Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis bei der Online-Plattform eBay ein ganz besonderes „Saisonangebot“ auftauchte: die Wählerstimme. Seit Mitte dieser Woche ist dort unter dem Suchstichwort „Bundestagswahl“ ein reges Kommen und Gehen beobachten: Von der politischen Lage offenbar frustierte Nutzer bieten den Verkauf ihrer Erst- oder Zweitstimme an oder stellen den Versand der Wahlunterlagen in Aussicht.
Am 8. September waren im Laufe des Tages etwa zehn Angebote zum Verkauf von Erst- und Zweitstimmen online – gegen Abend waren die obskuren Auktionen wieder verschwunden. „Bei den Angeboten von Wahlstimmen zur Bundestagswahl 2005 handelt es sich um absolute Einzelfälle. Wenn wir von solchen Angeboten Kenntnis erhalten, entfernen wir die Angebote umgehend” erklärte der Leiter „Government Relations“, Dr. Wolf Osthaus, das Vorgehen von eBay. „Die Anbieter bekommen eine Nachricht, dass es sich um einen Verstoß gegen unsere Grundsätze handelt.”
In der Tat erscheinen zwei Handvoll Stimmenangebote angesichts von stets etwa vier Millionen laufenden Angeboten als nicht besonders aufregend. Die meisten Anbieter scheinen aber ohnehin nicht auf größere Profite aus, sondern nutzen eBay vielmehr als Kanal für eine neuartige Kritik am politischen System und dessen Vertreter(innen). Der Tenor der meisten Einträge lautet ungefähr: „Ich versteigere meine Stimme, damit ich wenigstens etwas von dieser Wahl habe.“ Das ist nicht nur starker Tobak, sondern auch am Rande der Legalität und darüber hinaus. „Das Wahlrecht ist ein persönliches Recht – und damit unveräußerbar. Daher darf es nicht gehandelt werden“ erläutert Osthaus.
Bereits am 15. August hatte einer der eBay-Auktionatoren auf der Online-Plattform
ich-gehe-nicht-hin.de das gleiche Vorhaben angekündigt. Ein anderer Nutzer hatte daraufhin umgehend auf ein mögliches Rechtsvergehen hingewiesen – einschlägig erscheint in dieser Hinsicht der Tatbestand der Wählerbestechung, der im Strafgesetzbuch § 108 geregelt ist:
„(1) Wer einem anderen dafür, daß er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer dafür, daß er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile fordert, sich versprechen läßt oder annimmt.“
Doch berühren unmittelbare strafrechtliche Konsequenzen im Einzelfall nur einen Teil des Problems – nicht nur dürfte im konkreten Fall hier eine „Straftat gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen“ (Vierter Abschnitt des Strafgesetzbuches) vorliegen, darüber hinaus werden mehrere Wahlrechtsgrundsätze verletzt. Eine von digitalem Stimmenhandel betroffene Wahl wäre nämlich nicht mehr „gleich“ (eine oder mehrere Personen haben mehr als eine Stimme), sie wäre auch nicht mehr im ursprünglichen Sinne „geheim“ (eine oder mehrere Personen kennen die Wahlentscheidung einer anderen). Was hier nach praxisferner Demokratietheorie klingt ist nicht auf die leichte Schulter zunehmen – schon gar nicht bei einer Wahl wie der diesjährigen, die ja bereits auf eine verfassungsrechtliche Vorgeschichte zurück blicken kann. Und: eBay ist selbstverständlich nicht die einzige Plattform, auf der ein solcher Stimmenhandel organisiert werden kann, sondern nur die populärste und professionellste – damit zugleich aber auch die am wenigsten geeignete. In den nächsten Tagen gilt es zu beobachten, ob „spill-over“-Effekte auftreten und sich die ausbreitende Blog-Community oder die verschiedenen Websites rund um „Nichtwählen“ sich dieser Thematik annehmen.
Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, bei den vorliegenden Angeboten pauschal von plumper Wahlmanipulation zu sprechen. Ein näherer Blick auf die „Artikelbezeichnungen“ zeigt, dass es sich hier eher um den Ausdruck von Politikverdrossenheit im Verbund mit Protestäußerungen handelt:
Ja richtig gelesen. Ich versteigere aus Frust und Politikverdrossenheit meine zwei Stimmen zur Bundestagswahl am 18.09.2005 meistbietend. Wer am meisten bietet, dessen gewünschte Partei/Kandidaten werde ich wählen. So habe ich wenigstens auch was von dieser Wahl.
Ähnliche Töne und Formulierungen, manchmal auch ein paar Lagen schärfer, finden sich in den meisten Angeboten. Die Startpreise der Auktionen liegen fast immer bei einem Euro, manchmal werden ergänzende Limitierungen vorgenommen, die ebenfalls im niedrigen einstelligen Bereich angesetzt sind. Ein finanzielles Interesse am Stimmenverkauf scheint also nicht der erste Beweggrund für die verhinderten Auktionäre zu sein. Von einer solchen Argumentation zeigt sich Osthaus unbeeindruckt: „Auch wenn es sich um symbolische Angebote ohne kommerzielle Interessen handelt, die eher eine Art der politischen Meinungsaussage sind, sind wir nicht der richtige Ort. Wir sind eine e-Commerce Plattform, daher werden symbolische Angebote nicht angenommen.“
eBay handelt nach der Logik eines kommerziellen Akteurs und dabei stören alle Angebote, die möglicher Weise negative Folgen auf das Plattform-Image haben könnten. Schließlich kann man die Versteigerung des so genannten „Papst-Golf“ auch als „symbolisches Angebot“ auffassen, doch bei einem Endpreis von 188.938,88 Euro und einem überwältigenden Medienecho überwog wohl die positive Publicity.
Ebenso logisch agieren aber auch die Anbieter, die die Möglichkeiten der Auktionsplattform nutzen, um ihr „Anliegen“ auf unkonventionelle Weise publik zu machen. Die überragenden Kommunikations- und Verbreitungsmöglichkeiten innerhalb der eBay-Community verlockten nur zur weithin sichtbaren Platzierung solcher „politischer Meinungsaussagen“. Dass die eBay-Medaille zwei Seiten hat, wussten auch die Alternative-Rocker von Chumbawamba: „There´s stuff dressed up as truth and then there´s stuff dressed up as lies and it all ends up as stuff that you can buy – on eBay.“