Ungefähr in diesem Spannungsverhältnis wird das Phänomen automatisierter Meinungsmacher in den sozialen Medien aktuell diskutiert. Grund genug, sich auch auf politischer Ebene damit zu beschäftigen.
Letzten Donnerstag durfte ich als Vertreter der Fokusgruppe Social Media im BVDW als Sachverständiger an dem öffentlichen Fachgespräch zum Thema „Social Bots“ im Paul-Löbe Haus in Berlin teilnehmen. Vorausgegangen waren Interviews, deren Ergebnisse im Thesenpapier veröffentlicht worden sind.
Sachverständiger, wow, klingt fast wie eine Zeugenaussage. Ist schon was passiert? Täter, Opfer, wurde die Mordwaffe schon gefunden? In der Tat ging es viel um Täter, um Opfer und sehr viel um Waffen. Aber der Reihe nach.
Zum Aufwärmen gab es ein kurzes Statement von Prof. Dr. Simon Hegelich von der Hochschule für Politik an der TU München. In seinem aktuellen Forschungsprojekt Social Media Forensic beschäftigt er sich damit, Meinungen in Social Media überprüfbar zu machen.
Laut Hegelich sind Bots Fakten, sie sind überall und sind technologisch relativ primitiv. Ganze Twitterarmeen warten nach seiner Auffassung nur darauf, zielgerichtet eingesetzt zu werden. Da er diese These nicht zum ersten Mal geäußert hat und unter den Sachverständigen auch einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs anwesend war, hatte die Diskussion ihren ersten und besten Höhepunkt. Linus Neumann konterte den Aussagen von Prof. Hegelich sehr vehement und warf ihm seinerseits Meinungsmache vor, diesmal völlig unautomatisiert. Bots seien ja nichts Neues und bereits in den 1960er Jahren zum Einsatz gekommen. Zudem seien ja nicht die Bots böse, sondern diejenigen, die sie einsetzen. Argumente, die ebenfalls nicht von der Hand zu weisen sind.
Bis auf die spürbare Spannung im Sitzungssaal E300, welcher nach Aussage von Patricia Lips, MdB und Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung noch nie so voll gewesen sein soll, waren wir mit der Klärung der Frage hinsichtlich Einfluss und Wirksamkeit von Social Bots nicht wirklich weiter gekommen. Die weiteren Wortmeldungen der Sachverständigen gingen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.
Sichtbarkeit und Wirksamkeit
Bemerkenswert war der Redebeitrag von Prof. Dr. Markus Bernhard Strohmaier von der Universität Koblenz, mit dem ich schon vorher reden konnte und der den wesentlichen Unterschied von Sichtbarkeit und Wirksamkeit von Social Bots in die Diskussion eingebracht hat. Denn nicht alles, was wir in den sozialen Medien sehen und als Bot technisch entlarven können, besitzt auch gleichzeitig eine Wirksamkeit. Zudem wir gerade beim Dienst Twitter in Deutschland nicht wirklich von einem Massenkommunikationsmedium sprechen können. Diese Ergänzung wurde durch ein kleines Zahlenspiel erneut von Linus Neumann eingebracht. Seine Redezeit war zu dem Zeitpunkt schon sehr prominent. Aber irgendwie auch unterhaltsam, daher habe ich meine Wortmeldung noch nicht lautstark eingefordert.
Politische Reaktion
Mit im Raum waren auch einige Vertreter der Fraktionen, die, lediglich kurz unterbrochen durch die Teilnahme an der Abschiedsrede des scheidenden Bundesaußenministers Steinmeier, aufmerksam der Diskussion folgten und durch die Moderation auch bevorzugt behandelt worden sind. Nicht falsch verstehen, das geht absolut in Ordnung, immerhin sollen unsere Volksvertreter die Dimensionen ja auch verstehen und die richtigen Maßnahmen einleiten. Allerdings bin ich diesbezüglich nur vorsichtig optimistisch, da man wohl, fraktionsübergreifend der Meinung sei, eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots wäre die Lösung, damit der unbescholtene Bürger nicht heimtückisch hinters Licht geführt werden soll. In dem Moment habe ich nur auf das Knallen gewartet, wenn die Mehrheit der Sachverständigen ihren Kopf aufs Rednerpult fallen lassen. Es haben sich aber alle zusammengerissen und versucht, mit einfachen aber unmissverständlichen Worten den anwesenden Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu verstehen gegeben, dass das nicht die Lösung sein kann.
Der Zeitplan war mittlerweile völlig aus dem Ruder geraten, daher kamen Teil II und III der Tagesordnung relativ spät zum Einsatz, vieles wurde aber auch schon gesagt oder angerissen. Da sich diese beiden Agendapunkte allerdings um die zukünftigen Einsatzmöglichkeiten und mögliche Enttarnungssysteme und Eindämmungsmöglichkeiten drehen sollten, war es wirklich schade, hier nicht mehr die notwendige Diskussionszeit gehabt zu haben.
Information Warfare
Bereits während meines Offizierslehrgangs im Jahr 1999 war dieser Begriff des Informationskrieges geboren und hatte meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Und auch 2007, von Social Media in Deutschland noch wenig zu sehen, bin ich über einen Dienst mit dem martialischen Namen „Tastaturkrieger“ gestolpert, der nach eigenem Leistungsversprechen Heerscharen von Studenten in kürzester Zeit Aufträge erteilen kann, um Diskussionen und Meinungen in die richtige Richtung zu lenken. Und heute sind es die Twitterarmeen, die in der Lage sind, weltweit Anschläge durchzuführen, um die Ziele ihrer Auftraggeber zu erreichen.
Darum sollte sich auch mein kleiner Redebeitrag drehen: Vergleichen wir doch mal den modernen Information Warfare mit der Entwicklung der klassischen Kriegsführung. Die Bots, die ja angeblich so primitiv sind und aus einigen Zeilen Phython Code bestehen, sind doch evolutionär auf der Stufe der Pfeile und Bogen, die unseren Vorfahren in grauer Steinzeit zur Jagd eingesetzt haben. Also keine Angst?
Während wir über das Thema Social Bots diskutieren, können wir aber sicher sein, dass bereits an wesentlich intelligenteren Waffen gearbeitet wird, die es uns, der Politik und dem Bürger immer schwerer machen werden, Roboter und einen Follower aus Haut und Knochen voneinander zu entscheiden. Im Gegensatz zur Waffengeschichte haben wir allerdings nicht Jahrhunderte oder Jahrtausende Zeit, die es brauchte, automatische Waffen, Panzer, Raketen und Massenvernichtungswaffen zu erfinden, sondern nur einige Monate, maximal wenige Jahre, um uns auf die möglichen Gefahrenpotentiale einzustellen.
Diskussion und Aufklärung
Eine absolute Mehrheit konnten wir dann doch erreichen: Die Notwendigkeit, an der Medienkompetenz viel energischer zu arbeiten, bekam breite Unterstützung. Da ist es auch nicht ausreichend, endlich mal Schulen und andere Bildungseinrichtungen technologisch ins 21. Jahrhundert zu holen sondern den Einsatz, die Chancen und Risiken moderner Kommunikationsformen als elementareren Bestandteil der Bildung zu etablieren. Und dabei sollten wir zur Abwechslung die Erwachsenenbildung in den Vordergrund rücken, da sind nämlich per Gesetz die Wahlberechtigten. Unsere Kids sind da oftmals bereits anders unterwegs.
Mein Fazit
Ich finde es sehr wichtig, dass wir in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten diese Diskussion führen und begrüße auch die Initiative der Bundesregierung, hier am Ball bleiben zu wollen. Persönlich bin ich zwar sicher, dass wir auch im Wahljahr 2017 Social Bots sehen werden, glaube aber (noch) nicht an eine spürbare Beeinflussung. Das allerdings kann sich in den nächsten Jahren ändern.
Zum Weiterlesen
Wirkung von „Social Bots“ ist unter Sachverständigen strittig
Dies ist ein Crosspost von socialbusinessevolution.de. Der Artikel ist zuerst dort erschienen.
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