Die Friedensbewegung profitiert vom Medien-Mix:
Straßenproteste werden im Internet organisiert, doch der persönliche Kontakt zählt.
Virtuelle Koordination
Den Krieg hat die Friedensbewegung nicht verhindert. Doch seit Wochen formiert sie sich in neuer Stärke. Das Internet macht’s möglich. Dort arbeiten große Organisationen und kleinste Gruppen eng zusammen: Wer will, stellt unter
www.tag-x.de lokale Aktionen zum Kriegsbeginn ein und damit in einen größeren Zusammenhang. Vom
Aufruf an Journalisten, am Tag-X für 24 Stunden ihre Websites zu dunkeln bis zur Terminvereinbarung zu regionalen Massenprotesten zeigt sich die virtuelle Friedensfront gewappnet. Unter den verschiedensten Mottos treffen sich Bürger quer durch die Republik zu Kundgebungen, Menschenketten und Unterschriftensammlungen. Der Hannoveraner Motorradclub “Kuhle Wampe” plant eine Staffette gegen den Irakkrieg, in Berlin stehen seit geraumer Zeit “Inspektion” und Belagerung der US-Botschaft im Terminkalender und die Bürger Hamms rufen jeden Freitag zur Mahnwache in der Fußgängerzone auf. Übers Internet lassen sich Ankündigungen schnell und billig kommunizieren.
Mobilisierung durchs WWW enorm vereinfacht
Seit 1989 haben sich die Bedingungen für friedenspolitische Arbeit “von unten” verändert. Laura von Wimmersperg, seit 20 Jahren Aktivistin in der
Friedenskooperative und der Berliner Friedenskoordination, zum 15. Februar: “Die operativen Möglichkeiten haben sich durchs Internet erheblich verbessert. Neben den üblichen Anschreiben sind in unserer
friko-Mail rund 250 Adressen von Organisatoren im Verteiler .“Allerdings sagt von Wimmersperg auch: “Persönlicher Kontakt und das Gespräch bleiben trotzdem außerordentlich wichtig.” Doch das WWW sei eine inzwischen unverzichtbare und preisgünstige Brücke zur Öffentlichkeit, fehlen doch den meisten NGOs die Mittel für aufwendige TV-Spots oder Anzeigen in der Presse.
Reinhard J. Voß von
Pax Christi schlägt in eine ähnliche Kerbe. Über den 15. Februar sagt er: “Ich hatte den Eindruck, es brauche kaum noch öffentliche Plakate. Netzwerkstrukturen haben eine eigene Dynamik. Aber sie sind notwendig gekoppelt an ein funktionierendes Netzwerk von Organisationen und Personen.” Außerdem habe sich im Gegensatz zur Friedensbewegung der 80er Jahre die Mobilisierung enorm vereinfacht. In puncto Vernetzung mit internationalen NGOs sei das Internet für Pax Christi inzwischen unabdingbar.
Auch die Globalisierungskritiker von
Attac gelten mithin als treibende Kraft der Antikriegsbewegung. Vor allem in Internet-Foren, dem wichtigsten Kommunikationsmedium bei Attac, toben regelmäßig heikle Debatten zu Globalisierung, Antisemitismus und dem Nahostkonflikt. Vor allem in der Organisation von Anreise via Bus oder Mitfahrbörse, Übernachtungen oder Koordination der Treffpunkte von Großdemonstrationen, Blockaden oder Streiks erweist sich das WWW als unverzichtbar, wie der 15. Februar oder die Lichterkette in Berlin gezeigt haben. “Vor den Demos hatten wir rund 10.000 Zugriffe pro Tag. Als besonders praktisch erwies sich dabei die interaktive Bettenbörse. Wir hatten rund 150 Aktive im Verteiler, die direkt in Planung und Koordination eingebunden waren. Unsere Mailinglisten sind Gold wert”, sagt Katrin Scherer von der Attac-Vorbereitungsgruppe 15. Februrar.
eMail: zu schnelle Variante des Protests?
Allerdings sei das Internet als Informationsquelle auch nicht das non plus ultra, da es viele Non-Liner ausgrenze. Zudem sagt Katrin Scherer, “sind wir der Meinung, dass anonyme eMails eine viel zu schnelle Variante des Protests darstellen. Der Rezipient setzt sich meist nicht mehr intensiv mit der Thematik auseinander. Ich glaube, dass Menschen, die bewusst zur Demonstration gehen, sich aktiver einbringen.”
Die Aktion
Resist, die zivilen Ungehorsam und friedlichen Widerstand propagiert, geht auf die Initiative von Attac-Gründungsmitgliedern zurück. Der Pressseprecher der Kampagne, Christoph Bautz, ist vom hohen Nutzwert des Internets überzeugt: “Mit diesem zentralen Medium haben wir eine hohe Usage. Via Info-Letters und eMail erreichen wir einen hohen Mobilisierungsgrad. Wir beschicken damit auch andere Organisationen und die Zusammenarbeit klappt einwandfrei. Die Leute sehen, was bundesweit passiert und trotzdem kommen regionale Aktionen im Netz nicht zu kurz. Die Friedensbewegung ist dadurch ohne Zweifel breiter geworden. Es ist ein ziemliches Novum, dass die Massen schon bevor die Bomben fallen mobilisiert werden können.” Entscheidend bleibe bis auf weiteres dennoch der richtige Mix aus neuen und alten Medien. Letztere gewännen gerade in der Kombination mit den Neuen an Spannung. Bautz: “Wir geben ohnehin schon sehr viel Geld für unsere Kampagnen aus, da hilft uns dann etwa der E-Mail-Verteiler von Attac mit über 25.000 Adressen enorm.”
Erschienen am 20.3.2003
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