Schon längst haben einzelne Politiker den Microblogging-Dienst Twitter für sich entdeckt und zwitschern ihre Botschaften in 140 Zeichen. Während viele Mitglieder der Piratenpartei sich dort seit langem wie ein Fisch im Wasser bewegen, nutzen in den anderen Parteien vor allem Netzpolitiker diese Möglichkeit des Dialogs. Zu ihnen gehört Dorothee Bär von der CSU. Sie nutzt Twitter intensiv und kritisiert, dass viele Politiker Social Media als Bedrohung sehen. Für den CDU-Politiker Ansgar Heveling ist ein Tweet dagegen nicht mehr als ein „Pieps“.
Können Parteien es sich heute noch leisten, Twitter vollkommen zu ignorieren? Nach wie vor sträuben sich viele Politiker gegen diese Form der Echtzeitkommunikation. Der amtierende Regierungssprecher Steffen Seibert gehörte einst zu den Verweigerern, erlebte aber schon bald einen Sinneswandel und kam schließlich zu der Erkenntnis: „Ich mag die Reduzierung auf die absolute Essenz einer Nachricht, einer politischen Botschaft“. Genau das, also das Verpacken einer aussagekräftigen Nachricht in 140 Zeichen, gehört zur Kunst des Twitterns. Im Gegensatz zu Seibert, der auf Twitter vor allem als offizielles Sprachrohr der Bundeskanzlerin in Erscheinung tritt, nutzen Politiker wie die Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär das Medium weitaus persönlicher und weniger formlos, um mit Nutzern und Wählern auf Tuchfühlung zu gehen. Die Vorsitzende von CSUnet ist überzeugt, dass politische Themen sich auf Twitter spannend und authentisch diskutieren lassen. Etwas anders sieht das der vor einigen Wochen mit seinem Schlachtruf in Richtung „Netzgemeinde“ bekannt gewordene CDU-Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling. Er warnt vor einer Überhöhung des Internets und bekennt, dass er Twitter zu seiner täglichen Information oder Meinungsbildung nicht brauche.
Pro-Standpunkt Dorothee Bär
Betreuungsgeld und Sachertorten – #TwitterNutzenUndVerstehen
Das Phänomen der digitalen Spaltung wurde in den letzten Wochen mehrmals benannt und als Problem erkannt. Die Politik hat die Aufgabe, zu helfen, eben dieser Spaltung zu begegnen und die „digital gap“ langfristig möglichst klein zu halten. Fairerweise muss man zugeben, dass die Volksparteien sich bei der Bewältigung dieser Aufgabe in der Vergangenheit nicht immer besonders geschickt angestellt haben. Zahlreiche Innenpolitiker weisen immer wieder auf die Bedrohungen des Internets hin, die es natürlich gibt, das ist uns allen klar. Allerdings vergessen sie dabei leider viel zu häufig die Chancen und Möglichkeiten. Zu jenem Internet-Bashing gehört immer wieder die Marginalisierung von Social Media-Kanälen wie Facebook oder Twitter.
Lehrer sehen die Onlinekommunikation ihrer Schüler häufig als Privatvergnügen an, und in regelmäßigen Abständen schallen einem, wenn man sich als Twitter-User outet, Fragen entgegen wie: „Was interessiert mich, was irgendjemand, den ich kaum kenne, gerade eingekauft hat, oder welchen Cocktail er gerade trinkt“. Selbst Politiker, die aktiv twittern, lassen sich zu einer solchen Argumentation hinreißen, wie ich selbst als Betroffene zur Kenntnis nehmen musste, als der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag mir in seinem Blog vorgeworfen hatte, meine Themen handelten nur von Sachertorten und anderem Trivial-Irrelevanten. Offensichtlich hat er eine zu überladene Timeline und nimmt die dort aufgeführten Tweets nur sehr selektiv wahr.
Dass seine Ausführungen zu kurz greifen, und wie spannend und authentisch politische Themen auf Twitter diskutiert werden können, zeigte dagegen die Debatte um das Betreuungsgeld, die sich nach meinem Redebeitrag im Deutschen Bundestag im November 2011 entwickelt hat. Hier wurden parteiübergreifend Meinungen ausgetauscht: Piraten debattierten mit Grünen, Sozialdemokraten und meinen Kollegen aus den Unionsparteien teilweise sehr emotional über Kita und Kiga, finanzielle Unterstützung durch den Staat und verschiedene Familienkonzepte. Besonders an diesem Beispiel wurde mir erneut klar: Einen authentischeren Eindruck von der Rezeption politischer Standpunkte und deren Auslegung und die Unterschiedlichkeit der Weltbilder, die sich aus vielen Beiträgen ableiten lässt, kann man über die traditionellen Kommunikationswege nicht annähernd erhalten.
Viele Politiker sehen im Wesen von Social Media und Microblogs hauptsächlich Gefahren und schrecken vor der Nutzung zurück. Ich hingegen möchte auf die Chancen dieser Kanäle sicher nicht mehr verzichten: So bieten diese wie kein anderes Medium die Möglichkeit des Themensettings und der damit verbundenen Einholung eines Meinungs- oder Stimmungsbildes. Ich finde die Marginalisierung von Facebook, Twitter und Co. aber auch deshalb bedenklich, weil ich auch an Ereignisse wie die arabische Revolution des vergangenen Jahres oder die „London Riots“ denke. Hier haben Menschen über Twitter etwas bewegt, haben politische Systeme verändert und Gemeinschaftsleistungen vollbracht, wie sie früher nicht oder wesentlich schwieriger möglich gewesen wären. Man braucht heute keine großen Expertenteams oder Organisationsapparate mehr, um seine Nachrichten und Botschaften weltweit zu verbreiten. Dies zeigt auch: Social Media ist die beste Werbung für Demokratie!
Dorothee Bär
Die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär ist u.a Vorsitzende von CSUnet sowie Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Contra-Standpunkt Ansgar Heveling
Für viele Internetnutzer ist Twitter Bestandteil ihrer täglichen Kommunikation und Information im Netz. Ich gehöre zu denen, die Twitter weder für das eine noch das andere nutzen. Für den Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern, zum Meinungsaustausch sowie zur Informationsbeschaffung verwende ich andere Mittel und Plattformen, teils analog, teils im Internet. Es ist meiner Ansicht nach durchaus möglich, politische Botschaften in 140 Zeichen zu transportieren. Jedoch geschieht dies meist nicht. Die Mehrzahl der Tweets, oftmals auch von Politikern, bildet eher unbedeutende Mitteilungen. Zu meiner täglichen Information oder Meinungsbildung brauche ich das nicht.
Nun sind wir alle heutzutage einer riesigen Flut von Informationen ausgesetzt, die wir zu verarbeiten kognitiv oftmals gar nicht imstande sind. Das haben Wissenschaftler wiederholt gezeigt. Noch nie mussten wir das Wichtige aus so vielen verschiedenen Informationsquellen filtern. Offensichtlich sind viele damit überfordert. Das wundert nicht. Der amerikanische Zukunftsforscher David Gelernter schrieb unlängst im „Tagesspiegel“: „Die Pulsfrequenz des virtuellen Worts strebt Richtung Kontrollverlust. […] Die Cybersphäre beschießt uns mit Informationen, ohne Rücksicht auf unsere Grenzen.“ (Der Tagesspiegel, 27.02.2012, Titel: „Die Würde des Worts ist angetastet“) Viele lassen Tag für Tag den ununterbrochenen Strom an Neuigkeiten und Informationen auf sich hereinprasseln und wissen nichts mit sich anzufangen, sobald der Strom abreißt. Das ist gefährlich.
Natürlich kann man Twitter dafür nutzen, sich zu informieren und mit anderen in Kontakt zu treten. Genauso wie andere Plattformen im Internet kann es eine nützliche Ergänzung im Alltag sein. Doch dürfen wir nicht vergessen: „Digitale Information ist Wegwerfinformation“, wie David Gelernter treffend in seinem Artikel schreibt. Twitter dient eben immer nur einer Momentaufnahme, einer schnelllebigen Diskussion, einem kurzfristigen Austausch. Die Flut digitaler Information taugt nicht zur Nachhaltigkeit – wer fragt noch nach den Tweets von gestern und vorgestern, wer erinnert sich daran?
Ich meine: Twitter sollte nicht zum Lebensinhalt werden. Wenn jemand dies für sich entscheidet, habe ich Verständnis dafür. Wenn aber auf diesem Wege versucht wird, damit unserer Gesellschaft eine neue Ordnung zu verpassen, stoße ich an die Grenzen meines Verständnisses. Das Internet ist ein Medium, ein Tool, und so sollten wir es auch benutzen. Wir sollten es nicht überhöhen. Das gilt ebenso für Twitter. Denn ganz wie die wörtliche Bedeutung des englischen „tweet“ sagt – es ist nicht mehr als ein „Pieps“.
Ansgar Heveling
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling ist u.a. Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft sowie Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages.