Marina Weisband tanzt auf vielen Hochzeiten: als Künstlerin, Studentin und politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Öffentlich bekannt wurde sie durch ihren Auftritt bei der ersten Bundespressekonferenz der Piraten. Viele Medien stilisieren sie seitdem zur neuen Ikone der Piraten. Sie ist jedoch vor allem eins: eine engagierte und sympathische Parteiarbeiterin.
Als freischaffende Künstlerin zeichnet sie besonders gerne Menschen, sie schreibt gefühlvolle Lieder, spielt Gitarre und absolviert ein Psychologiestudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Unter www.marinaslied.de betreibt sie ein eigenes Blog und erhielt erst kürzlich eine Kolumne auf faz.net, in der sie über Kleinigkeiten des Alltags schreibt. Der Titel: „Salon Skurril”. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die 24-jährige gebürtige Ukrainerin Marina Weisband jedoch durch ihr Engagement für die Piratenpartei Deutschland als deren politische Geschäftsführerin bekannt. Trotz dieser beträchtlichen Bandbreite an Interessen und Aktivitäten sieht Weisband sich nicht etwa als Workaholic, im Gegenteil: Sie bezeichnet sich selbst als faul. Jedoch sei sie ziemlich gut darin, viele Sachen zu machen, an denen sie Spaß habe. „Wenn man etwas mit Leidenschaft angeht, ermüdet das sehr viel weniger. Und ich liebe alles, was ich tue“.
Mit ihrem persönlichen Lebensweg und ihrem Selbstverständnis als Kosmopolitin findet Weisband sich auch im Menschenbild der Piraten vom selbstbestimmten, global denkenden und freiheitsliebenden Wesen wieder. Die Ukrainerin wuchs in Kiew auf und wanderte 1994 mit ihrer Familie nach Deutschland aus. Mit ihrem Geburtsland fühlt sie sich auch heute noch eng verbunden und verfolgt mit Sorge die aktuellen politischen Entwicklungen. Ihrer Ansicht nach braucht die Ukraine dringend eine Revolution. Die dortige Regierung funktioniere ohne Geld nicht mehr, nicht einmal, wenn ehrliche Politiker es versuchen. Niemand in der Ukraine mache Politik, ohne in irgendwelche Machenschaften verwickelt zu sein. Auch die Ikone der „Orangenen Revolution“, Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, nicht. Dass aber nur sie dafür angeklagt wurde und nicht alle anderen im Kabinett, sei ein unfaires Vorgehen gegen eine Politikerin gewesen, die sich für Demokratie und Mitbestimmung einsetze. „Die Ukrainer müssen mehr an sich glauben und den Stolz wiederfinden, der sie zur Orangenen Revolution getrieben hat“. Es brauche dort noch dringender eine Piratenpartei als in Deutschland, befindet Weisband.
Als politische Geschäftsführerin ihrer Partei vertritt sie diese in Öffentlichkeit und Medien. Zudem ist sie für den Betrieb des Beteiligungstools LiquidFeedback verantwortlich, das der innerparteilichen Meinungsbildung dient. Ihre Aufgabe ist es aber auch, unterschiedliche Positionen innerhalb der Partei zusammenzubringen – sicherlich der schwierigere Part ihrer Arbeit. Ihre politische Motivation beschreibt sie als „Liebe und Neugier gegenüber Menschen“. Aus dieser Einstellung heraus reifte im Jahre 2009 auch ihr Entschluss, in die Politik zu gehen. Die Piraten versteht sie als die Partei, die zurück zu den Wurzeln der Politik kehrt, die nach Antworten auf die Frage sucht, wie wir zusammenleben und wie möglichst viele Menschen möglichst glücklich werden können: „Wir sind jung und unerfahren – darin liegt unsere Stärke. Wir hinterfragen festgefahrene Konzepte, überprüfen sie auf ihre Notwendigkeit und modernisieren“. Der Politikstil der Piraten sei von Transparenz und Mitbestimmung geprägt – auch weit über die Grenzen der Partei hinaus.
Zum Bundesparteitag in Offenbach am vergangenen Wochenende zieht die Piratin ein positives Fazit. Sie sei selbst überrascht gewesen, wie sachlich und effizient dieser abgelaufen sei: „Wir haben uns zu sehr vielen Themen außerhalb unseres Kerns im Bereich Netzpolitik positionieren können. Und das unter verstärkter Beobachtung! Das hat mir gezeigt, dass die Piratenpartei erwachsen wird“, resümiert Weisband. Als ihr politisches Steckenpferd bezeichnet sie das Thema Aufklärung. Immanuel Kants „Sapere aude!“ lässt grüßen. Dazu gehöre das Feld der Transparenz genauso wie Bildung, die ihr besonders am Herzen liegt. Diese ist für Weisband der Grundstein der Piratenpolitik, da das Internet sehr viel von dem verändere, „was und wie wir lernen sollten und können“. Kindern müssten in einer Schule der Zukunft in erster Linie zwei Kompetenzen vermittelt werden: Informationen zu finden und sie zu bewerten. Da die Menschheit mit dem Netz über eine riesige Wissensressource verfüge, müsse es zur menschlichen Kernkompetenz werden, diese auch effektiv zu nutzen. Seitdem die umtriebige Piratin vor einiger Zeit in einem anonymen Anti-Suizid-Chat als Beraterin gearbeitet hat, versteht sie die Notwendigkeit von Anonymität im Netz und setzt sich dafür ein. Ebenso engagiert sie sich für die Möglichkeiten, das Netz zu nutzen, um demokratische Beteiligung zu erzielen. Neben der Ausarbeitung von Konzepten zum demokratischen Diskurs gehört dazu auch die Verbesserung des LiquidFeedback-Systems. Öffentlichkeit und Medien werfen den Piraten vor, eine männerdominierte Partei zu sein, in der Frauen grundsätzlich benachteiligt seien. Wie positioniert sich Marina Weisband in der Geschlechterdebatte?
Aus ihrer Sicht ist es lächerlich, eine Quote als Lösung für den niedrigen Frauenanteil in der Piratenpartei heranzuziehen. „Wir sind eine basisdemokratische Partei. Eine Quote könnten wir nur in den Vorständen einführen. Was würde das bringen? Vorstände haben in der Piratenpartei kaum etwas zu sagen. Das wäre billige Symbolpolitik“. Das eigentliche Problem sei, dass weniger Frauen als Männer in die Partei einträten. Das liege daran, dass politische Parteien gemeinhin weniger Frauen als Männer in ihren Reihen hätten. Andererseits lägen die Wurzeln der Piraten im IT-Bereich, in dem traditionell weniger Frauen aktiv seien. Dass Frauen in diesen Kreisen seltener sind, sei ein gesellschaftliches Problem. „Natürlich versucht die Piratenpartei das zu lösen. Zum Beispiel durch Frauen, die als Beispiel dienen wollen und zeigen, dass man sich als Frau bei uns sehr wohl fühlen kann“. Wichtiger aber sei die Förderung einer geschlechtsneutralen Erziehung, die das Potenzial jedes Kindes, von Mädchen und Jungen gleichermaßen, entfalten lasse. Und wer sonst als Marina Weisband selbst ist ein besseres Beispiel dafür, dass es Frauen auch ohne Frauenquote bis ganz oben in der Piratenpartei schaffen können?
Bildnachweis: Foto von Marina Weisband by Bastian Bringenberg (CC BY 3.0)