Foto vom Horumersiel

Der Landkreis Friesland wagte sich im November an ein von der Piratenpartei entlehntes Experiment: die Bürger dort können nun online über die Politik vor ihrer Haustür mitentscheiden. Was der Piratenpartei Bewunderung, aber auch einiges an Chaos bescherte, hat hoch im Norden sogar schon die ersten politischen Ergebnisse geliefert.

Mit dem Konzept der LiquidDemocracy – also der Kombination aus repräsentativer und direkter Demokratie mithilfe digitaler Mittel – ist die Piratenpartei bis vor Kurzem noch in aller Munde gewesen. Das Online-Abstimmungstool LiquidFeedback ermöglicht es den Piraten, – zumindest sieht die Theorie das so vor – innerparteilichen Konsens zu erreichen und Abstimmungen durchzuführen. Allerdings wurde dieses Prinzip auf dem eben beendeten Bundesparteitag der Piratenpartei stark in Frage gestellt. Doch davon soll an anderer Stelle die Rede sein.
Angelehnt an das LiqudFeedback-Verfahren wagte im vergangenen November auch die erste deutsche „Gebietskörperschaft“ einen Vorstoß in Richtung Bürgerbeteiligung auf digitalem Wege. Hierbei handelt es sich jedoch mitnichten um einen hippen, großstädtischen Szenestadtteil mit junger, netzaffiner Wählerschaft und einer starken lokalen Piratenpartei. Nein, die Rede ist vom Landkreis Friesland, einer sehr ländlichen Gegend im nordwestlichen Niedersachsen an der Nordsee. Per Zufall sei der Landrat Sven Ambrosi (SPD) auf einen Bericht über das Tool LiquidFeedback gestoßen, als es darum ging, die niedersächsische Kommunalverfassung umzusetzen, “ berichtete Djure Meinen (Bündnis 90/Die Grünen) auf der re:publica, er verantwortet das Projekt im Auftrag des Landkreises .
Das überraschende Ergebnis: Der 42 Mitglieder starke Kreistag Friesland stimmte der Einführung einer solchen internetbasierten Bürgerbeteiligungsplattform einstimmig zu. Somit war der Weg frei für dieses in Deutschland einmalige Projekt, das unter dem Namen LiquidFriesland firmiert und nach einer Testphase im November 2012 an den Start ging.

Themen von hier

Teilnehmen und mitmachen kann jeder, der im Landkreis Friesland wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist. Djure Meinen erklärt, wie die digitale Partizipation konkret funktioniert: Wer diese beiden Bedingungen erfüllt, kann sich anmelden und anschließend an Diskussionen und Abstimmungen beteiligen. Man hat sowohl die Möglichkeit, eigene Initiativen einzustellen, die diskutiert werden sollen, als auch Anregungen zu einer Initiative zu erstellen, um sie zu verändern. Auch kann der Landkreis von sich aus Initiativen in das System einbringen. Hier haben die Bürger ebenfalls die Möglichkeit, die Initiativen abzuändern und über sie abzustimmen. „Die Bürger unseres Landkreises können sich auf diese Weise aktiv an der Kommunalpolitik vor Ort beteiligen“, wirbt der Grüne Meinen für die Idee der angewandten Liquid Democracy.
Doch über was soll da eigentlich beraten und votiert werden? Djure Meinen erläutert: „Die thematische Gliederung orientiert sich an den Ausschüssen des Landkreises Friesland. Doch im Grunde haben die Bürger auf LiquidFriesland eine völlig freie Themenwahl“. Da es das Ziel sei, diskutierte und bearbeitete Vorschläge aus dem Online-Medium auch bis in den Kreistag zur Abstimmung zu bringen, sollten sich die Diskussionen dementsprechend mit Themen von lokalem Interesse befassen. „Der Kreistag kann selbstverständlich nicht über bundespolitische Inhalte entscheiden. Daher ist die Beteiligung nur sinn- und gehaltvoll, wenn die auf der Software besprochenen Themen auch im Kompetenzbereich des Landkreises liegen“, klärt Meinen über den Sinn und Zweck seines Projektes auf.

Skepsis macht sich breit

Und wie ist die Resonanz nach sechs Monaten LiquidFriesland? Djure Meinen ist insgesamt zufrieden, aber würde sich mehr Zuspruch wünschen: „Momentan sind 472 stimmberechtigte User auf LiquidFriesland registriert. Mein ursprüngliches Ziel war es, dass sich bis zum Ende der Testphase im letzten November 1.000 Nutzer anmelden. Das haben wir nicht erreicht. Wenn wir aber noch etwas offensiver für unsere Sache werben, bin ich optimistisch, dass noch mehr Leute angesprochen werden.“ Aufgrund der noch geringen Teilnehmerzahl gab es in letzter Zeit einige skeptische Stimmen aus dem konservativen Lager im Kreistag. So forderte ein christdemokratischer Abgeordneter, dass an jeder Online-Abstimmung mindestens 100 Nutzer beteiligt sein müssten, damit er sie ernst nehmen könne. Aus der FDP kam gar die Forderung, das Projekt ganz einzustellen. Dazu muss man wissen, dass LiquidFriesland keine repräsentativen Volksentscheide oder gar den Kreistag ersetzen will und kann. Vornehmliches Ziel sei es, mithilfe dieses zusätzlichen Bürgerpartizipationsforums zunächst Stimmungsbilder aus der Bevölkerung einzuholen und der Politik Anregungen zu geben.

Politische Ergebnisse erwartet

Positiv sieht Netzkommunikationsexperte Meinen dagegen die Altersstruktur derer, die bei LiquidFriesland aktiv sind: „Unser Tool wird nicht nur von jungen Menschen genutzt, wie man es vielleicht erwartet hätte. Unser Landkreis hat mit Überalterung zu kämpfen. Da die meisten User tatsächlich älter als 40 Jahre sind, ist die Altersstruktur auf LiquidFriesland im Grunde bevölkerungskonform.“ Außerdem kann er bereits auf erste Erfolge der Kampagne verweisen. So wurde durch eine knappe Mehrheit auf der Plattform der Antrag in den Kreistag eingebracht, dass die Termine der Geschwindigkeitsüberwachungen auf den Straßen in Friesland nicht mehr veröffentlicht werden, was die Abgeordneten dann im Kreistag auch so entschieden. „Es ist absolut wünschenswert und auch absehbar, dass sich der Kreistag mit Themen befasst, über die auf LiquidFriesland abgestimmt wurden.“

Presse-Boykott

Doch dazu benötigt das Beteiligungsforum mittelfristig mehr aktive Nutzer, um Anspruch auf eine minimale Repräsentativität erheben zu können. Diese sollen durch Werbemaßnahmen in den Tageszeitungen angesprochen werden, was im nördlichen Landkreis auch gut funktioniert: „Alle drei dort erscheinenden Zeitungen haben sich sofort kooperativ gezeigt und berichten regelmäßig“, so Djure Meinen, der jedoch auch von Problemen mit der Journaille zu berichten weiß: „Der südliche Landkreis wird hauptsächlich von der Nordwest-Zeitung abgedeckt, die sich der Berichterstattung über LiquidFriesland leider komplett verweigert. Das macht es uns natürlich nicht leichter.“
Bleibt also im Sinne der friesischen Bürgerinnen und Bürger zu hoffen, dass dieses Projekt nicht aus Mangel an Interesse scheitert, sondern sich als festes Element der Demokratie nicht nur in Friesland etablieren kann.
 
Bild: a.froese (CC BY SA 2.0 DE)

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