Ein „Virtual March“ hat in den USA die Leitungen im Weissen Haus lahm gelegt. In Deutschland bestehen Vorbehalte gegen Online-Protestformen.
Am 15. Februar hat die Friedensbewegung über die ganze Welt verteilt 11,5 Millionen Menschen gegen den Krieg mobilisiert. Der Protest auf der Straße wäre ohne Internet kaum möglich gewesen. Die Friedensgruppen stecken virtuell die Köpfe zusammen, stellen Informationen ins Netz und mobilisieren online.
Als Aktionsmedium nutzt die Friedensbewegung das Internet auch, aber eher selten. Geschehen ist das am 26. Februar in den USA mit der Aktion “Virtual March”. Gut organisiert, zur verabredeten Zeit, legten Friedensaktivisten durch massenhaft eMails, Telefonanrufe und Faxe die Sekretariate des Senats und des Weißen Hauses lahm – ein medienwirksamer Protest. Die Aktion wurde von
www.moveon.org koordiniert und u. a. von Greenpeace, Pax Christi und dem National Council of Churches unterstützt. Tom Andrews, ehemaliger Kongress-Abgeordneter und Mit-Initiator des
Virtual March, ist von der neuen Protestform überzeugt: „We knew that so many people who don’t participate in demonstrations would take the opportunity, by letting their fingers do the marching, to send a clear message to their Senators and the President.” Protest aus dem Schreibtischstuhl – die moderne Sitzblockade spart Zeit, verhindert kalte Füße und ist dennoch effektiv.
Ist ein Mausklick zu wenig?
Manfred Stenner von der
Friedenskooperative begrüßt solche Aktionen, begleitet sie aber mit Skepsis. Eigentlich, so Stenner, sei es ihm lieber, die Leute gingen auf die Straße. „Ein Mausklick ist mir zu wenig“, erklärt er. In Deutschland gehört die Friedenskooperative zu den größten Netzwerken der Friedensbewegung und wie die übrigen Organisationen konzentriert sich das Netzwerk eher auf den
Straßenprotest. Zwar gibt es bei der Friedenskooperative die Idee, einen Virtual March zu organisieren – bei dem die britischen und US-amerikanischen Militärstützpunkte in Deutschland mit eMails und Anrufen lahm gelegt werden sollen. Doch meistens, so Stenner, machen Unterstützer solche Vorschläge in der Annahme, die Friedenskooperative würde so etwas umsetzen. Dazu fehlen aber die Kapazitäten und das Know-how. Auch
attac Deutschland hat keine Aktionen geplant, die nur im Netz ablaufen.
Bleiben noch die Experten des Internets: Der
Chaos Computer Club Deutschland (CCC) lässt verlauten, man beschäftige sich momentan mit anderen Themen als dem Irak-Krieg. Hacks gegen den Krieg sind nicht geplant. Allerdings sind Hacks meistens spontane Angelegenheiten. „Wenn eine Seite offen ist, hackt man sie und macht es schnell öffentlich“, erklärt Lars Weiler vom CCC. In den USA geraten die Regierungsseiten derzeit schon ins
Visier von einzelnen Computerfreaks und ganzen Hackergruppen.
Hindernisse der Online-Petitionen
Wer kein Hacker ist, kann sich im Netz bei kleinen Projekten engagieren. Auf den zahlreichen
Webseiten gegen den Krieg finden sich
Aufrufe, eMails an den Bundeskanzler und den Außenminister zu schicken oder die Leitungen der US-Botschaft mit eMails, Faxen und Anrufen zu verstopfen. Abgestimmte Aktionen, die von mehreren Organisationen getragen werden, gibt es kaum. Deshalb werden die Aktionen selten außerhalb des Internets bekannt.
Auch die Adressaten der eMail-Petitionen können den Friedensorganisationen einen Strich durch die Rechnung machen:
Amnesty International Deutschland hatte eigentlich eine eMail-Petition in den nächsten Tagen geplant. Aber dann kamen schlechen Nachrichten von
Amnesty International Großbritannien. Die Kollegen aus London hatten eine
Petitionsvorlage ins Netz gestellt, die der User ausfüllen und direkt an Tony Blair schicken sollte. Doch der britische Premier hatte kurzerhand seine eMail-Adresse geändert und die Mails gingen ins Leere. Daraufhin hat Amnesty Deutschland die Online-Petition abgeblasen. “Da die eMail-Adressen der Regierungen so leicht zu ändern sind, haben wir uns für eine klassische Petition mit Fax und Brief entschieden”, sagte Annette Hartmetz, Koordinatorin von Kampagnen und Aktionen bei Amnesty International Deutschland.
Petitionen mit Joschkas und Gerhards
Ein weiteres Hindernis für wirksame Netzaktionen sind die User selbst. Es gibt einige erfolgreiche Online-Petitionen. Doch die Skepsis ist größer als bei Offline-Petitionen: Viele Protestler sind nicht bereit, Namen und persönliche Daten im Netz preiszugeben. Klas Roggenkamp, der mit
convince_me eine Mischung aus Debatten- und Petitonsseite online gestellt hat, beklagt: „Die Kommentare, die wir bekommen, sind durchweg positiv, begeistert, voll der Unterstützung. Aber das Prinzip der Seite, die abgewandelte Form einer Online-Petition, scheint den meisten Probleme zu bereiten.“ Die Herausgabe der eMail-Adresse ist für viele tabu.
Die Unlust der Friedensbewegung das Internet als Protestmedium zu nutzen, liegt auch an der gebeutelten Glaubwürdigkeit von eMail-Aktionen. In den vergangen Wochen ist eine Welle von
Kettenmails durch das Netz geschwemmt, die angeblich als Petition zur UNO gelangen sollten. Dabei haben sich dutzendweise Joschka Fischers, Gerhard Schröders und George Bushs eingetragen. Die Euphorie war kurz, die Verwirrung groß. Am Ende sind die eMails in die Papierkörbe der User gesegelt und haben nur noch für Kopfschütteln gesorgt. Die „Kettenbriefgeschichten“, sagt Manfred Stenner verärgert, seien „größtenteils Enten“ gewesen.
Erschienen am 20.3.2003
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