Ein Kommentar zum Internetwahlkampf 2005 von Steffen Wenzel.
Man hätte es ahnen können. Schon die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl 2005 ließen vermuten, dass dies wohl einer der langweiligsten Wahlkämpfe werden wird, den die Bundesrepublik jemals erlebt hat. Und das hat wenig damit zu tun, dass der Wähler eigentlich nur noch zwischen Großer Koalition oder „Schwarz-Gelb“ entscheiden kann. Vielmehr sind es die gebetsmühlenartig heruntergeleierten und standardisierten Inhalte der Parteien, die angesichts der immensen Herausforderungen klingen, als hätte man Erich Ribbeck 2004 zum Nachfolger Rudi Völlers berufen. Wo sind die Visionäre, wo die mutigen Reformer, wo sind die Politiker, die mit den althergebrachten Standards brechen, mit denen in den letzten Jahrzehnten nichts oder nur wenig erreicht wurde? Wenn nicht jetzt, ja wann dann?
Der bisherige Internetwahlkampf der Parteien in Deutschland illustriert dies auf dramatische Weise. Die Websites der CDU (
http://www.leere-versprechen.de) und der SPD (
http://www.die-falsche-wahl.de) versuchen mit „negative campaigning“ die eigenen Reihen zu schließen und verdeutlichen doch nur, dass die Diskreditierung der vermeintlichen Gegner auch immer einen selbst trifft. Dieser Flashback in längst vergangene Zeiten geht davon aus, dass sich moderne Wählerstrukturen immer noch in einem „links-rechts-Schemata“ bewegen und wie früher „Birne-Kohl-Karrikaturen“ oder „rote-Socken-Kampagnen“ zur politischen Verortung ausreichen. Alleine die Fotos der Gegner auf diesen Websites sind Ausdruck einer Verantwortungs- und Einfallslosigkeit, die angesichts der zu bewältigenden Aufgaben höchstens eine Antwort auf die Frage der zunehmenden Politikverdrossenheit in unserer Gesellschaft gibt. Wer glaubt noch diesen Menschen, wenn angesichts solcher Kampagnen nach der Wahl in einer Koalition oder im Bundesrat wieder an einer gemeinsamen Lösung der Probleme dieses Landes gearbeitet werden soll bzw. muss?
Aus der einstigen Spaßgesellschaft ist längst ein absurdes Klamauktheater geworden, das schon lange keiner mehr ernst nimmt und das in seiner selbstreferentiellen politischen Inszenierung verharrt. Fast wäre man geneigt sich das Guidomobil zurückzuwünschen, wenigstens virtuell, aber selbst als Avatar steht neuerdings „Herr Dr. Westerwelle“ für solche Jugendsünden nicht mehr zur Verfügung. Spaß soll übrigens auch die Mitarbeit in den Unterstützerteams machen. Das Internet dient als Medium zur Mobilisierung und wird zum virtuellen Stand in der Fußgängerzone. Professionell von den Wahlkampfzentralen organisiert, werden die Unterstützer mit digitalen Material ausgestattet, um sich in den Weiten des Cyberspace als Missionare für die gute Sache einzusetzen. Auch dieser Input stammt wie so vieles aus dem amerikanischen Internetwahlkampf und blendet vollkommen die „politische Unterstützerkultur“ in diesem Land aus, ganz zu schweigen von den Besonderheiten der politischen Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern im Internet. So ist es auch nicht verwunderlich, dass fast alle Unterstützerseiten, die auf den ersten Blick privat organisiert werden, meist von Personen betrieben werden, die klar den jeweiligen Parteien zuzuordnen sind. Ganz zu schweigen von dem Argument, dass sich Menschen auch nur dann mobilisieren lassen, wenn von einer Sache auch eine Vision ausgeht. Diese beschränkt sich im Internet, wie so oft in Deutschland, maßgeblich auf das niederholzen der anderen.
Dabei hätte dieser Wahlkampf im Internet alle Chancen geboten. Die Bevölkerung durstet es nach Aufbruch, nach Mitsprache (siehe
http://www.ich-gehe-nicht-hin.de) und nach neuen Wegen. Warum wurden beispielsweise nicht einfach Parteienforen während der Programmdiskussionen wirklich geöffnet oder neue angelegt, die eine offene Diskussionskultur zugelassen hätten? Warum die große Angst vor gegenteiliger Meinung auf den eigenen Websites? Meist wird dem mit dem Argument der Geschlossenheit im Wahlkampf entgegnet. Aber wir alle wissen doch längst, wie lange die innerparteiliche Geschlossenheit nach solchen Wahlkämpfen andauert, wenn es danach ums Verteilen geht.
Das Internet bietet hervorragende Möglichkeiten Menschen mit ihren Sorgen, Ängsten und Wünschen einen Raum zu bieten. Niemand besseres als die Parteien könnten in diesem Wahlkampf ein Ort sein, wo ebendies stattfindet. Die Mutlosigkeit der Parteien im Internetwahlkampf ist jedoch erschreckend und symptomatisch, denn sie lässt schlimmes befürchten. Besonders im Hinblick auf die Frage, wie es mit der politischen Führung und Kultur dieses Landes nach der Wahl weiter gehen wird.
Dr. Steffen Wenzel ist selbstständiger Politik- und Medienberater sowie Vorstandsvorsitzender von pol-di.net e.V., dem Trägerverein von politik-digital.de