Auf der diesjährigen Bloggerkonferenz “re:publica” sorgte die Digitale Gesellschaft e.V. für eine Überraschung und ein lautes Medienecho. Mit der Initiative “Adoptier-deinen-Abgeordneten” präsentierte der Verein eine Plattform, auf der virtuelle Paten für die 620 Abgeordneten des Deutschen Bundestages vermittelt werden.
Um ihrem politischen Anliegen Gehör zu verschaffen, bedienen sich die Aktivisten der Digitalen Gesellschaft sogenannter netzpolitischer Paten, die ihre Abgeordneten mit Informationen versorgen und zu Gesprächen einladen sollen. Kostenfrei ist dieses Abgeordnetenlobbying allerdings nicht. Für vier Euro gibt’s einen Volksvertreter von der Hinterbank; 19 Euro werden fällig, möchte der interessierte Bürger die Betreuung eines Politikers aus der ersten Reihe übernehmen. Ist der Parlamentarier erst einmal erfolgreich adoptiert, kann das Lobbying beginnen. Um Fortschritte in der Annäherung zu dokumentieren, sind die Paten angehalten, regelmäßig Online-Tagebuch zu führen und über den Kontaktverlauf zu berichten. Gestaltet sich die Adoptionsbeziehung komplizierter als gedacht oder beißt sich der Pate am eigensinnigen Volksvertreter die Zähne aus, gibt es eine schnelle Lösung: unliebsame Abgeordnete können zum Quartalsende zurückgegeben werden.
Während Markus Beckedahl, Vorsitzender des Digitale Gesellschaft e.V., die Initiative für eine gute Idee hält, bei der beide Seiten profitieren und viel voneinander lernen können, sieht das Peter Tauber, MdB und Sprecher des Vereins cnetz, kritischer: “Wer adoptiert wird, der bekommt einen Vormund an die Hand. Wollen wir frei gewählte Abgeordnete in solche Kategorien einsortieren?”
Lesen Sie auf politik-digital zwei Gastbeiträge zu einem ungewöhnlichen Adoptionskonzept.
Pro-Standpunkt Markus Beckedahl
Man könnte sagen, dass es eine Schnapsidee war. Nur leider hatten wir gerade keinen Schnaps zur Hand, als wir darüber diskutierten, wie man das Abgeordnetenlobbying per Crowd organisieren könnte. Wir warfen ein wenig die Ideen hin und her – und heraus kam: eine Plattform, bei der alle Seiten profitieren.
Die Grundidee hinter „AdA“ ist schnell erklärt: ein Nutzer übernimmt die netzpolitische Patenschaft für einen Abgeordneten seiner Wahl. Er oder sie soll mit ihm oder in Kontakt treten, eine stetige, mehr oder minder liebevolle Beziehung aufbauen. Wenn ein Thema in den Bundestag kommt, das von netzpolitischer Bedeutung ist, sagen wir vom Digitale Gesellschaft e.V. den Paten Bescheid, geben Hintergrundinformationen und Hinweise zur
Abgeordnetenansprache: Schau, das Thema ist jetzt in dem Ausschuss, in dem Dein Patenabgeordneter sitzt. Ruf ihn an, schick ihm eine Mail, sag ihm Bescheid. Und wenn das Thema dann im Bundestagsplenum ist, werden alle Paten zum Mitmachen aufgefordert. Das hat zwei Effekte: zum einen bekommen die Abgeordneten schnell und unkompliziert – aber immer vom gleichen Paten – Nachrichten und Hilfestellungen zu Themen, bei denen sie sich sonst oft nur auf die Unterlagen der zuständigen Berichterstatter ihrer Fraktion verlassen. Sie können in einen kontinuierlichen Diskurs über die netzpolitischen Fragestellungen eintreten. Zum anderen lernen dabei viele Nutzer einiges über die tatsächliche Arbeitsweise eines Parlaments, über parlamentarische Abläufe und über das Abgeordnetendasein. Das nennen wir: politische Bildung in netzgerechter Art und Weise.
Tatsächlich hängt der Erfolg der Plattform stark von ihren Nutzern ab: schaffen sie es, ihre Abgeordneten in den Dialog zu verwickeln? Dabei höflich zu bleiben? Auf beiden Seiten des Monitors sitzt ja ein Mensch. Weshalb wir auch – sollten sich Abgeordnete bei uns beschweren – dann auch die Patenschaften beenden, wenn es Beschwerden gibt. Wir möchten niemanden vergrätzen, wir möchten einen klügeren netzpolitischen Diskurs schaffen. Und dabei auch den netzpolitisch Interessierten zeigen: es tut gar nicht so weh, sich mit einem Menschen, der MdB ist, zu unterhalten und ihm zu sagen, was er besser machen könnte. Kluge MdB werden es als Chance erkennen. Weniger kluge werden dagegen rumpoltern. Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie sich unser Adoptionswesen entwickeln wird.
Contra-Standpunkt Peter Tauber
Es klingt wie eine witzige Idee. Bürger können einen Abgeordneten adoptieren. Auf diese Weise will der netzpolitische Verein, die Digitale Gesellschaft, die vermeintlich fehlende netzpolitische Kompetenz der Bundestagsabgeordneten ausmerzen und jeden Abgeordneten zu einem Nerd machen. Auch diese Idee ist nicht so falsch, denn das Internet verändert unsere Welt massiv und wir tun gut daran, uns zu fragen, ob die Entscheidungsträger in Staat und Gesellschaft diese Dynamik der Veränderung, die einer Revolution gleichkommt, erkannt haben und bereit sind, darauf so zu reagieren, dass etwas Gutes für unser Land daraus werden kann.
Auf den ersten Blick überlege ich also, wo denn der Like-Button für diese Aktion zu finden ist. Bevor man klickt, sollte man überlegen. Ist die Idee wirklich gut oder nicht nur ein PR-Gag? Soll damit nicht unterschwellig zunächst einmal das Klischee bedient werden, dass Abgeordnete alle Emails ausdrucken und man sie zumindest netzpolitisch dringend zur Adoption freigeben müsse? Wer adoptiert wird, der bekommt einen Vormund an die Hand. Wollen wir frei gewählte Abgeordnete in solche Kategorien einsortieren?
Wenn die Digitale Gesellschaft wirklich etwas erreichen will – gerade bei den Abgeordneten, die bisher keine Notwendigkeit gesehen haben, sich mit Netzpolitik zu befassen -, dann hätte sie nach einem Format gesucht, das Abgeordnete nicht bloßstellt oder karikiert, sondern man hätte sie “mitgenommen”. Die Aktion ist zumindest nicht so aufbereitet, dass die Botschaft lautet: “Liebe Abgeordnete, dass Internet ist enorm wichtig für unsere freiheitliche Gesellschaft und für unsere Volkswirtschaft. Wir glauben wir verstehen, worum es bei dem Thema geht und wollen unser Wissen an Euch weitergeben.” Viel eher liest sich der Subtext ziemlich klar: “Die sind blöd und bekommen das eh nicht hin, wir geben sie mal zur Adoption frei (ohne sie vorher zu fragen, ob sie das wollen) und schauen einfach mal, wer dann barsch oder unwirsch reagiert um das Klischee vom Internetfernen und verstockten technikfeindlichen Abgeordneten zeichnen zu können.”
Auch bei der Umsetzung hätte man sich ein bisschen mehr Mühe geben können. Wer mich adoptieren wollte, der erfuhr anfänglich auf der Seite, dass ich Twitter nicht nutze. Naja. Nun hatte ich mir so einen schönen Schlusssatz für diesen Text überlegt: „Ich mecker hier nur rum, weil mein Ego tief gekränkt ist. Mich hat nämlich noch niemand adoptieren wollen. Die Aktion an sich finde ich insgeheim natürlich doch cool.“ Aber gerade habe ich gesehen, dass ich inzwischen einen Paten habe. Na Hurra! Der hat sich allerdings bis heute nicht bei mir gemeldet. Wenn er das tut, dann erkläre ich ihm gerne das mit diesem Internet. Ist nämlich eine ganz tolle Sache. Hoffentlich hat er wenigstens ein Fax.