Charlie RutzDa ich mich stark für die Themen „Bürgerbeteiligung“ und „Liquid Democracy“ interessiere, sticht für mich ein Ereignis in Island besonders hervor, bei dem auch das Internet eine wesentliche Rolle spielte.

Anders als hierzulande, wo die Politik noch vermehrt auf „Bürgerdialoge“ setzt, nach dem Motto: „Mitreden, aber nicht mitentscheiden“, ging der Inselstaat neue Wege. Ein direkt gewählter Bürgerkonvent (= Verfassungsrat) erarbeitete dort via Crowdsourcing eine neue Verfassung – im Konsensprinzip, öffentlich tagend und unter Einbeziehung sozialer Medien wie Facebook, Twitter und Youtube. Im Oktober fand dazu schließlich ein landesweites Referendum statt. Bei einer Wahlbeteiligung von immerhin 48,9 Prozent gab es fast eine Zweidrittelmehrheit (66,3 Prozent) für den Verfassungsentwurf. Einziger Haken: Das Parlament muss nächstes Jahr abschließend darüber abstimmen. Der aufwendige Prozess der Verfassungsgebung und das deutliche Votum sollten aber dazu beitragen, dass der Wille der Bürger respektiert wird. Dieses „Demokratieexperiment“ geht in Richtung meiner Vorstellungen eines politischen Gemeinwesens, das jeder Bürger per verbindlicher direktdemokratischer Verfahren und digitaler Beteiligungstools aktiv mitgestalten kann. Daneben hat mich aus netzpolitischer Perspektive im Jahr 2012 besonders gefreut, dass das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen ACTA gerade auch dank der Proteste und Aktionen einer gut organisierten und in der digitalen Welt vernetzten zivilgesellschaftlichen Bewegung vom EU-Parlament zu den Akten gelegt worden ist!

Charlie Rutz absolvierte ein Magisterstudium in Philosophie und Geschichte an der HU Berlin, war zwei Jahre lang für politik-digital.de tätig und ist derzeit freier Redakteur/Journalist. Beim Mehr Demokratie e.V. ist er verantwortlicher Redakteur für Internet und Social Media. Außerdem betreibt er den gesellschaftskritischen Blog „Der Freidenker“.