Vorratsdatenspeicherung, Funkzellenabfrage oder Staatstrojaner – Ulf Buermeyer ist ein gefragter Experte, wenn es um staatliche Überwachung der Bevölkerung zur Kriminalitätsbekämpfung geht. Der technikversierte Jurist setzt sich für Freiheitsrechte und eine digitale Privatsphäre ein, wenn er diese bedroht sieht.

Mit Leidenschaft schaltet er sich in Debatten um den Schutz der Privatsphäre im Internet ein und erläutert die Hintergründe – zu erleben bei Vorträgen, in Podcasts, vor der Fernsehkamera oder als Verfasser des Berliner Datenschutzgesetzes für den Justizvollzug. Der Berliner Richter Ulf Buermeyer  ist Mitglied im Chaos Computer Club und hält regelmäßig auf dem Jahreskongress des Clubs Vorträge zum Thema Recht und Internet. Auch in der Digitalen Gesellschaft e.V. engagiert der Mittdreißiger sich bei juristischen Themen. So schrieb er zum Beispiel den Gesetzentwurf der DigiGes zur Haftungsfreistellung der Besitzer von offenen WLAN-Netzen. Buermeyer gelingt es, auch komplizierte juristische Zusammenhänge verständlich zu machen, so wurde er einmal als „Ranga Yogeshwar der Netzpolitik“ bezeichnet.

Der parteilose Jurist ist gut vernetzt und nutzt eine Vielzahl von Plattformen, um für seine Ideen zu werben. Buermeyer schätzt insbesondere die Überparteilichkeit der DigiGes, sucht aber auch das Gespräch mit parteigebundenen Gesprächsrunden. Zuletzt reiste er Anfang August als Mitglied einer netzpolitischen Delegation der Grünen-nahen Heinrich Böll-Stiftung zu Hintergrundgesprächen in die USA. Auch beim Arbeitskreis „Digitale Gesellschaft“ der Berliner SPD ist er häufig anzutreffen.

Als Richter in einer Schwurgerichtskammer am Landgericht Berlin verhandelt Buermeyer hauptberuflich Mord und Totschlag. Am Strafrecht interessiere ihn vor allem die unmittelbare Betroffenheit der Menschen, erklärt Ulf Buermeyer im Gespräch. „Es gibt kaum einen Bereich, in dem der Mensch dem Staat so ausgeliefert ist wie in einem Strafverfahren. Wenn sich jemand wirklich strafbar gemacht hat, mag es berechtigt sein, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und die Gerichte sein Leben durcheinanderbringen können, aber die Kollateralschäden können enorm sein, falls jemand zu Unrecht beschuldigt wurde“, stellt er fest. Dort, wo der Mensch besonders angreifbar ist, möchte er die freiheitliche Grundordnung unserer Gesellschaft sicherstellen. Buermeyer verfolgt den Ansatz, dass dem Einzelnen ein Bereich zusteht, der frei von staatlichen Eingriffen bleibt. Diesen urliberalen Grundgedanken grenzt er ausdrücklich von wirtschafts- oder neoliberalen Überzeugungen ab.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit promoviert er zum Datenschutz im Strafvollzug und beschäftigt sich hier auch mit den unterschiedlichen Ansätzen der informationellen Selbstbestimmung, wie sie das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, und der „privacy“, wie sie in den Vereinigten Staaten diskutiert wird. Die amerikanische Datenschutzkonzeption beziehe sich in erster Linie auf den Schutz des Einzelnen vor dem potenziell übergriffigen Staat. Die deutsche Konzeption hingegen ziele auf den Schutz der Privatsphäre vor Eingriffen jeglicher Art ab, also sowohl durch den Staat als auch durch Private wie etwa Unternehmen. Dieser Unterschied wirke sich natürlich auf die Gesetzgebung aus, erklärt Buermeyer.

Angemessenheit auch bei der Strafverfolgung im Internet 

Buermeyer sieht im Internet eher die Freiheit des Einzelnen als dessen Sicherheit in Gefahr. Dank einer gewissen Medienkompetenz sei er selbst noch nie Opfer einer Straftat im Internet geworden, erzählt er – insofern sei Aufklärung über sinnvollen Selbstschutz wesentlich wirksamer als Strafverfolgung, die im Internet stets sehr schnell an ihre Grenzen stoße. Vehement wehrt er sich daher gegen die Forderung nach mehr staatlicher Überwachung im Internet zur Kriminalitätsbekämpfung, zum Beispiel durch die Vorratsdatenspeicherung.

Die politische Debatte, die im Moment geführt werde, sei jedoch geprägt von der Gegenüberstellung „Freiheit versus Sicherheitsversprechen“. „Diese Sicherheitsversprechen klingen sehr intuitiv. Aber ob ein freiheitseinschränkendes Gesetz wirklich mehr Sicherheit hervorbringt, wird hinterher meist nicht evaluiert“, beklagt der Jurist. Nur bei der Vorratsdatenspeicherung, die vom Bundesverfassungsgericht nach der Einführung für verfassungswidrig erklärt und ausgesetzt wurde, liege der Fall anders: Anhand der Statistiken über die Aufklärungsrate von Kriminalfällen könne man die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung analysieren. Das Ergebnis sei, dass die Vorratsdatenspeicherung keine merklichen Verbesserungen bei der Kriminalitätsbekämpfung herbeiführt, erklärt der gebürtige Osnabrücker.

Gegen ein friedliches Internet „wie die Wiese auf dem Land“

An dieser Stelle werde, deutlich, dass das Thema Internet noch nicht im allgemeinen politischen Diskurs angekommen sei. In anderen Politikbereichen würden nicht nur erstrebenswerte Szenarien gezeichnet, sondern auch der Preis diskutiert, den man zum Erreichen des Ziels zahlen müsse, so Buermeyer. Einige Sicherheitspolitiker hingegen würden Ziele verkünden, ohne deren Preis zu thematisieren. Sie wollen, so der Jurist, ein Internet, das so friedlich „wie die Wiese auf dem Lande“ sei. Dabei ignorierten sie jedoch die extrem autoritären Maßnahmen, mit denen diese Idylle – wenn überhaupt – erreichbar sei. Wer zum Beispiel der Meinung ist, der Staat solle den Versand von Spam-E-Mails durch virenverseuchte Rechner eindämmen, der müsse sich darüber klar sein, dass das nur zu erreichen sei, wenn jeder Computer nach dem „walled garden“-Prinzip programmiert wäre: Nur noch vom Hersteller autorisierte Programme dürften dann auf dem PC laufen. Der Bürger könnte in diesem Fall nicht mehr frei entscheiden, welche Programme er benutzen kann. Und selbst damit wäre noch nicht garantiert, dass das Spam-Aufkommen tatsächlich reduziert werden kann.

Buermeyer selbst findet „das einseitige Gerede von den Vorteilen staatlicher Reglementierung gar nicht so interessant“. Viel wichtiger sei die „Abwägung zwischen messbaren Ergebnissen und dem Preis für diese Ergebnisse“. Buermeyer fällt da unter seinen Fachkollegen als einer der wenigen auf, der das technische Verständnis besitzt, um adäquat über die Verhältnismäßigkeit nachzudenken

Er selbst beschäftigt sich bereits seit Kindertagen mit Computertechnik. Der gebürtige Niedersachse wuchs im Osnabrücker Land auf und bekam seinen ersten Computer zum zehnten Geburtstag geschenkt. Neben Computerspielen begann er rasch das Programmieren und „fuchste“ sich in die Technik ein. Während seines Studiums war er fünf Jahre lang Netzwerkadministrator an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig. Heute interessiert er sich nur noch privat für das Programmieren.

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