Eindrücke vom ICANN-Meeting in Marina del Rey
Wolfgang Kleinwächter ist Professor am Department for Media and Information Sciences der Universität Aarhus in Dänemark und Direktor des NETCOM Instituts der Medienstadt Leipzig e.V. Zuvor lehrte er Kommunikations- und Medienwissenschaften in Europa und den USA. Von 1994 bis 1997 war er Koordinator der Sächsischen Informationsinitiative und leitete das Management Committee der Inter-Regional Information Society Initiative der Europäischen Kommission. Seit Mitte der 90er Jahre verfolgt er die Entwicklung des Domain Name Systems und
ICANN, zudem beteiligt er sich selbst aktiv an diesem Prozess. Beim letzten ICANN-Treffen in Marina del Rey, 13. bis 16. November, war Prof. Kleinwächter als Beobachter anwesend. Direkt nach seiner Rückkehr schilderte er politik-digital seine Eindrücke.
politik-digital: Hatten Sie den Eindruck, dass die Direktoren sich bei den Entscheidungen für die neuen Top-Level-Domains (TLD) schnell einig waren oder waren größere Meinungsunterschiede zu beobachten?
Wolfgang Kleinwächter: Es war ein komplizierter, mühevoller und manchmal auch quälender Prozess, der allerdings in seiner Endphase ziemlich offen und transparent war. Der am Schluss erreichte Konsens basiert auf zum Teil sehr weitgehenden Meinnungsunterschieden zwischen einzelnen Board Direktoren. So setzte sich z.B. Esther Dyson erfolglos for Name.Space und .union ein, das Engagement einiger Direktoren für .geo scheiterte an Jun Murai. Die salomonische Lösung der Nicht-Vergabe von .web ist vor allem Vint Cerf zu verdanken. Insgesamt aber hat der Board demonstriert, das er Konsens herstellen kann und handlungsfähig ist.
politik-digital: Was sagen sie zu dem Vorwurf, die neuen Domains seien Lobby-lastig?
Wolfgang Kleinwächter: Welche Entscheidung auch immer der Board getroffen hätte, er wäre für eine einseitige Parteinahme kritisiert worden. Der Board hat zumindestens nach Aussen versucht deutlich zu machen, dass er neutral und unabhängig ist. Vier Direktoren, die in mehr indirekter Art mit einigen Vorschlägen in Verbindung gebracht worden waren, nahmen an der Diskussion und der Abstimmung nicht teil. Die Tatsache, dass NSI eine starke Rolle bei Affilias spielt, ist in der Diskussion der Direktoren zumindest öffentlich kritisch vermerkt worden. Wäre der Vorschlag technisch oder wirtschaftlich schlecht gewesen, wäre er sicher durchgefallen, auch mit NSI.
politik-digital: Was für Argumente wurden gegen die Einführung der Domains .kids und .xxx eingebracht?
Wolfgang Kleinwächter: Ein wesentliches Argument war, dass eine solche Domain mehr verspricht als dass sie halten kann. Wer will die Inhalte kontrollieren? Was fällt unter Kids? Welchen Porn-Site Betreiber kriegt man von .com (oder .nu) auf .xxx und wie? Die Domains hätten eine Problemlösung vergegaukelt, dabei aber mehr Probleme geschaffen.
politik-digital: Warum fielen Domains, denen im Vorfeld gute Chancen eingräumt wurden – wie .geo und .health – bei ICANN durch?
Wolfgang Kleinwächter: .geo war bis zuletzt noch “im Korb”, die Neuartigkeit des Konzepts und die etwas unklare Verwendung liess dann aber einige Board Mitglieder zögern. Mein Eindruck ist, dass hier noch weitere Prüfung notwendig ist, dass aber .geo ein guter Kandidat für Runde 2 ist. .health scheiterte nicht zuletzt auch an den Bedenken, die das Governmental Advisory Committee geässert hatte. Das GAC hatte am Vortag festgestellt, das bei einer Zuordnung einer TLD zu einer zwischenstaatlichen Organisation die Mitgliedstaaten gehört werden müssten. Wie hätte das ICANN machen sollen? Der WHO steht das GAC offen, sie hat aber bislang nicht daran teilgenommen. Das trifft auch auf .post zu, die von der Universal Postal Union beantragt war. Als zu verfrüht wurden auch die Vorschlage für eine Verquickung des Domain Name Systems mit den Telephon-Nummern Systemen (.tel, .mobile etc.) angesehen. Auch hier hatte eine zwischenstaatliche UN-Spezialorganisation, die ITU, blockiert.
politik-digital: Glauben Sie, dass sich das www. mit den neuen TLD strukturell verbessert und übersichtlicher wird?
Wolfgang Kleinwächter: Mittelfristig ja. Ob Verbesserungen eintreten wird (a) von der konkreten Ausgestaltung der Verträge abhängen (wie werden “Charters” ausgestaltet z.B.) und (b) von der Nutzerakzeptanz.
politik-digital: Verändert sich die Qualität und inhaltliche Ausrichtung des Netzes oder haben die TLD rein quantitative Auswirkungen?
Wolfgang Kleinwächter: Langfristig können sich um generische TLDs virtuelle Gemeinschaften im globalen Maßstab entwickeln, die eine eigene Idendität haben. Der Prozess ist zwar nicht mit der Herausbildung von Nationen im Mittelalter zu vergleichen, der zur Bildung von nationalstaatlichen Gemeinschaften führte, sehr konkret ausgestaltete Sach-generische TLDs können aber durchaus eine gewisse Bindewirkung mit selbst einer kulturellen Dimension erzeugen zwischen den beteiligten Individün oder Institutionen führen.
politik-digital: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Wolfgang Kleinwächter führte Carolin Welzel