In unserem neuen Format „Netzstandpunkte“ stellen wir Pro- und Contra-Argumente von Politikern, Experten und Bloggern zu kontrovers diskutierten Netzthemen vor. Den Anfang macht die Vorratsdatenspeicherung (VDS). Auf politik-digital.de spricht sich der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) für die Vorratsdatenspeicherung aus, der Fachanwalt für Strafrecht Emanuel Schach hält diese dagegen für inakzeptabel.

Sie zählt zu einem der am hitzigsten diskutierten netzpolitischen Themen: die Vorratsdatenspeicherung. Es war der 9. November 2007, als der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschloss, das der Überwachung und Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten dienen sollte. Dagegen regte sich rasch massiver Widerstand, vornehmlich auf Seiten der Zivilgesellschaft: mit Erfolg. Nach der größten (Sammel-)Verfassungsklage in der Geschichte der Bundesrepublik von über 34.000 Bürgern erklärte das Bundesverfassungsgericht das VDS-Gesetz am 2. März 2010 für verfassungswidrig und nichtig.

Doch beendet ist die Diskussion über die Einführung einer VDS damit noch lange nicht – nicht nur, weil eine EU-Richtlinie auch Deutschland zur Einführung einer VDS verpflichtet. Als eine Alternative zur mehrmonatigen VDS brachte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Januar 2011 schließlich das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren ins Spiel. Danach soll eine Speicherung von Verkehrsdaten auf sieben Tage beschränkt werden. In einem Interview erläuterte Leutheusser-Schnarrenberger ihr vorgeschlagenes Modell und legte im Juni 2011 schließlich einen Gesetzentwurf vor. Parteiübergreifend gibt es aktuell wieder heftige Kontroversen rund um die Speicherung personenbezogener Daten – insbesondere bei CDU und SPD. Anlass genug für politik-digital.de, das Für und Wider einer VDS von zwei Kennern der Materie hinterfragen zu lassen.

Pro: Uwe Schürmann

Sicherheitslücken schließen und Kommunikationsdaten speichern! Die Gefahrenabwehr und die Bekämpfung von Kriminalität und Extremismus sind unverzichtbare Kernaufgaben des Staates. Ihre Erfüllung verlangt sowohl nach zeitgemäßen wie verfassungskonformen Mitteln. Ein ermittlungstaktisch äußerst wichtiges Instrument geben die so genannten Verkehrsdaten der Telekommunikation an die Hand. Deshalb waren die Anbieter von Telekommunikationsdiensten gesetzlich dazu verpflichtet worden, diese Verbindungsdaten – nicht etwa die Kommunikationsinhalte – für sechs Monate zu speichern (so genannte Vorratsdatenspeicherung). Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom März 2010 ist diese Speicherungspflicht entfallen – mittlerweile also schon seit über 20 Monaten. Freilich verwarfen die Karlsruher Richter keineswegs die Speicherungspflicht als solche, sondern nur deren konkrete Ausgestaltung. Das Gericht stellte in seinem Urteil sogar ausdrücklich fest, dass die Speicherungspflicht als Reaktion auf das spezifische Gefahrenpotential neuer Telekommunikationsmittel verstanden werden müsse: „Es werden hierdurch Aufklärungsmöglichkeiten geschaffen, die sonst nicht bestünden und angesichts der zunehmenden Bedeutung der Telekommunikation auch für die Verbreitung und Begehung von Straftaten in vielen Fällen erfolgversprechend sind.“ Eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen sei „für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung“. Tatsächlich hat der bisherige Verzicht auf die Wiedereinführung von Mindestspeicherungsfristen zu erheblichen Schutzlücken geführt. Im Bereich der Terrorismusbekämpfung oder der organisierten Kriminalität, auch hinsichtlich der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet oder im Zusammenhang mit Betrugsdelikten bieten die Verkehrdaten häufig den einzigen Ermittlungsansatz. Deshalb hat sich auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes für eine verfassungskonforme Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Allein diese sicherheitspolitischen Gründe unterstreichen den Handlungsbedarf. Und durch die bisher noch nicht erfolgte Umsetzung einer EU-Richtlinie zu den Mindestspeicherfristen wird der rechtspolitische Handlungsdruck noch weiter erhöht. Die EU-Kommission hat Deutschland kürzlich eine Frist von zwei Monaten gesetzt, nach deren Ablauf Strafzahlungen drohen. Eine verfassungskonforme Neuregelung der Mindestspeicherungspflicht von Telekommunikationsdaten ist damit überfällig – vor allem im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.

Contra: Emanuel Schach

Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist grundsätzlich inakzeptabel, weil sie eines der grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates aushebelt und letztlich ins Gegenteil verkehrt: die Unschuldsvermutung. Auf diese Weise wird sie zum entscheidenden Schritt vom Rechts- in den Überwachungsstaat. Noch gilt in Ermittlungsverfahren: Je weiter eine Maßnahme in grundrechtlich geschützte Bereiche eines Menschen eingreift, desto höher liegen die Hürden. Die VDS hingegen würde an keinerlei Voraussetzungen geknüpft. Sie soll anlasslos (!) jeden Menschen treffen, der sich im Internet bewegt. Wir alle sind dann grundsätzlich verdächtig. Egal, ob wir Onlinezeitungen lesen, uns mittels Wikipedia informieren oder Waren bestellen: Unsere “Bewegungen” im Netz werden erfasst, es entsteht eine Art “virtuelles Bewegungsprofil”. Immer und ohne Ausnahme. Was im sogenannten Real Life nur im Verdachtsfall und auf richterliche Anordnung möglich ist, soll bei Internet und Telefonie Dauerzustand werden. Und das letztlich ohne Not und Bedarf, weil entgegen den Behauptungen ihrer Verfechter eben keinerlei Erkenntnisse existieren, wonach die VDS tatsächlich effektiv und damit notwendig zur Aufklärung von Straftaten ist. Im Gegenteil zeigt eine Auswertung der Kriminalitätsstatistiken durch den AK Vorrat: 2009 sank gerade bei schweren Straftaten trotz VDS die Aufklärungsquote im Verhältnis zu 2007, als es sie noch nicht gab[1]. Bemerkenswerterweise lässt derzeit das Bundeskriminalamts (BKA) in einer Vielzahl laufender Verfahren Datenabfragen bei Telefonprovidern vornehmen, auch und vor allem dann, wenn von vornherein eine Negativauskunft zu erwarten ist[2]. So soll suggeriert werden, dass das BKA ohne VDS nur noch unter erschwerten Bedingungen arbeiten kann. Dies zeigt anschaulich, dass offenkundig auch und gerade beim BKA keine aussagekräftigen Argumente für das begehrte Ermittlungsinstrument vorhanden sein können, da andernfalls solche Tricks nicht notwendig wären. Hinzu kommt das massive Missbrauchspotenzial der so gesammelten Daten. Diese werden bei den Providern und damit privaten Unternehmen vorrätig gehalten. Dort bestehen zweifelsohne Begehrlichkeiten, wie der weltweite schwunghafte Handel mit Daten zeigt. Doch auch eine zentrale Speicherung bei staatlichen Stellen ist nicht akzeptabel. Einerseits hat dies das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur VDS schon ausgeschlossen. Andererseits zeigen die aktuellen Skandale etwa um die Staatstrojaner, dass gerade die Ermittlungsbehörden nur allzu gerne bereit zu sein scheinen, die Rechte von uns Bürgern einem einfachen Ermittlungserfolg zu opfern.

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