Über fünf Millionen Mal ist vor der Bundestagswahl 2005 der Wahl-O-Mat gespielt worden. Dieses Online-Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung ist zu einer „Marke“ unter den politischen Web-Sites geworden – und zu einem nahezu obligatorischen überparteilichen Tool in Vorwahlzeiten. Stefan Marschall hat die Nutzung des Wahl-O-Mat untersucht und fasst die Ergebnisse für politik-digital.de zusammen.
Seit 2002 ist der Wahl-O-Mat bei den beiden Bundestagswahlen, bei der Europawahl und bei fast allen Landtagswahlen zum Einsatz gekommen. Derzeit laufen die Wahl-O-Mate für die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Funktionsweise des Wahl-O-Mat wirkt auf den ersten Blick einfach. Das Tool konfrontiert die Onliner mit 30 Thesen aus dem laufenden Wahlkampf. Die User beziehen Position zu den Thesen. Genau dies haben die Parteien im Vorfeld auch gemacht. Der Wahl-O-Mat vergleicht die Positionen der User mit denen der Parteien. Als „Ergebnis“ wird angezeigt, welche Partei mit Blick auf die Thesen und Positionen dem jeweiligen User am nächsten steht. Abgestuft nach dem Grad der Übereinstimmung werden die anderen im Wahl-O-Mat vertretenen Parteien aufgeführt. Am Ende besteht die Möglichkeit, die eigenen Positionen mit denen jeder einzelnen Partei im Detail zu vergleichen und Begründungen der Parteien für ihre Thesenantworten einzusehen.
Thesen sind das Herzstück des Wahl-O-Mat
Was einfach aussieht, ist durchaus kompliziert. Die Entwicklung der Thesen, das Herzstück des Wahl-O-Mat, findet in einem mehrstufigen Prozess statt. Daran beteiligt ist zum einen eine Redaktion, die sich aus Erst- und Zweitwähler/innen zusammensetzt. Zum anderen wird der Prozess der Thesenentwicklung von Experten aus politikwissenschaftlicher, mathematisch-statistischer und didaktischer Perspektive begleitet. Am Ende steht eine, auf der Grundlage von statistischen, inhaltlichen und redaktionellen Kriterien ermittelte Auswahl von rund 30 Thesen. Diese können freilich nur einen Teil der Themen abdecken, die im Wahlkampf eine Rolle spielen oder für den einzelnen von Relevanz sind.
Wir wissen anhand der Zugriffszahlen, dass der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl über 5,1 Millionen Mal komplett „durchgespielt“ wurde und dass vor den Landtagswahlen Zigtausende auf das Tool zurückgreifen. Aber was weiß man genaueres über diejenigen, die die Seite www.wahl-o-mat.de aufrufen und sich bis zum Ergebnis durchklicken? Wer sind die Nutzerinnen und Nutzer des Wahl-O-Mat? Warum nutzen sie das Tool? Welche Wirkung hat der Wahl-O-Mat?
Die Ergebnisse der Wahl-O-Mat-Untersuchung
Beim Bundestags-Wahl-O-Mat 2005 ist in Zusammenarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Universität Düsseldorf ein Teil der Nutzer hierzu befragt worden, nachdem sie das Tool gespielt haben. Die Ergebnisse dieser repräsentativen
Befragung liefern spannende Erkenntnisse nicht nur zum Wahl-O-Mat, sondern generell zur „politischen“ Nutzung des Internet.
Die Soziodemografie der Nutzer
Drei Aspekte fallen auf, wenn man sich die Nutzergemeinde des Wahl-O-Mat anschaut. Zunächst einmal und wenig überraschend: Die Wahl-O-Mat-Nutzer sind vergleichsweise jung – zumindest wenn man sie mit der Gesamtbevölkerung vergleicht. Fast 40 Prozent der Nutzer sind jünger als 30, rund zehn Prozent jünger als 20 Jahre. Weiterhin fällt auf: Die Nutzer des Wahl-O-Mat sind relativ hoch formal gebildet: Rund zwei Drittel der Befragten haben Abitur oder einen Universitäts- bzw. Fachhochschulabschluss. Schließlich: Die Wahl-O-Mat-Nutzer sind politisch interessiert; das behaupten rund vier Fünftel von sich. Und dass sie mit anderen häufig über Politik zu diskutieren pflegen, sagen immerhin 70 Prozent. Allerdings ist der parteipolitische Organisationsgrad gering: Mitglied in einer Partei sind der Selbstauskunft zufolge rund sechs Prozent der Befragten. Alles in allem trifft der Wahl-O-Mat somit auf eine junge, formal überdurchschnittlich ausgebildete und politisch interessierte Zielgruppe. Was bewirkt der Wahl-O-Mat bei denen, die ihn nutzen? Auf jeden Fall stößt er Diskussionen an. Rund drei Viertel der User geben an, über das Ergebnis mit anderen reden zu wollen. Die Hälfte wird durch das Tool motiviert, sich weiter politisch zu informieren. Immerhin rund acht Prozent der Nutzer werden durch den Wahl-O-Mat überhaupt erst angeregt, zur Wahl zu gehen.
Kein signifikanter Einfluss auf die Wahlentscheidung
Einen signifikanten Einfluss auf die konkrete Wahlentscheidung hat der Wahl-O-Mat nicht. Nur wenige nehmen das Ergebnis zum Anlass, nochmals über ihre Wahlabsicht nachzudenken – was freilich nicht heißen muss, dass diese tatsächlich geändert wird. Dieser geringe Effekt hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Wahl-O-Mat bei rund 90 Prozent der parteipolitisch festgelegten User mit seiner Ergebnisanzeige ins erwartete politische Lager trifft. Vielmehr macht das Tool dort neugierig, wo die eigenen Positionen nicht mit denen der nahe stehenden Partei übereinstimmen. Mehr als die Hälfte der Befragten sieht hierin die Hauptmotivation, die Wahl-O-Mat-Seite aufzurufen: den eigenen Standpunkt mit dem der favorisierten Partei zu vergleichen. Am Ende sagt überdies fast jede/r Zweite, dass der Wahl-O-Mat geholfen hat, Unterschiede zwischen den Parteien festzustellen.
Die Erfolgsgeschichte des Wahl-O-Mat dokumentiert: Es besteht ein merklicher Bedarf an überparteilichen Angeboten im Vorfeld von Wahlen, welche über die Positionen der einzelnen Parteien informieren sowie helfen programmatische Unterschiede zwischen den Parteien herauszuarbeiten. Das Internet bietet ein geeignetes Umfeld, in das solche Informationsangebote interaktiv eingepasst werden können. Unterhaltung und politische Aufklärung müssen sich nicht widersprechen – immerhin finden mehr als 90 Prozent der Befragten, dass der Wahl-O-Mat Spaß gemacht hat. Schließlich: Auch ein Vorwahlangebot, das nicht personalisiert, sondern die Themen und die politischen Sachfragen in den Vordergrund stellt, findet reichlich Nachfrage. Das stimmt hoffnungsfroh in Zeiten, in denen die politische Auseinandersetzung von vielen Seiten gerne und oft auf ein „er/sie oder ich“ reduziert wird.
Der Autor des Textes, Stefan Marschall, ist derzeit am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen tätig.
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