Überraschung im Schattenkabinett: Gesche Joost wurde ins Kompetenzteam von Peer Steinbrück berufen. Die parteilose Design-Professorin an der Universität der Künste Berlin ist zuständig für den Bereich Netzpolitik und digitale Gesellschaft. Unter einem Kanzler Steinbrück stünde sie bereit für Netzpolitik im großen Stil.
„Ich hab‘ jetzt sogar WLAN“, berichtet Gesche Joost stolz beim Treffen im Willy-Brandt-Haus über ihren neuen Arbeitsplatz, und lächelt ironisch. Zwei Wochen nachdem Peer Steinbrück die 38-jährige Vernetzungs-Expertin als Zuständige für Netzpolitik und digitale Gesellschaft präsentiert hat, ist sie nun also auch in der Parteizentrale voll einsatzfähig. Dabei ging es sofort nach der offiziellen Verkündung schon richtig los. Seitdem hat ihr Alltag rasant an Fahrt zugenommen. Vormittags geht Gesche Joost ihren Pflichten an der Universität der Künste nach, nachmittags eilt sie ins Willy-Brandt-Haus oder gibt in Interviews oder auf Podien und Konferenzen Auskunft über ihre netzpolitischen Vorhaben.
„Gefühlt bin ich schon seit Jahren dabei“, fasst Joost lachend ihre ersten Wochen zusammen, was auch daran liegt, dass sie den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen im Willy-Brandt-Haus als sehr intensiv und bereichernd empfindet.
Ihre Berufung sorgte für Überraschung, in Netzkreisen wurde ihre Nominierung bislang überwiegend positiv aufgenommen. Hängen geblieben ist von ihrer ersten Pressekonferenz vor allem ihr Satz „Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik“ und Joosts Ankündigung, mit dem bisher eher stiefmütterlich behandelten Politikfeld rund um Internet und Digitalisierung künftig kraftvoller zu verfahren.
„Wir müssen Brücken bauen von Netzpolitik zu Bildung, zu Arbeit, in den sozialpolitischen Sektor, in alle Lebensbereiche“, berichtet sie von ihren Absichten.
Erforschung der Kommunikation von morgen
Doch wie kommt Peer Steinbrück eigentlich darauf, eine Designforscherin in sein Kompetenzteam zu holen? Der Lebenslauf der geborenen Kielerin spricht für eine Karriere auf der Überholspur: Studium der Architektur, des Designs und der Rhetorik in Braunschweig, Köln, Chicago und Tübingen, Promotion summa cum laude über Filmrhetorik, Dozentur für audio-visuelle Medien und Designtheorie, Gastprofessur für Gender und Design, Leiterin der Designforschung bei den Telekom Innovation Laboratories, mit 34 Jahren Juniorprofessur für „Interactive Design & Media“ an der TU Berlin, seit 2010 Professur für Designforschung an der Universität der Künste. All das mit unter 40, wohlgemerkt. An wissenschaftlichen Meriten mangelt es wahrlich nicht.
Doch was muss man sich unter „Designforschung“ eigentlich vorstellen? Und wie kommt man damit zur Netzpolitik? „Ich erforsche, wie die Kommunikation von morgen aussieht. Wie werden wir in einer vernetzten Gesellschaft leben und arbeiten? Wie werden wir miteinander kommunizieren?“, zählt Joost die Verknüpfungspunkte zwischen ihrer wissenschaftlichen Arbeit und der neuen politischen Tätigkeit auf. Ihr Ansatz, die Vernetzung als „gesellschaftspolitisches Moment“ zu begreifen und den Fokus darauf zu legen, „alle Leute da mit reinzuholen und einzubinden“, habe wohl letztlich den Ausschlag dafür gegeben, dass sie der Kanzlerkandidat, für dessen Beraterkreis Joost schon seit 2006 tätig ist, ins Kompetenzteam geholt hat. Es ist auf jeden Fall ein starkes Signal, dass im Kompetenzteam eine eigene Stelle mit Netzpolitik besetzt wird. Das beweise, so Joost, dass es sich längst nicht mehr um ein „Nerd- und Nischenthema“ handele, wie etwa noch im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009.
Diskurs erweitern, digitale Spaltung überwinden
Doch trotz aller gegenteiliger Bekenntnisse seitens der Politik findet Netzpolitik noch immer primär als Elitendiskurs der Netzgemeinde selbst statt. Joost ist sich bewusst, dass der Otto-Normalsurfer oftmals keinen Zugang zu den relevanten Diskussionen hat. Gerade darum geht es der politischen Quereinsteigerin: „Der ‚digital divide‘ muss überwunden werden. Und zwar nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch zwischen allen sozialen Gruppen“, so Joost zu ihrer Vision, dass das „Zukunftsthema Netzpolitik“ jeden einzelnen ansprechen müsse.
Das ist leicht gesagt, die Umsetzung solcher gesellschaftlicher Mammutaufgaben dürfte Staat, Politik und Gesellschaft einiges abverlangen. Ein Schlüssel dafür sei die Ausbildung von Medienkompetenz. „Wie wird der Umgang mit Internet und Online-Medien in den Schulen vermittelt? Wissen Schüler und Jugendliche, was es heißt, privateste Daten bei Facebook preiszugeben und womöglich auf illegalen Websites Filme runterzuladen? Sind die Lehrer dafür ausreichend ausgebildet?“, zählt Gesche Joost einige der Fragen auf, die sich die Gesellschaft stellen muss, will sie mit der digitalen Herausforderung zurechtkommen. Doch auch den älteren Generationen darf die Digitalisierung nicht länger vorenthalten bleiben: „Senioren sollen nicht denken, das Internet sei eine kalte Technik, von der sie sowieso nichts verstünden. Die Menschen sollen die enormen Potenziale des Internets und der Vernetzung kennenlernen, egal, in welchem Alter“. Letztlich sei Medienkompetenz heute „eine beinahe ebenso wichtige Kulturtechnik wie lesen und schreiben“.
Doch Netzpolitik beschränkt sich freilich nicht auf die Vermittlung technischer Fertigkeiten und des Wissens um Gefahren, die im Netz lauern. Die parteilose Neupolitikerin schreibt dem Internet durchaus sozialdemokratische Werte zu: „Netzpolitik, das bedeutet Teilhabe und Teilnahme. Jeder kann über das Internet mitmachen und mitgestalten“, lautet Joosts Vision. Hier liege auch ihre Hauptmotivation, denn den Mitmach-Ansatz kennt sie aus ihren Forschungstätigkeiten bereits seit Langem: „Partizipatives Forschen“ nennt Joost das und möchte dank der Beteiligung von Betroffenen zu innovativen Ergebnissen kommen. Das Internet biete die Möglichkeit, diesen Brückenschlag zu verwirklichen. Dazu werden digitale Beteiligungs-Formate erprobt, bei denen zum Beispiel E-Petitionen eingebracht werden können. Auch mit neuen Formaten zu experimentieren ist ihr Ziel, und sie hofft, von ihren Erfahrungen in der Forschung profitieren zu können.
Doch zunächst muss Netzpolitik – ob sozial oder nicht – bei den Sozialdemokraten implantiert werden, zumal die SPD bislang nicht sonderlich aktiv auf diesem Felde gewesen ist. Doch Gesche Joost weiß zu berichten, dass es eine Menge aktiver Netzpolitiker in der SPD gibt, die schon gute Initiativen erarbeitet hätten, doch die müssten nun „noch offensiver nach außen getragen werden“.
„Rahmenbedingungen schaffen“
Schließlich geht es darum, Antworten auf Fragen zu formulieren, die nicht nur Netzaktivisten, sondern so ziemlich jedem Internetnutzer unter den Nägeln brennen dürften. Ein Thema ist die Debatte um die Drossel-Pläne der Telekom, die Forderungen nach Netzneutralität anheizen. „Der Markt alleine regelt das nicht ausreichend. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen und ein gewisses Gleichgewicht einhalten“, begründet Joost ihre Forderung nach einer gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität. Eine aktive Einmischung in die Tarifpolitik lehnt sie ab, wichtig sei es aber, dass der Kunde die Wahl zwischen mehreren Tarifmodellen habe.
Eine klare Position nimmt sie auch beim emotional aufgeladenen Thema Datenschutz ein. Gläserner Bürger, allwissender Staat, Bewegungsprofile: „Für mich ist die Speicherung von Bewegungsprofilen ein Horrorszenario. Jedoch: Wenn die Ermittlungsbehörden im Einzelfall über den Zugriff auf bei den Providern gespeicherten IP-Adressen schwerste Straftaten aufklären können, dann sollen sie die Mittel dazu haben, aber nur unter engsten Voraussetzungen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen“. Die Speicherfristen von einem halben Jahr sind ihr jedoch ein Dorn im Auge, hier müsse noch „deutlich reduziert“ werden, selbst auf die Gefahr hin, dass man Straftätern eventuell erst nach Ablauf der Frist auf die Spur komme: „Das ist ein schmaler Grat: Einerseits müssen die Grundrechte geschützt bleiben, andererseits sollen die Sicherheitsbehörden Instrumente haben, um schwerste Straftaten zu verfolgen“.
Auch im Urheberrecht sei Korrekturarbeit nötig: „Das Recht muss endlich an die digitale Realität angepasst werden! Bei den Künstlern muss mehr Geld ankommen“, propagiert sie und kann sich gut vorstellen, dass die Nutzer für urheberrechtlich geschützte Inhalte künftig zahlen müssen. „Bei ein paar Cent pro Artikel bin ich mir sicher, dass die Bereitschaft dafür vorhanden ist“. Dafür müsse ein Bewusstsein geschaffen werden, signalisiert sie. Gleichzeitig lehnt sie die inflationäre Kriminalisierung von Nutzern illegaler Plattformen ab: „Da hat sich ein Abmahnwesen mit überzogenen Regressforderungen etabliert. Das ist nicht der richtige Weg – auch wenn klare Grenzen bei illegalem Verhalten gezogen werden müssen“.
Viele netzpolitische Aufgaben stehen also an, denen sich die Bundesrepublik in der kommenden Legislaturperiode zu stellen hat. Dafür sei zuallererst ein kompletter Breitbandausbau „zwingend notwendig“, fordert Gesche Joost. „Ohne vernünftige Leitungen und Verbindungen, auch in ländlichen Regionen, macht Netzpolitik keinen Sinn, ohne diese Grundlage ist digitale Teilhabe unmöglich!“, verweist Steinbrücks Frau für das Internet auf dringend nötige Investitionen.
„Ich stehe bereit“
Und wie sieht sie ihre Zukunft? Würde unter einem Bundeskanzler Peer Steinbrück ein eigenes Ministerium für Netzpolitik und Digitalisierung geschaffen? Oder soll jedem Ressort ein eigener netzpolitischer Bereich angegliedert werden? Jeder aalglatte Politprofi hätte jetzt gekonnt um den heißen Brei herumgeredet, Politikneuling Joost jedoch gesteht offen: „Puh, ich habe keine Ahnung, wie das organisiert wird. Da muss ich wohl erst mal einen Blick aufs Organigramm werfen“, antwortet sie und lacht. „Ein eigenes Ministerium würde den Effekt verfehlen, eine Aufteilung der Kompetenzen auf verschiedene Ministerien hätte zu wenig Schlagkraft. Wenn jeder da so ein bisschen mitmacht, das reicht nicht!“. Es gibt In der SPD Überlegungen, die Netzpolitik im Innenministerium oder im Wirtschaftsministerium anzusiedeln. Argumente lassen sich für beide Möglichkeiten finden. Für Gesche Joost steht nur fest, dass es einen ständigen Ausschuss für Internet und digitale Gesellschaft im Bundestag geben muss. Und wenn an welcher Stelle auch immer eine aktive Position gebraucht würde, stehe sie „natürlich dafür bereit“, verrät sie mit kämpferischer Miene.
Bild: SPD