Stephan Urbach ist Pirat, Datenfreund und Kommunikationshelfer im Arabischen Frühling. Vor allem aber will der Berliner Netzaktivist Freiheit – für Menschen, Computer und Daten. Ein Porträt.
Stephan Urbach ist derzeit eine gefragter Gesprächspartner. Nicht etwa weil er als Pirat unter Piraten haust und einer seiner Mitbewohner bald ins Berliner Parlament einziehen wird. Für Aufsehen sorgte er vielmehr als “Revolutionshelfer” im Arabischen Frühling. Als das Mubarak-Regime im Januar dieses Jahres Ägypten vom Netz nahm, solidarisierten sich weltweit Internetnutzer, um die isolierten Aktivisten wieder zurück ins Netz zu holen. Mit dabei auch das Kollektiv Telecomix, in dem Stephan Urbach seit 2009 aktiv ist. Er und andere Telecomix-Agenten, wie sich die Netzaktivisten selbst nennen, bauten via Telefon oder Analog-Modems alternative Verbindungen auf und erhielten schon nach kurzer Zeit Nachrichten aus Ägypten. Telecomix sei so etwas wie eine Werkstatt für das globale Internet. Wenn irgendwo die freie Kommunikation unterbrochen wird, werde man aktiv. “Freiheit ist der Normalzustand, den es wiederherzustellen gilt”, findet der 31-Jährige – und meint damit vor allem die Freiheit zu kommunizieren. Er ist der Überzeugung, dass der Freiheitsgrad einer Gesellschaft am Freiheitsgrad ihrer Kommunikationsnetze gemessen werden soll.
Seit dem Sommer konzentrieren sich Urbach und seine Kollegen, die unter anderem aus Schweden und Frankreich stammen, auf Syrien. Die Auseinandersetzung zwischen oppositionellen Kräften und dem autoritärem Regime hat dort bislang mehr als 3.000 Menschenleben gefordert. Berichte aus unabhängigen Quellen gibt es wenige, denn das Regime zensiert und überwacht das Internet. Die Kommunikationshelfer von Telecomix unterstützen oppositionelle Stimmen, indem sie über Verschlüsselungstechniken informieren, Verbindungen zu sicheren IRC-Chats und Proxy-Servern anbieten und die Nachrichten aus Syrien im Netz verbreiten. Infolge der Ereignisse in Syrien ist der arbeitslose Urbach in den vergangenen Monaten zum Vollzeitaktivisten geworden. Ein Hacker sei er aber nicht: “Programmieren ist für mich harte, körperliche Arbeit”. Stattdessen redet er: mit Aktivisten aus Syrien, mit den anderen Mitgliedern des Netzwerkes, mit Journalisten, die Kontakte oder Informationen wollen. Was ihn dabei antreibt, sind die Geschichten, die er zu verbreiten hilft. Wie die von Muhammad, einem 20-jährigen Freiheitskämpfer aus Syrien, dem er ein Interview in der Zeit vermittelte. Sein größtes Erfolgserlebnis sei aber eine E-Mail gewesen. Darin bedankte sich ein junger Ägypter, dass er dank der Unterstützung von Telecomix endlich seinen Eltern schreiben konnte. Zumindest teilweise erfolgreich war auch die Veröffentlichung von Logdateien syrischer Router durch Telecomix. Diese weisen angeblich nach, dass in Syrien Überwachungssoftware der US-amerikanischen Firma bluecoat eingesetz wurde. Die Forderung Urbachs nach einem “Exportverbot für Überwachungstechnologie”, fand jedoch wenig Unterstützung.
Urbachs Arbeitsplatz ist eine chaotische Wohnküche in Berlin-Friedrichshain. Während des Gesprächs blickt er immer wieder auf sein Macbook. Im Minutentakt kommen Nachrichten via IRC-Chat, Twitter, Jabber oder das Mail-Programm herein: Kommunikation auf allen Kanälen. Dabei mag Stephan Urbach Menschen eigentlich überhaupt nicht. Deshalb wäre er damals auch am liebsten in seinem Kellerzimmer im hessischen Hanau vor dem Bildschirm sitzen geblieben. Aber die Politik hat ihn herausgetrieben – zum Glück, möchte man fast sagen. Die ersten Netzsperren in den 1990er Jahren und später die restriktiven Anti-Terror-Gesetze haben ihn wütend gemacht, ihn politisiert. Die logische Konsequenz: Pirat werden. “Alle anderen waren zu verkrustet. Und wir hatten die Chance, etwas Neues zu machen, die Partei von Anfang an zu prägen”.
Wütend ist Urbach immer noch, über staatliche Überwachung und auf die zunehmend paternalistische Politik: “Der Staat kann uns nicht alles verbieten. Wir müssen Fehler machen dürfen!” Statt neue Gesetze zu veranlassen, die den einzelnen entmündigen, solle die Politik lieber mehr Geld in Bildung investieren. Und natürlich in den weiteren Ausbau der Breitbandverbindung: “Es kann doch nicht sein, dass wir mitten in Berlin nur eine 3000er-Verbindung haben”.
Daten sind essentiell in Urbachs Welt. Daten seien frei, gehören keinem, und nichts und niemand dürfe den freien Fluss der Daten unterbrechen, beschreibt der Datenliebhaber seine Philosophie. Obwohl Urbach bekennendermaßen nicht viel von Datenschutz hält, will er mit der Post-Privacy-Bewegung und der datenschutzkritischen Spackeria nichts zu tun haben. “Alles, was man ins Netz stellt, ist öffentlich, Privat ist, was im Kopf ist. Sobald die Daten im Netz sind, gehören sie nicht mehr dir!”. Sensible Daten hätten deshalb grundsätzlich nichts im Netz zu suchen – genausowenig wie die Server von Versicherungen oder Krankenhäusern. Und wer bei Amazon einkauft und dort seine Kreditkartennummer hinterlässt? Selbst schuld. Mehr informelle Selbstbestimmung sei nötig, dazu fehle es aber vor allem vielen jungen Menschen noch an Wissen und Kompetenz.
Wo er die Bewegung und die Piratenpartei in zehn Jahren sieht? “Entweder, wir werden es großflächig verkacken und so wie alle anderen werden, oder wir schaffen es, Transparenz zu leben und die Menschen mit einzubeziehen”. Sinn und Zweck der Piratenpartei sei es auch, ihr technisches Elitenwissen zu teilen und anderen zugänglich zu machen. Daran seien die Nerds und Hacker bisher immer gescheitert. Und es gehe auch darum, menschlich zu bleiben: “In der Politik geht es noch viel zu viel um Macht und viel zu wenig um Mensch sein”.