungen in den Verhandlungen nicht mehr erinnern wollen, dann wird es für den kleineren Koalitionspartner schwer werden, sie auf den früheren Konsens zu verpflichten. Denn auf höherer Ebene, aber auch in der Öffentlichkeit, wird Netzpolitik – anders als Steuern und Mindestlohn – eben nicht als existenzielles Thema angesehen. Sprich: Wenn man sich hier nicht durchsetzen kann, scheitert keine Koalition und damit hat die SPD auch kein Druckmittel. Sie kann nur versuchen, zu überzeugen. Wenn die Union aber schon festgelegt ist, dann wird das schwierig, vielleicht sogar unmöglich sein.
politik-digital.de: Welche netzpolitischen Forderungen sind für Sie zentral?
Jan Mönikes: Wir müssen auf europäischer Ebene und international bei Fragen wie Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung, Telekommunikationsregulierung und Netzneutralität politisch und sachlich nachbessern, in Deutschland den Infrastrukturausbau und den Schutz der Kommunikation vorantreiben und unser Land und die Regierung endlich insgesamt besser auf das Internetzeitalter einstellen. Es ist ein ganzes Bündel von Aufgaben, die man zusammendenken muss. Es gibt nicht die eine „zentrale“ Forderung, die man mit einem Bundesgesetz lösen könnte – das macht das Thema ja so komplex und deshalb gibt es so viel „Netzpopulismus“ und symbolische Forderungen, die ich für problematisch halte.
politik-digital.de: In einem Positionspapier fordert das Forum Netzpolitik der Berliner SPD einen Staatssekretär für Netzpolitik. Wo sollte dieser angesiedelt werden?
Jan Mönikes: Egal in welchem Ressort: Ich halte das nicht für hinreichend. Ein solcher Staatsminister oder Staatssekretär müsste schon ein außergewöhnlich charismatischer, kompetenter und anerkannter Netzpolitiker sein, wenn er ohne entsprechende Ressortzuständigkeit und Unterbau, als weisungsgebundener „Helfer“ der Kanzlerin oder eines Ministers, hier etwas notfalls auch gegen seine Leitungsspitze bewegen will. Den oder die Kollegin habe ich bislang aber nicht getroffen.
Ich fürchte, dass bei diesem unterambitionierten Ansatz, den auch die Union vertritt, vom Ergebnis her bereits an einzelne Personen gedacht wird, die sich selbst oder denen Andere – und das wahrscheinlich auch zu Recht – nicht mehr als einen Staatssekretärsposten zutrauen. Natürlich könnte das schon mal ein Anfang sein – aber vielleicht eben auch das Ende. Ob sich nämlich daraus für die nächsten Wahlen die Notwendigkeit eines Ministeriums ableiten wird, was ich im Moment für dringend nötig halte, wage ich zu bezweifeln. Gelingt es dem Staatsminister oder der Staatssekretärin nämlich nicht, entgegen der Widrigkeiten, die sich aus der Weisungsgebundenheit und der begrenzten Kompetenzen eines Staatssekretärs zwangsläufig ergeben, dennoch Überdurchschnittliches zu leisten, könnte sich das Thema „Netzpolitik“ als eigenständiges Themenfeld dann nämlich im bundespolitischen Raum auch erst mal ganz erledigt haben. Frei nach dem Motto: „Siehste, hat das irgendwas gebracht? Nee, also machen wir das wie vorher“. Die Gefahr gibt es in einem eigenen, neuen Ressort nicht. Denn hier wird der Ministeriumsapparat in jedem Fall mehr leisten als jede normale Person, als Staatssekretär in einem der bestehenden Ressorts eingegliedert, wird leisten können. Und auch ein „Staatsminister“ wäre, abgesehen vom Titel, nichts anderes als ein solcher Staatssekretär, nur eben im Kanzleramt.
 
Bild (Banner): (C) Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde
Bild (Porträt): Jan Mönikes
Text:

Buch-Cover von Marina Weisband

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