(Interview) Die GEMA will Gebühren von YouTube. Universal Music verklagt MySpace. Politik-digital.de wollte wissen, was jemand davon hält, der selbst tief in diesem Business verwurzelt ist. Im Interview spricht Tim Renner, Gründer des Labels
Motor und Ex-Chef von
Universal, über die Musikbranche in Zeiten von Web 2.0.

 

„Wir haben einen Auftrag“ ist das Motto der Motor-Gruppe. Welchen?

Wir wollen spannende Musik zu den Menschen bringen. Unsere Musik soll nicht einfach nur im Hintergrund laufen und möglichst nicht stören. Wir wählen Stücke aus, die etwas Reizvolles, Neues bieten.

MotorFM und MotorTV bieten gerade unbekannten Independent-Künstlern eine Plattform. Wie viele davon sind bei der GEMA gemeldet?

Die meisten. Sich bei der GEMA anzumelden, ist heute nicht mehr so schwer. Künstler benötigen dazu keine Musikverlage. Ohne die Verträge, die die GEMA mit Sendeanstalten und Veranstaltern abgeschlossen hat und wahrnimmt, würden Künstler kaum an die Tantiemen für die Aufführung ihrer Stücke gelangen.

Hat die GEMA nicht eigentlich längst ausgedient?

Nicht wirklich. In Zeiten, in denen Musik überall aufgeführt werden kann, ist die GEMA für die Künstler sehr wichtig, um Absprachen zu treffen und die Gebühren einzusammeln. Bei CD-Produktion und -Verkauf sowie bei Downloads von Stücken aus dem Internet ist sie weit weniger bedeutend. Hier wäre, wie in anderen Ländern üblich, mehr Wettbewerb gefragt. Dann würde die GEMA sicher auch ihre Bearbeitungsgebühren stärker hinterfragen. Eine furchtbare Vorstellung wäre jedoch, die Künstler würden sich alle selbst vertreten wollen. Besonders die Arbeit im Radio würde das erschweren, also auch für uns bei Motor FM, denn wir müssten dann mit jedem einzelnen Künstler neue Verträge oder Lizenzvereinbarungen ausmachen.

Die GEMA fordert von YouTube Gebühren, Universal Music, wo Sie zuletzt Geschäftsführer waren, verklagt MySpace. Also ist die GEMA im Recht und die großen Labels nicht?

Urheberrechte müssen vergütet werden, wenn es zur Aufführung kommt. Auch bei YouTube. Von MySpace Geld dafür zu verlangen, dass die eigenen Künstler sich dort eingestellt haben, ist aber ein wenig eigenwillig. In einer Zeit, in der die großen Plattenfirmen sehr unter Druck stehen, riecht das nach Stellvertreterkrieg. Fakt ist, dass kleine Bands MySpace nutzen, um die Plattenfirmen zu umgehen. Und für große Künstler wie die Toten Hosen, Xavier Naidoo oder die Ärzte sind Plattenfirmen sowieso nur noch Vertriebsorganisationen. Die GEMA vertritt Autoren, der kann es egal sein, ob Plattenfirmen partiell überflüssig werden oder nicht.

Was steckt dahinter?

Bei einem Musikstück ist das so: Man muss den Autor vom Interpreten trennen, das ist nicht immer die gleiche Person. Der Autor verdient pro Aufführung seines Stückes und einsammeln tut das Geld für ihn die GEMA. Der Interpret verdient fast ausschließlich durch den Verkauf. Die Plattenfirma, sofern er eine hat, sorgt für die Produktion und vertritt somit die Interessen des Interpreten. Sie hält das Leistungsschutzrecht an der Aufnahme. Leistungsschutz ist verglichen mit Urheberrecht ein Sekundärrecht, daher lassen sich die Ansprüche der GEMA, auch im Internet, immer einfacher begründen.

Sie sind aber nicht von der GEMA, sondern gehören zur Branche der Plattenfirmen, haben selbst ein neues Label gegründet. Und Sie finden die Forderungen an MySpace und Co. nicht gut?

Generell habe ich Verständnis dafür, aber es führt auch zu einem Problem: Diese Praxis kann Innovationen verhindern. Denn eigentlich ist es für die Plattenfirmen hoch erfreulich, dass es die Neuen Medien gibt, sie bieten neue Kanäle, neue Vertriebs- und Verbreitungswege. Bei den „traditionellen" Medien hat man es nach wie vor mit einer Bottleneck-Situation zu tun. Da muss man nur einmal Radio hören oder den Fernseher einschalten. Auf MTV und VIVA kommen kaum neue Songs von neuen Interpreten unter.

Portale wie MySpace und YouTube zeigen, dass es auch anders geht, Sie bieten mit "Du auf Motor" ähnliches. Warum sind diese Web 2.0-Formate für die Musikbranche heute überhaupt so elementar?

Das Web 2.0 definiert die Rolle der Musikwirtschaft neu: Dadurch, dass Bands erste Schritte selbst gehen können, gewinnen sie gegenüber dem industriellen Komplex von Vornherein an Souveränität. Und indem ein größeres Angebot entsteht, entwickelt sich auch der Markt musikalisch vielschichtiger.

Was halten Sie von der Idee einer Kulturflatrate? Wäre sie eine realistische Alternative zur GEMA?

Wichtig ist hier, dass der Staat eine klare Linie vorgibt. Entweder setzt sich eine klare Open-Source-Logik durch oder die Urherber- und Leistungsschutzrechte werden konsequent durchgesetzt. Ein Mittelweg ist keine Möglichkeit. Im Sinne einer so genannten Kulturflatrate könnte eine Umwandlung der GEZ-Gebühr zur Mediensteuer ein erster Schritt sein. Mit einer solchen zur Mediensteuer gewandelten GEZ-Gebühr würden einige Milliarden Euro zusammenkommen: Bands könnten leichter überleben, wenn daraus nicht nur der staatliche Bildungsauftrags-Rundfunk gespeist werden würde. Ohne eine solche Regelung gingen jedoch alle Open-Source-Gedanken in erster Linie zu Lasten der Künstler.