… und die Piratenpartei Opfer ihres eigenen Erfolgs wurde. „Sind die Piraten nun endgültig tot oder zucken sie noch?“ ist heute das einzige, was in puncto der einmal so vielversprechend gestarteten Freibeuterpartei noch interessiert. Der Niedergang zeigt auch: Die „Netzgemeinde“ als eine homogene Gruppe gibt es nicht. Sie taugt auch nicht zur Partei.
Wissen sie, wie viel Prozent die Piratenpartei bei der Sachsen-Wahl letztes Wochenende erreicht hat? Wusste ich auch nicht. Denn neben den Diskussionen um „AfD rein, NPD raus, Grüne rein, und wenn, dann vielleicht sogar Schwarz-Grün“ ist über die Partei, die es in den letzten Jahren immerhin in mehrere Landtage hintereinander geschafft hat, einfach nicht mehr geredet worden. Man konnte nur vermuten, dass sich ihr Stimmanteil irgendwo in dem grauen Balken bei „sonstige“ verstecken musste.
Es waren übrigens 1,1 Prozent und damit noch einmal 0,8 Prozent weniger als bei der letzten Wahl im Jahr 2009, als die Piratenpartei ein noch relativ unbekanntes Phänomen war. Das findet aber nur heraus, wer die Ergebnisse direkt auf der Seite des sächsischen Landeswahlleiters einsieht. Wer bei Google „Piratenpartei Ergebnisse Sachsen“ eingibt der bekommt als Ergebnis – die AfD. Nämlich in den News, wo fleißig darüber diskutiert wird, ob und wenn ja wie den Euro-Querulanten dasselbe blüht wie der Piratenpartei: nämlich der medial schon doppelt und dreifach festgestellte Untergang.
Über diesen ließ sich zugegebenermaßen auch gut berichten. Denn in der Piratenpartei gab es für die Kämpfe und Auseinandersetzungen, die es – das vergisst man irgendwie immer – auch laut und heftig in anderen Parteien gibt, einfach keine Struktur, und darum auch nie ein Ende. Wie Lenz Jacobsen auf zeit.de treffend feststellt: „Niemandem wurde die Autorität zugestanden, Diskussionen zu beenden“. Jacobsen weist in seinem Vergleich zwischen AfD und Piraten auf einen weiteren Aspekt hin: Während die AfD ein eigenes politisches Milieu bedient, war dieses bei der Piratenpartei einfach nicht vorhanden.
Was bei Jacobsen nur kurz angerissen wird, lohnt eine tiefergehende Betrachtung. Die Piraten haben sich seit ihrer Gründung als Teil einer „weltweiten Bewegung“ verstanden. Diese Bewegung wird in Deutschland gerne „Netzgemeinde“ oder „Netzcommunity“ genannt. Diese muss aber interessanterweise sprachlich mittlerweile für sehr unterschiedliche Sachen herhalten.
Weder Königreich noch Familientreffen
Kürzlich tauchte der Begriff der Netzgemeinde in der „Digitalen Agenda“ wieder auf. Genauer: Die „Netzcommunity“ wird als einer der Akteure identifiziert, die am Dialog darüber, wie, ob und wann Deutschland denn nun zu digitalisieren sei, irgendwie mitwirken sollen. Doch auch hier stellt sich die Frage, die sich durch das ganze Papier der Bundesregierung zieht: Was ist damit eigentlich gemeint? Ist für die Bundesregierung die „Netzgemeinde“ nun ein ExpertInnengremium mit besonderer Weitsicht auf die gesellschaftlichen Folgen digitaler Entwicklung? Ist das eine Hacker-Lobby mit einseitigen politischen Interessen? Oder ist die „Netzgemeinde“ hier nur eine Verklausulierung für „Zivilgesellschaft“?
Der Begriff der Gemeinde impliziert eine Art verschworenen Zusammenhalt. Und es gibt durchaus auch AkteurInnen, die diese Sichtweise selber befeuern. Die jährlich stattfindende re:publica bezeichnet sich selbstironisch als „Familientreffen“. Das ist gar nicht falsch. Über die Hälfte der diesjährigen TeilnehmerInnen gaben an, mindestens schon zum zweiten Mal hierher zu kommen. Publizistisch wurde selbst 2012 noch kommentiert, die deutsche digitale Gesellschaft sei „eine Monarchie“ – und Sascha Lobo natürlich der König.
Wenn diese Sichtweise 2012 vielleicht schon schwierig war, inzwischen ist sie sicherlich falsch. Was heute alles unter „Netzgemeinde“ läuft, ist längst keine homogene Gruppe und erst recht keine Monarchie mehr – schon die Piratenpartei konnte sich dauerhaft auf keinen König einigen. Selbst wenn die Piraten zumindest am Anfang aus Menschen mit relativ ähnlichen politischen Anschauungen bestand: die Netzgemeinde ist heute größer als sie, sie reicht in alle Parteien und alle Milieus. Und damit ist sie nicht weiter als ein rhetorisches Konstrukt.
Wer ist bloß dieses „Wir“?
Der Blogger Michael Seemann schrieb nach der Bundestagswahl mit Hinblick auf das bescheidene Abschneiden der Piratenpartei: „Unsere Diskurse, unsere Belange, unsere Sicht auf die Welt kam bei dieser Wahl nicht vor. (…). Haben wir versagt: organisatorisch, ideologisch, personell?“. Doch auch in seinem Beitrag bleibt offen, wer denn dieses „wir“ nun eigentlich ist. Seemann selber ist ein Beispiel dafür, dass die Antwort hier nicht einfach fällt. Er ist Anhänger der Post-Privacy-Bewegung, postet Steuererklärung und Aufenthaltsort in den sozialen Medien – live. Vergleicht man das mit anderen AnhängerInnen der Piratenpartei, die es auf Parteitagen vorzogen, lieber nicht fotografiert zu werden, wird eine gewissen Diskrepanz deutlich, die in das Bild der „Gemeinde“ nicht recht passt.
Diese Überlegung macht zwei Faktoren deutlich, die den Niedergang der Piraten wie kaum andere besiegelt haben, aber in der darüber geführten Debatte selten auftauchten: Die Piraten sind zum einen Opfer ihres eigenen Erfolgs. Und zum anderen taugt eine Technologie, die massenhafte Verbreitung findet, nicht zur Vereinnahmung durch eine politische Richtung.
Die Digitalisierung hat viele Kinder
Opfer ihres eigenen Erfolgs sind sie deswegen, weil ihre Aktivität und ihre zwischenzeitlich spektakulären Umfragewerte in den anderen Parteien für hektische Betriebsamkeit gesorgt haben. Die CDU verfügt mittlerweile nicht nur über ihren eigenen netzpolitischen Verein, sondern auch über einen Generalsekretär, der, so scheint es, gleichzeitig schlafen und twittern kann. Die SPD schmückte sich mit Sascha Lobo als Online-Berater und führte mit ihrem Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag 2013 genau das durch, was die Piraten vorgemacht hatten: Mehr innerparteiliche Demokratie. Konstantin von Notz ist einer der bekanntesten Netzpolitiker in Deutschland, und er ist Grüner, nicht Pirat. Im Landtagswahlkampf in Sachsen bekannte sich jede Partei zu so einer Art Open Data-Regelung. Und dann gibt es da natürlich auch noch diese Digitale Agenda, die im Jahre 2014 natürlich niemanden als Innovation verkauft werden kann. Aber dass es nun schlussendlich eine gibt, ist Ergebnis eines politischen Diskurses, den die Piraten mit angestoßen haben.
Diese Erfolge sind mitnichten im Sinne der Piraten. Sie haben das Thema politisiert aber das heißt eben auch: sie haben Netzpolitik massentauglich gemacht. Die Begriffe „Netzpolitik“ und „Netzgemeinde“ konnten einmal austauschbar verwendet werden. Das war zu einem Zeitpunkt, als die Netzgemeinde auch gleichbedeutend war mit der Forderung nach einem lockereren Urheberrecht, nach einem transparenteren Staat und einem unregulierten Internet, nach freien Bildungsmaterialien und mehr Datenschutz.
Die „richtige“ Meinung gibt es nicht
Und damit wird der zweite Faktor des Piraten-Dilemmas deutlich: Das Internet ist eine Massentechnologie – und es ist auch zu einem normalen Politikfeld geworden, das sich nach den traditionellen Maßstäben ordnen lässt: Ob liberal, konservativ oder links, ob traditionell oder progressiv, Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik. Und Wirtschaftspolitik. Und Kulturpolitik. Ganz normale Politik halt. Für die gibt es aber bekanntlich schon eine Handvoll Parteien.
Das Alleinstellungmerkmal der Piraten beruhte vor allem darauf, dass sie eine alleinige Kompetenz auf dem Gebiet des Internets hatten und damit einen alleinigen Vertretungsanspruch. Ihre pure Existenz hat für einen (zugegeben geringen) Kompetenzschub bei der politischen Konkurrenz gesorgt und die Piraten damit schlicht ihre Daseinsberechtigung gekostet. So lange die Piraten auf weiter Flur alleine waren, hatten sie gewissermaßen das exklusive Lizenzrecht auf die Vermarktung ihrer netzpolitischen Positionen als die einzig richtigen – schließlich gab es keine etablierten Gegenpositionen bei anderen Parteien.
Internetnutzung ist glücklicherweise kein Exklusivrecht mehr, das Internet ist ein relativ flächendeckend verfügbares Medium, trotz aller Mängel beim Breitbandausbau. Und dadurch gilt für das Netz, was auch für Arbeitsmarkt, Bildungspolitik und die Rente gilt: Man kann es so oder so sehen. Aber die Gruppe, die es „richtig“ sieht, kann es nicht geben.
Und jetzt singen im Chor der einst exklusiven Community ein paar Stimmen total schief, nämlich die der Konkurrenz, die das Ganze anders sehen. Die einstige Netzgemeinde sollte sich selbst nicht mehr so bezeichnen, denn sie ist längst kein geschlossener Verein mehr – und ist das vielleicht nie gewesen. Auf sie zu verweisen ist lediglich noch ein rhetorisches Mittel, das für Beteiligungsplacebos á la „Wir wollen auch die Netzgemeinde beteiligen“ herhält. Hiergegen sollten sich ihre einstigen ProtagonistInnen wehren und ihre Ziele mit prägnanten Namen versehen. Denn im Jahr 2014 ist es in etwa so aussagekräftig, Mitglied der Netzgemeinde zu sein, wie Mitglied im ADAC.
tl;dr
Die Piraten sind auch an ihrem eigenen Erfolg gescheitert: Sie haben Netzpolitik zu einem klassischen Politikfeld gemacht, das von allen Parteien bespielt wird und dadurch ihr Alleinstellungsmerkmal eingebüßt. Auch der Begriff der “Netzgemeinde” ist dadurch verwässert und sollte nicht mehr gebraucht werden.
Foto: Tichonov
Bei den Piraten ist gerade ein interner Umbau im Gange, solange diese nicht abgeschlossen ist werden sie auch nicht wieder steigen können.
Grundsätzlich kann man sagen das in Flächenbundesländern die Piratenpartei schlechte Chancen hat da dort ihr natürlicher politischer Feind wohnt “konservativ oder rechtsaußen”
Ich bin gespannt was die Wahlen (Bremen und Hamburg) im nächsten Jahr bringen wenn sie dort nicht auf 4-5% schaffen dann sind sie wirklich tot.
Nuja, mit Themen wie Zeitreisen und Weltraumaufzügen macht man sich ja auch nur lächerlich. Piratenpartei ? Kindergarten Spasspartei !
Die Gurkentruppe kümmert sich ja nichtmal um Netzpolitik. Wer Weltraumaufzug bauen will soll das bitte in der Spielecke mit Legosteinen machen und nicht auf Steuerzahlers kosten.
[…] POLITIK politik-digital: Die Netzgemeinde singt nicht im Chor: In der Sachsen-Wahl letztes Wochenende erreichte die Piratenpartei nur schlappe 1,1 Prozent. Das sind nochmal 0,8 Prozent weniger als in der letzen Wahl. Da könnte die Frage entstehen: „Sind die Piraten nun endgültig tot oder zucken sie noch?“ Die einst so vielversprechende Freibeuterpartei lässt kaum noch etwas von sich hören. Eine „Netzgemeinde“ als eine homogene Gruppe gibt es nicht und taugt auch nicht zu einer Partei. […]
Das ist eine sehr einseitige Sicht der politischen Aktivitäten der PIRATENPARTEI Deutschland. Vielleicht einfach mal in den SocialMedia schauen, was die SOZIALPIRATEN machen?
Die genannten Gründe für den (un)aufhaltsamen Niedergang der PIRATEN sind sicher (auch) zutreffend. Aber sind sie der Kern des Problems ? Ich glaube nicht. Die Praten haben die Dimension ihres eigenen Gegenstandes (noch) nicht verstanden : Die unaufhaltsame und erst am Anfang befindliche DIGITALE UMWÄLZUNG DER WELT. Ihr Gegenstand ist in erster Linie “nur” die “Netzopolitik”, das Internet, zugegeben ein wichtiger Bereich, aber doch nur ein kleiner Teil dessen, was die “DIGITALE REVOLUTION” ausmacht. Diese erstreckt sich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens : die Wirtschaft in allen ihren Teilen, die Kommunikation, die Kultur, die mitmenschlichen Beziehungen, das Selbstverständnis des Menschen, die Anschauung der Welt. Sie duchdringt und erfaßt alles. Sie erfordert ein neues Durchdenken vieler Fragen jenseits der “Netzpolitik”, die das – insoweit verengte – Selbstverständnis der Piraten bestimmt. Das ist der wesentliche Unterschied zu den GRÜNEN, die, sich zugleich aus verschiedenen Quellen – Friedensbewegung, Umwelt-, AKW- Frauen-, Dritte-Welt-Bewegung – speisend, mit der ÖKOLOGIE-Frage ein übergreifendes Jahrhundertthema als ihr “Alleinstellungsmerkmal” auf die Tagesordnung der Politik und der Gesellschaft gesetzt haben. Dieser “Markenkern” ließ sie zu einer zukunftsgestaltenden Kraft werden. Auch die Digitale Revolution ist ein solches Jahrhundertthema, nur die Piraten haben es – noch – nicht begriffen. Sie sind insoweit nicht auf der Höhe der Zeit. Constanze Kurtz und Schirrmacher, um einige zu nennen, waren und sind hier weiter, führ(t)en Debatten auf einem ganz anderen Niveau als die Piraten, die eher intellektuell schmalbrüstig daher kommen, an der Oberfläche des Gegenstandes verhaftet bleiben. Diese Reduziertheit des Denkens könnten ihnen eigentlich die anderen Parteien um die Ohren hauen, aber da sie im Bewußtsein noch weiter zurück sind, fällt ihnen das Defizit bei den Piraten nichtauf. Aber den Abstand zu den Piraten können sie relativ schnell aufholen, weil das begrenzte, das die Piraten einbringen, selbst leicht anzueignen ist ( siehe digitale Agenda, verkürzt auf die “Netzpolitik” ). Was bei den Piraten sonst noch diskutiert wird, ist überwiegend so unausgegoren, daß es, wenn man es nur antippt, wie ein Soufflet in sich zusammenfällt. Das Innovationspotential der Piraten hält sich insoweit – bislang – in engen Grenzen. Es ist nicht erkennbar, daß sie willens und in der Lage sind, ihren geistigen Horizont so zu erweitern, daß sie die Digitale Revolution als ein Querschnittsthema verstehen, das in allen Politikbereichen durchdekliniert werden kann und muß, weil alle Bereiche – wenn auch in unterschiedlichem Maße und auf spezifische Art – irgenwie davon betroffen sind, wie auch die Ökologiefrage ein Quenschnttsthema ist ( Nachhaltigkeit ). WAS ALSO FEHLT ? Nach wie vor eine politische Partei, die den unaufhaltsamen und alles durchdringenden Prozeß der Digitalen Revolution als einen solchen begreift und insoweit eine vordenkende Kraft ist. Hier geht es um eine besondere Weltsicht, die sich zugleich dem “Links/Rechts-Schema” entzieht, wie das auch bei dem Ökologie-Thema der Grünen der Fall ist. Mit einem solchen Alleinstellungsmerkmal, diesem “Archimedischen Punkt” müßte die Partei, wenn noch andere Faktoren dazu kommen, keine Eintagsfliege sein, könnte sie – vordenkendend – und dauerhaft eine Orientungsfähigkeit für die Gesellschaft haben. Ein entsprechendes Problemverständnis kann ich bei den Piraten jedoch nicht erkennen. Ich bin sehr gespannt, wann erstmals eine Partei im Bundestag den Antrag stellen wird, eine STÄNDIGE ENQUETE-KOMMISSSION “AUSWRKUNGEN DER DIGITALEN REVOLUTION” einzurichten, mit der Aufgabenstellung, diesen unaufhaltsamen Prozeß in all seinen Facetten zu begleiten, rechtzeitig Probleme zu erkennen – als Frühwarnsystem – und Empfehlungen auszusprechen. Alle krisenhaften Erscheinungen der letzten Jahrzehnte, die hierzu einen Bezug haben, waren im Prinzip vorhersehbar und hättenverhindert werden können, auch die Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende, die Finanzmarktkrise, nur um Beispiele zu nennen. Der Digitalisierunsgprozeß führt zu einer enormen Beschleuunigung des ökonomischne, des tehnlogischen, des kulturellen und des gesellschaftlichen Wandels allegmein. Vieles ist antizipierbar. Man muß diesem Prozeß nicht hillflos ausgesetzt sein. Es gilt ihn zu gestalten. Er beinhaltet große Chancen, aber auch viele neue Risiken. Beides gilt es ständig neu zu bewerten. Eine solche Ständige Enquete-Kommission müßte interdisziplinär zusammengsetzt sein. Ökonomen, Informatiker, Naturwissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, Philosophen, Soziologen etc., um alle Dimensionen dieses Wandels zu durchdenken. Nach jetzigem Stand würden die Piraten nicht auf die Idee kommen, einen solchen antrag zu stellen, weil ihnen das dazu nötige Problembewußtsein – noch – fehlt. Hierin liegt aus meiner Sicht die Hauptursache für das Scheitern der Piraten, weil sie ihren eigenen Gegenstand, die Digitale Revolution, noch nicht wirklich verstanden haben und ihr Horizont sich auf einen Teilbereich davon, nämlich die “Netzpolitik” verengt. Und der reicht weder aus, um eine hinreichende Bindungskraft nach innen zu entfalten, noch um tragendes Fundament für eine eigenständige Programmatik zu sein, die sie von den anderen Parteien dauerhaft zu unterscheiden vermag.
Interessante Idee. Ich widerspreche trotzdem.
Das, was in den etablierten politischen Parteien als Netzpolitik verkauft wird, ist eine Projektion aller bisherigen überkommen Politikfelder auf das, was sich ein ca. 60jähriger unter “Internet” vorstellt. Mit der Netzgemeinde hat das nichts zu tun; eher mit light-Produkten, die ein Label tragen, welches ein Versprechen transportieren soll, das das Produkt schon aus seiner Daseinsberechtigung heraus niemals halten kann.
Daß die Netzgemeinde keine homogene, geschlossene Community darstellt, ist trivial. Das hat aber auch nie jemand behauptet oder auch nur angenommen (ausser dem 60-jährigen “Internetspezialisten”), und das ist für die politische Fortentwicklung unserer Gesellschaft auch gar nicht nötig.
Es reicht vollkommen, die einzelnen neu entstandenen gesellschaftlichen Strömungen und Lebensweisen zu erfassen, und sie in die Realpolitik einzubauen. Das hat sich die Piratenpartei zum Ziel gesetzt, und damit ist sie noch lange nicht gescheitert. Sie lernt nur gerade, daß Veränderungen viel Geduld brauchen.
Und deshalb muss sie vor konkurrierenden Parteien auch keine Furcht haben, die die Fähigkeit zur innerparteilichen Erneuerung längst verloren haben.
Gruß, Stahlrabe
Schöner Narativ, dem ich wiedersprechen möchte.
2006 als sich die Piraten als Partei gründeten, lag der Anteil der Internetnutzer bei 58% und im Schnitt wurden ca 50 Minuten im Netz verbracht.
2011 als meine Partei den Hype erlebte, waren es 75% und 80 Minuten. In 2013 liegen wir bei 76% und 111 Minuten (inkl mobile Nutzung)
Ich denke nicht, daß dieses 1% und die halbe Stunde irgendwie ausschlaggebend war.
Quelle http://de.statista.com/statistik/daten/studie/13070/umfrage/entwicklung-der-internetnutzung-in-deutschland-seit-2001/
Die Gemeinsamkeiten von Bernd,Anonymous, CCC, re:publica,youtubern, Web Montag und kino.to (gibt es das noch?) scheinen gering, da stimme ich zu. Groß zusammenarbeiten tun sie auch nicht immer. Manchmal hat man schon Glück wenn Sie es zumindest schaffen zivilisiert miteinander zu reden. Trotzdem gibt es immer wieder Aktionen die das Gemeinsame Interesse in die Öffentlichkeit tragen.
“Si tacuisses, philosophus mansisses.” fiel mir spontan beim Durchlesen des Artikels ein.
Zum Alleinstellungsmerkmal:
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Jede Partei befindet sich in dem Dilemma, einerseits “Kante” und somit Profil zu zeigen und zum anderen andere Politikfelder nicht aus den Augen zu verlieren. Letztlich hat das zu einer gewissen Austauschbarkeit in der Programmatik geführt.
Wenn nun andere Parteien sich “typischen” Themen der Piraten widmen, so ist das ausdrücklich gewünscht. Genau das war und ist das Ziel der Piratenpartei, welches man auch so im Grundsatzprogramm nachlesen kann.
Zur Programmatik
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Dass Lukas die Programmatik der Piraten auf Netzpolitik verengt, verwundert. Die Piratenpartei waren nie allein eine “Netzpartei”, sondern in erster Linie eine Bürgerrechtspartei.
Die Piraten standen und stehen trotz aller innerparteilichen Gegensätze in der Tradition der Hacker, die das Netz gedacht, entwickelt und in wesentlichen Teilen aufgebaut und betrieben haben.
Das Grundsatzprogramm ist durchwirkt von dem, was man landsläufig als “Hackerethik” (wie sie auch z.B vom CCC vertreten wird) bezeichnet.
Die Piraten haben die (alten) Grundsätze des Netzes, so wie sie z.B. ein Licklider, ein Scirvin, ein Kleinrock, ein Spencer, ein Hauben, ein Horton, ein Gillmore u.v.a.m. angedacht hatten, übertragen auf die gesamte Gesellschaft:
freie Meinungsäußerung ohne Zensur, Offenlegung von Prozessen, sei es Software-Code oder der legislative Fussabdruck (Stichwort Transparenz), gesellschaftliche Partizipitation ohne Benachteiligungen wegen ethnischer, kultureller, religiöser Zugehörigkeit, etc, etc, etc…
Naturgemäß herrscht innerhalb der Piraten diesselbe Pluralität, die seinerzeit auch zu vehementen Auseinandersetzungen innerhalb der “kalifornischen Bewegung” geführt hatte und immer noch anhält oder eben die zwischen deutschen Netzaktivisten.
Diese Pluralität nebst internen Auseinandersetzungen ausgerechnet den Piraten zum Vorwurf zu machen, zeugt entweder von einer ausgesprochenen Unkenntnis der Netzgeschichte oder einer selektive Wahrnehmung und/oder Wiedergabe.
Ich widerspreche, dass Piraten gescheitert seien. Richtig ist vielmehr, dass Piraten in den Landerparlamenten mitwirken und ebenso hunderte von Piraten allein in NRW in den Kommunen vertreten sind.
Richtig ist, dass die Piraten versuchen, einen gangbaren Weg zu finden, die Plurailität unter einem Dach zu vereinen. Dass dies mehr als schwierig ist, zudem unter dem Aspekt ein sehr knappen Parteikasse, dürfte jedem einsichtig sein.
Nebenbei bemerkt haben Piraten als einzige den Posten als Rundfunkrat an eine externe Person vergeben. Wie Lukas bekannt sein sollte, an das Vorstandsgründungsmitglied des Vereins Politik-Digital e.V. Christoph Bieber.
Anders gesagt, Piraten versuchen sehr wohl mit anderen Institutionen zu kooperieren, nur kochen nicht selten solche gerne auch ihr eigenens Süppchen, ängstlich darauf bedacht, ihre eigenen Themenpfründe ja nicht mit anderen zu teilen.
Ein letztes noch: Ja, die Piratenpartei hat so manches Fail hingelegt. In erster Linie lag dies jedoch in der Fehleinschätzung von Personen, die in Ämter gewählt worden sind oder in den Egoismen von Gruppen, die Piraten als gleichsam als Transportmittel ihrer eigenen Agenda nutzen wollen, ohne wirklich kooperativ sein zu wollen. Ja, das ist ein Problem (eines unter vielen), das gelöst werden muss.
Vielleicht hätte der Autor ja mal eine Diskussion, z.B. auf Mumble NRW anstoßen können, statt einen aus meiner Sicht ziemlich vorurteilsbehafteten Artikel zu schreiben.
BTW, ich fühle mich selbst als Netizen, bin kein Mitglied der Piraten, aber interessierter Katastrophentourist.
An einigen Stellen taucht in den Kommentaren auf, ich würde die Programmatik der Piratenpartei auf die Netzpolitik verengen. Das ist insofern anders gemeint gewesen, als dass ich eher die Netzgemeinde auf die Piratenpartei verenge (was ebenfalls eine Simplifizierung ist, wie ich zugebe). Dieser Artikel dreht sich aber nicht um die Piratenpartei als solche (weil über die schon genug und sicher noch nicht abschließend geschrieben worden ist), sondern um den Begriff der “Netzgemeinde” den ich einfach für falsch halte. Dass die Piraten auch andere Themen besetzten ist mir bewusst, dass die Netzpolitik aber stets der kleinste gemeinsame Nenner war, falls es den überhaupt gab, denke ich auch.
Die interessanteste Anmerkung hier stammt meiner Meinung nach von “Stahlrabe”, wenn er schreibt, dass die neuen Parteien alte Politikmuster einfach auf das Internet übertragen und als Netzpolitik verkaufen. Genau das stimmt und stellt das eigentliche Problem dar. Nur gelingt es der Piratenpartei schlicht nicht, in der öffentlichen Wahrnehmung ein “Wir, die Könner von den Piraten” vs. “Die anderen, die das nie hinkriegen” zu erhalten. Dafür waren die anderen Parteien zu schnell und effektiv und die Piraten – sorry – einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Das Problem der Piraten ist, dass sie gerade diesen kleinsten gemeinsamen Nenner nicht haben. Wenn, dann könnte man diesen mit “Irgendwas mit Medien” beziffern. Wer sich nicht einmal darüber einig sein kann, ob man pro Datenschutz oder pro Post-Privacy ist (Beispiel), kann auch Folgediskussionen nicht sachlich führen. Eine Partei ohne Grundsätze ist zum Scheitern verurteilt.
Auch die Grünen hatten windige Jahre, allerdings gab es damals schon den Konsens, von gewissen Grundthesen nicht abzuweichen. Auch sie waren ein Sammelbecken für allerlei Leute von beiden Rändern des Hufeisens. Doch die Zeit hat durch diesen Konsens viele Flachnasen ausgewaschen.
Ich fürchte, die Piraten wird es nicht mehr lange geben. Schwung haben sie in die Politik gebracht und den anderen Parteien (etwas) mehr „Basisdemokratie“ verschafft.